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Die Rolle der Jugend beim Fördern und beim Schutz der Menschenrechte

Die Rolle der Jugend beim Fördern und beim Schutz der Menschenrechte

Erklärung der Internationalen Bahá’í-Gemeinde bei der 41. Sitzungsperiode der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen

21 February 1985

Die Internationale Bahá’í-Gemeinde freut sich über die Gelegenheit, zu Punkt 15 der Tagesordnung über die Rolle der Jugend beim Fördern und beim Schutz der Menschenrechte sprechen zu dürfen. Wir meinen, daß der Beginn des Internationalen Jahres der Jugend die günstige Gelegenheit zum weiteren Nachdenken darüber bietet, wie die Rechte der Jugend besser gesichert werden können, und wie die Jugend selbst zur Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten beitragen kann.

In ihrer Resolution 1983/46, die bei ihrer 39. Sitzungsperiode angenommen wurde, rief die Kommission die Staaten auf, geeignete Maßnahmen zu treffen, damit die Jugend von allen ihren Menschenrechten, einschließlich des Rechtes auf Erziehung und auf Arbeit, Gebrauch machen kann »mit dem Ziel, die Voraussetzungen für die rege Beteiligung junger Menschen am Abfassen und Durchführen von Programmen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ihrer Länder zu schaffen«.

Wir möchten gerne zu jedem der beiden Aktionsbereiche, die von der Kommission hervorgehoben wurden, einige Anmerkungen machen: zum Recht der Jugend auf Erziehung und Arbeit einerseits, und zur Rolle der Jugend bei der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung andererseits.

Zuerst zum Recht der Jugend auf angemessene Erziehung, Ausbildung und Arbeit. Der Bahá’í-Ansicht nach muß allen Jugendlichen ein weltweites Bildungssystem zugute kommen. Die der Jugend vermittelte Erziehung muß nicht nur die Ausbildung in den Fachkenntnissen beinhalten, die zur Ausübung eines Gewerbes oder Berufes nötig sind, sondern auch für sittliche und geistige Aufklärung sorgen. Beide Arten der Erziehung sind unbedingt erforderlich.

In den Bahá’í-Schriften wird auf Ausbildung in Gewerbe und Beruf besonderer Wert gelegt, zumal wir Arbeit als eine Art Dienst und Huldigung für Gott lobend anerkennen. Besondere Beachtung wird in den Bahá’í-Lehren der oft vernachlässigten Erziehung junger Frauen geschenkt. Es ist wichtig, daß auf allen Tätigkeitsebenen, in der Familie wie in der Gemeinschaft, die Jugend Gelegenheit bekommt, Beschäftigungen nachzugehen und Fertigkeiten zu entwickeln, die ihr das Ausüben von Gewerben und Berufen ermöglicht, mit denen sie ihren Mitmenschen nützt.

Obwohl die Ausbildung in Wissenschaft, Kunst und Gewerbe wichtig ist, wird die Jugend nur dann in der Gesellschaft voll mitwirken können, wenn sie die richtige sittliche und geistige Erziehung erhält. Diese Erziehung muß darauf ausgerichtet sein, in der Jugend die Überzeugung aufzubauen, daß die Menschheit eine Einheit ist. Die Bahá’í sind überzeugt, daß nur das Schaffen von Eintracht und Einvernehmen unter den Völkern der Welt die tief wurzelnden Übel heilen kann. Auf der Jugend liegt die besondere Verpflichtung, einen globalen Durchblick sowie Werte zu entwickeln, die auf Eigenschaften wie Liebe, Wahrhaftigkeit, Wohlwollen und Achtung für alle Glieder der Menschheit beruhen. Der Jugend muß sowohl in der Familie, der Grundlage der Gesellschaft, als auch innerhalb der Gemeinschaft, der sie angehört, geholfen werden, diese Eigenschaften zu entfalten.

Nun kommen wir zum zweiten Hauptthema, zu dem wir Stellung nehmen möchten, – das ist die Rolle der Jugend beim Fördern sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung. Die Bahá’í-Schriften betonen, daß die Jugend eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung des wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Lebens unseres Planeten zu spielen hat.

In den Bahá’í-Schriften lesen wir:

Der gegenwärtige Zustand der Welt – ihre wirtschaftliche Instabilität, ihre sozialen Streitigkeiten, die politische Unzufriedenheit und das internationale Mißtrauen – sollte die Jugend aus ihrem Schlummer aufrütteln und sie veranlassen, nachzuforschen, was die Zukunft bringen wird. Zweifellos ist sie es, die am meisten leiden wird, wenn irgend ein Unheil über die Welt hinwegfegt. Daher sollte sie ihre Augen aufmachen und die vorhandenen Zustände sehen, die üblen Mächte erforschen, die am Zuge sind, und sich danach mit vereinten Kräften erheben, um die nötigen Reformen zustande zu bringen, – Reformen, deren Reichweite geistige wie soziale und politische Seiten des menschlichen Lebens umfaßt.

Folglich sollten die Jugendlichen, auch die jungen Frauen, in der Lage sein, aktiv an der Durchführung von Projekten zur Verbesserung von Lebensbedingungen, die die Lebensqualität des Menschen anheben und das Selbstvertrauen der Gemeinde entfalten, teilnehmen zu können. Insbesondere könnte die Jugend ermutigt werden, während des Internationalen Jahres der Jugend und darüber hinaus aktiv bei landwirtschaftlichen Entwicklungsprojekten mitzumachen, die Alphabetisierung voranzutreiben, an Projekten zur Verbesserung der Gesundheitsvorsorge und medizinischen Versorgung teilzunehmen, bei humanitären Hilfsprogrammen der Gemeinden mitzuhelfen und mit der Jugend anderer Länder Verbindung aufzunehmen, um Gedanken und Ideen auszutauschen und unter der Jugend aufeinander abgestimmte Bemühungen um die Verbesserung der sozialen Zustände in der ganzen Welt anzuregen. Die Bahá’í-Jugend in allen Teilen der Welt ist bereits dabei, in diesen Bereichen wertvolle Erfahrungen zu sammeln.

Damit die Jugend zum Genießen der Menschenrechte und zur Errichtung des Weltfriedens einen Beitrag leisten kann, muß die Weltgemeinschaft Mittel zur Schulung der Jugend in praktischen Fertigkeiten wie in geistigen Werten bereitstellen. Gleichzeitig muß die Jugend die Spitze der Kräfte bilden, die sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt und Gerechtigkeit fördern, um in den vollen Genuß der Menschenrechte zu kommen. Aus Anlaß des Internationalen Jahres der Jugend möchten wir wiederholen, daß die Bahá’í-Gemeinden in aller Welt für diese beiden wichtigen Ziele engagiert arbeiten.

Die Verheißung von Abrüstung und Frieden

Die Verheißung von Abrüstung und Frieden

Eine Erklärung der Internationalen Bahá’í-Gemeinde zur Sondersitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen über Abrüstung

New York—1 June 1982

Diesem Ziel - dem Ziel einer neuen Weltordnung, göttlich im Ursprung, allumfassend in der Reichweite, unparteiisch im Grundsatz, herausfordernd im Charakter - muß eine gequälte Menschheit zustreben.[i]

Die Internationale Bahá’í-Gemeinde, eine nichtstaatliche Organisation mit beratendem Status beim Wirtschafts- und Sozialrat sowie beim Weltkinderhilfswerk der Vereinten Nationen, unterbreitet die folgenden Bemerkungen und Auszüge aus den Bahá’í-Schriften als Beitrag zu der bedeutenden Aufgabe der Sondersitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen über Abrüstung.Abrüstung und Weltfrieden.

Nach Auffassung der Internationalen Bahá’í-Gemeinde ist die Abrüstung unerläßlich für die Abschaffung des Krieges als eine Lösung menschlicher Probleme. Sie ist ein Ziel für die Regierungen, aber auch für die Völker. Wir, ein wechselseitig abhängiges Menschengeschlecht, leben auf einem kleinen, unteilbaren Planeten in einer Zeit des Übergangs vom Nationalismus zum Universalismus. Noch immer setzen wir die Bedürfnisse eines einzelnen Landes und seines Volkes über die Bedürfnisse der ganzen Menschheit.

Die allgemeine, vollständige Abrüstung der Nationen dieser Welt erfordert, daß sich die Regierungen und die Völker der organischen Einheit des Menschengeschlechts stärker bewußt werden: Jeder Mensch ist eine Zelle im Körper der Menschheit, jede Nation eine Ansammlung von Zellen im Körper des Planeten. Gesund und glücklich können alle nur dann leben, wenn es dem ganzen Organismus gut geht.

Die Abrüstung erfordert ferner die Schaffung eines Weltstaates mit allen Organen für eine gerechte Herrschaft im Namen aller Regierungen und Völker. Das Wohl des Nationalstaates wird nach Ansicht der Bahá’í ebenso wie das Wohl der ganzen Welt so lange leiden, bis alle Regierungen übereinkommen, ein derartiges übernationales Gemeinwesen zu schaffen, eine Institution mit der Macht, die Uneinigkeit zwischen den Nationen in Schranken zu halten und allmählich zu beseitigen.

Ein derartiges Weltgemeinwesen muß über genügend Waffen und Streitkräfte verfügen, um Angriffe einer Nation gegen die andere zu verhindern, oder, wenn sie doch vorkommen, den Angreifer niederzuwerfen. Jede Nation darf nur so viele Waffen behalten, wie zur Erhaltung der inneren Ordnung nötig sind. So nur wird ein verheerender Weltkrieg unmöglich gemacht und begrenzten Konflikten sofort Einhalt geboten. Die Nationen werden sich zusammenschließen, um nicht nur die weltweiten Probleme der Erziehung, Ernährung, Beschäftigung usw. zu lösen, sondern auch so entscheidende Fragen wie die eines international verbindlichen Sittenkodex und einer globalen Rechtsordnung, ohne die es keinen dauerhaften Frieden geben kann.

Die Internationale Bahá’í-Gemeinde weiß, daß es keinen bequemen Weg zum Weltfrieden gibt. Die nationalen Regierungen tragen unentrinnbar die Verantwortung, den Krieg zu verhindern und nach Wegen der Einigung und der Abrüstung zu suchen, um politische Übereinkunft, die erste Stufe des Weltfriedens, zu erreichen.

»Heute ist jedoch die Aufgabe, die einem großen Herrscher zukommt, die Errichtung des Weltfriedens, denn darin liegt die Freiheit aller Völker beschlossen.«[ii]

Es ist aber auch Aufgabe jedes einzelnen, sich seiner wahren Natur als Diener eines einzigen Schöpfers und als Mitglied einer einzigen menschlichen Familie bewußt zu werden mit dem Ziel, den göttlichen Willen, alle Völker zu Übereinstimmung und Frieden zu führen, zu erfüllen und den Erdball von Armut und Krieg zu befreien. Auf dieser zweiten Entwicklungsstufe wahrer Welteinheit und wirklichen Friedens findet das individuelle und gesellschaftliche Wohl seinen Ausdruck in einer Kultur, die die geistigen Werte der Liebe, des Mitleids und der Gerechtigkeit widerspiegelt.

Seit über einem Jahrhundert arbeitet die Internationale Bahá’í-Gemeinde an der Verwirklichung des Planes von Bahá’u’lláh, dem Stifter der Bahá’í-Religion, für eine Weltordnung auf der Grundlage der Gerechtigkeit und der Einheit aller Völker. In mehr als 300 Ländern und Territorien und in über 1600 ethnischen Gruppen verwurzelt, verkörpern die Bahá’í bereits einen Querschnitt der ganzen Menschheit. Loyal gegenüber den nationalen Regierungen, unter deren Herrschaft sie leben, suchen sie mit konstruktiven Mitteln, die Gesellschaft dem Weltbewußtsein, das dem Frieden und der Weltkultur zugrunde liegen muß, entgegenzuführen.

ABRÜSTUNG, FRIEDEN UND WAHRE ZIVILISATION

»Bahá’u’lláh schrieb an alle Könige und Herrscher, Er riet ihnen und ermahnte sie, den Frieden zu stiften. Mit schlüssigen Beweisen legte Er dar, daß Glück und Ruhm der Menschheit nur durch Abrüstung und internationale Schiedsgerichtsbarkeit gesichert werden können.«[iii]

»Alle Regierungen der Welt müssen durch ein allgemeines Übereinkommen gleichzeitig abrüsten. Es hilft nichts, wenn einer die Waffen niederlegt und die anderen sich weigern, dasselbe zu tun. Die Nationen der Welt müssen in dieser lebenswichtigen Angelegenheit übereinstimmen und zusammen die Mordwaffen endgültig niederlegen. Solange ein Volk seinen Rüstungsetat zu Wasser und zu Lande vergrößert, werden andere Nationen durch natürliche und vermeintliche Interessen in diesen irren Wettbewerb hineingezwungen.«[iv]

»Wie viele haben ihre Arbeit in nutzbringenden Gewerben aufgegeben und mühen sich Tag und Nacht, neue, immer schrecklichere Waffen herzustellen, mit denen das Blut des Menschengeschlechts noch reichlicher als zuvor vergossen werden kann.

Jeden Tag erfindet man neue Bomben und Sprengstoffe, und dann sind die Regierungen gezwungen, ihre veralteten Waffen wegzuwerfen und damit zu beginnen, die neuen herzustellen, weil sich die alten gegen die neuen Waffen nicht behaupten können … Und die überwältigenden Kosten all dessen müssen die unglücklichen Massen tragen.«[v]

»Bedeutsam sind wahrlich die folgenden Worte Bahá’u’lláhs, wenn wir innehalten, um über den gegenwärtigen Zustand einer seltsam verwirrten Welt nachzudenken: ,Wie lange wird die Menschheit in ihrem Eigensinn verharren? Wie lange wird das Unrecht fortbestehen? Wie lange sollen Chaos und Verwirrung unter den Menschen herrschen? Wie lange wird Zwietracht das Antlitz der Gesellschaft zerwühlen? Ach, die Winde der Verzweiflung wehen aus jeder Richtung, und der Hader, der das Menschengeschlecht spaltet und peinigt, nimmt täglich zu. Die Zeichen drohender Erschütterungen und des Chaos sind jetzt deutlich zu sehen, zumal die bestehende Ordnung erbärmlich mangelhaft erscheint.«[vi]

»Wahre Kultur wird ihr Banner mitten im Herzen der Welt entfalten, sobald eine gewisse Zahl ihrer vorzüglichen, hochgesinnten Herrscher – leuchtende Vorbilder der Ergebenheit und Entschiedenheit – mit festem Entschluß und klarem Blick daran geht, den Weltfrieden zum Wohl und Glück der ganzen Menschheit zu stiften. Sie müssen die Friedensfrage zum Gegenstand allgemeiner Beratung machen und mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln versuchen, einen Weltvölkerbund zu schaffen. Sie müssen einen verbindlichen Vertrag und einen Bund schließen, dessen Verfügungen vernünftig, unverletzlich und bestimmt sind. Diesen Vertrag müssen sie der ganzen Welt bekanntgeben und die Bestätigung des gesamten Menschengeschlechts für ihn erlangen.

Ein derart erhabenes und edles Unternehmen – der wahre Quell des Friedens und Wohlergehens für die ganze Welt – sollte allen, die auf Erden wohnen, heilig sein. Alle Kräfte der Menschheit müssen frei gemacht werden, um die Dauer und Beständigkeit dieses größten aller Bündnisse zu sichern. In diesem allumfassenden Vertrag sollten die Grenzen jedes einzelnen Landes deutlich festgelegt, die Grundsätze, die den Beziehungen der Regierungen untereinander zugrunde liegen, klar verzeichnet und alle internationalen Vereinbarungen und Verpflichtungen bekräftigt werden. In gleicher Weise sollte der Umfang der Rüstungen für jede Regierung genauestens umgrenzt werden, denn wenn die Zunahme der Kriegsvorbereitungen und Truppenstärken in irgendeinem Land gestattet wäre, würde dadurch das Mißtrauen anderer geweckt. Die Hauptgrundlage dieses feierlichen Vertrages sollte so verankert werden, daß bei einer späteren Verletzung irgendeiner Bestimmung durch irgendeine Regierung sich alle Regierungen der Erde erheben, um jene wieder zu voller Unterwerfung unter den Vertrag zu bringen, nein, die Menschheit als Ganzes sollte sich entschließen, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln jene Regierung zu vernichten. Wird dieses größte aller Heilmittel auf den kranken Körper der Welt angewandt, so wird er sich gewiß wieder von seinen Leiden erholen und dauernd bewahrt und heil bleiben.

Wenn solche erfreulichen Zustände einträten, müßte keine Regierung mehr ständig Waffen speichern oder sich gezwungen sehen, immer neues Kriegsgerät herzustellen, um damit die Menschheit zu unterwerfen. Eine kleine Streitmacht für die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung, die Verfolgung von Verbrechern und Assozialen und die Verhütung örtlicher Unruhen würde genügen – nichts weiter. Auf diese Weise wäre die ganze Weltbevölkerung von der drückenden Last der Rüstungsausgaben befreit; außerdem brauchten zahllose Leute nicht länger ihre Zeit darauf zu verschwenden, ständig neue Vernichtungswaffen zu ersinnen, neue Beweise der Habsucht und Blutgier zu liefern, die in unvereinbarem Widerspruch zu den Gnadengaben des Lebens stehen. Stattdessen könnten sie ihren Eifer darauf richten, solche Geräte herzustellen, die das Leben erleichtern, Frieden und Wohlstand fördern, und könnten so dem Fortschritt und der Wohlfahrt der ganzen Welt dienen. Jede Nation auf Erden würde dann in Ehren regiert, und jedes Volk fühlte sich geborgen in Ruhe und Zufriedenheit.

Einzelne, welche die im menschlichen Streben ruhende Kraft nicht kennen, halten diesen Gedanken für völlig undurchführbar, ja für jenseits dessen, was selbst die äußersten Anstrengungen des Menschen je erreichen können; doch ist dies nicht der Fall. Im Gegenteil kann dank der unerschöpflichen Gnade Gottes, der Herzensgüte Seiner Begünstigten, den beispiellosen Bemühungen weiser und fähiger Seelen und den Gedanken der unvergleichlichen Führer dieses Zeitalters nichts, was es auch sei, als unerreichbar angesehen werden. Eifer, unermüdlicher Eifer ist nötig. Nur unbezähmbare Entschlußkraft kann das Werk vollbringen. Manches hat man in vergangenen Zeiten als reines Hirngespinst betrachtet; heute ist es leicht durchführbar geworden. Warum sollte diese wichtigste und erhabenste Sache – das Tagesgestirn am Himmelszelt wahrer Kultur und die Ursache des Ruhmes, des Fortschritts, des Wohlergehens und Erfolges der ganzen Menschheit – unmöglich sein? Der Tag wird sicher kommen, an dem ihr klares Licht Erleuchtung über die gesamte Menschheit gießen wird.«[vii]

DIE EINHEIT DER MENSCHHEIT

»,Das Tabernakel der Einheit’, verkündet Bahá’u’lláh in Seiner Botschaft an die ganze Menschheit, ist ,errichtet worden; betrachtet euch nicht gegenseitig als Fremde… Ihr seid alle Früchte eines Baumes und die Blätter eines Zweiges… Die Erde ist nur ein Land, und alle Menschen sind seine Bürger… Der Mensch rühme sich nicht dessen, daß er sein Land liebt, eher dessen, daß er die Menschheit liebt.’«[viii]

»Hier darf sich kein Denkfehler einschleichen! Der Grundsatz der Einheit der Menschheit – der Angelpunkt, um den alle Lehren Bahá’u’-lláhs kreisen – ist kein bloßer Ausdruck unkundiger Gefühlsseligkeit oder unklarer frommer Hoffnung. Sein Ruf ist nicht gleichbedeutend mit einer bloßen Wiedererweckung des Geistes der Brüderlichkeit und des guten Willens unter den Menschen, noch geht es nur um die Förderung harmonischer Zusammenarbeit zwischen einzelnen Völkern und Ländern. Die Folgerungen gehen tiefer, der Anspruch ist höher als alles, was den früheren Propheten zu äußern erlaubt war. Die Botschaft gilt nicht nur dem einzelnen, sondern befaßt sich in erster Linie mit der Natur jener notwendigen Beziehungen, die alle Staaten und Nationen als Glieder einer menschlichen Familie verbinden müssen. Der Grundsatz der Einheit stellt nicht nur die Verkündigung eines Ideals dar, sondern ist unzertrennlich mit einer Institution verbunden, die seine Wahrheit verkörpert, seine Gültigkeit bekundet und seinen Einfluß dauernd zur Geltung bringt. Er verlangt eine organische, strukturelle Veränderung, wie sie die Welt noch nicht erlebt hat. Er stellt eine Herausforderung, kühn und weltumfassend, für die nationalen Glaubensparolen dar, deren Zeit vorüber ist und die im normalen Verlauf der Ereignisse, wie die Vorsehung sie formt und fügt, einem neuen Evangelium Platz machen müssen, das grundlegend anders und unendlich höherwertig ist als das, was die Welt bis jetzt begriffen hat. Er fordert nichts Geringeres als den Wiederaufbau und die Entmilitarisierung der ganzen zivilisierten Welt, einer Welt, die in allen Grundfragen des Lebens, in ihrem politischen Mechanismus, ihren geistigen Bestrebungen, in Handel und Finanzwesen, Schrift und Sprache organisch zusammengewachsen und doch in den nationalen Eigentümlichkeiten ihrer verbündeten Staatenglieder von einer unendlichen Mannigfaltigkeit ist.

Er stellt die Vollendung der menschlichen Entwicklung dar, einer Entwicklung, die ihren Uranfang in der Geburt des Familienlebens hat, deren weitere Entfaltung zur Stammeseinheit und zur Bildung des Stadtstaates führte, und die sich später zur Bildung unabhängiger, souveräner Nationen erweiterte.

Das Prinzip der Einheit der Menschheit, wie Bahá’u’lláh es verkündet, bringt nicht mehr und nicht weniger als die heilige Versicherung mit sich, daß der Durchbruch zu dieser letzten Stufe einer unendlich langen Entwicklung nicht nur notwendig, sondern unumgänglich ist, daß sich seine Verwirklichung rasch nähert und daß nichts außer einer Kraft, die aus Gott geboren ist, ihn erfolgreich herbeiführen kann.«[ix]

EIN WELT-ÜBERSTAAT

»Ein Welt-Überstaat, an den alle Nationen der Erde willig den Anspruch, Krieg zu führen, gewisse Rechte der Erhebung von Steuern und alle Rechte auf Kriegsrüstung außer zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in ihren Gebieten abtreten – ein solcher Staat muß notwendigerweise in irgendeiner Form entwickelt werden. Sein Organisationsrahmen wird eine internationale Exekutive einschließen müssen, die jedem widerspenstigen Mitglied der Gemeinschaft ihre höchste und unantastbare Autorität aufzwingen kann; ein Weltparlament, dessen Mitglieder durch das Volk aller Länder gewählt werden und in ihrer Amtsübernahme von den jeweiligen Regierungen bestätigt werden, sowie einen Obersten Gerichtshof, dessen Urteil bindende Gültigkeit haben wird, selbst in Fällen, in denen die Parteien ihren Streit nicht freiwillig seiner Rechtsfindung unterwerfen. Eine Weltgemeinschaft, in der alle wirtschaftlichen Schranken für immer niedergerissen werden, in der die gegenseitige Abhängigkeit von Kapital und Arbeit ausdrücklich anerkannt wird, in der das Geschrei religiösen Eifers und Streites endgültig verstummt ist, in der die Flamme des Rassenhasses ein für allemal gelöscht ist, deren einheitliches System internationalen Rechts als Ergebnis der wohlüberlegten Entscheidung der weltweit vereinigten Volksvertreter durch das sofortige, zwingende Eingreifen der vereinten Streitkräfte der Verbündeten sanktioniert wird; und schließlich: eine Weltgemeinschaft, in der der Sturm eines tollkühn-militanten Nationalismus in ein dauerhaftes Bewußtsein des Weltbürgertums verwandelt ist – so wahrlich sieht, in groben Zügen gezeichnet, die von Bahá’u’lláh vorausgeschaute Ordnung aus, eine Ordnung, die einmal als die edelste Frucht eines langsam heranreifenden Zeitalters betrachtet werden wird.«[x]

»Diesem Ziel – dem Ziel einer neuen Weltordnung, göttlich im Ursprung, allumfassend in der Reichweite, unparteiisch im Grundsatz, herausfordernd im Charakter – muß eine gequälte Menschheit zustreben.«[xi]

 


[i] Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 57

[ii] ’Abdu’l-Bahá, Das Geheimnis göttlicher Kultur, S. 68

[iii] ’Abdu’l-Bahá, Foundations of World Unity, S. 25

[iv] ’Abdu’l-Bahá, zitiert in: Esslemont, Bahá’u’lláh und das neue Zeitalter, S. 195

[v] ’Abdu’l-Bahá, Das Geheimnis göttlicher Kultur, S. 60-61

[vi] Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 53-54

[vii] ’Abdu’l-Bahá, Das Geheimnis göttlicher Kultur, S. 62-64

[viii] Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 67

[ix] Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 69-71

[x] Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 66-67

[xi] Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 57

 

Einer fortschreitenden Gesellschaft dienen

Einer fortschreitenden Gesellschaft dienen

Eine „Bahá’í-Erklärung der Menschenpflichten und Menschenrechte” Der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen im Februar 1947 namens der Bahá’í-Weltgemeinschaft vom Nationalen Geistigen Rat der Bahá’í der Vereinigten Staaten von Amerika vorgelegt.

Lake Success, NY, U.S.A.—1 February 1947

I.

Die Quelle der Menschenrechte sind Eigenschaften, Tugenden und Kräfte, die Gott der Menschheit ohne Ansehen des Geschlechts, der Rasse, des Bekenntnisses und der Nation verliehen hat. Die Möglichkeiten dieser Gottesgaben auszuschöpfen, ist der Daseinszweck des Menschen.

Die Menschenrechte können dann in den gesellschaftlichen Verhältnissen Gestalt annehmen, wenn die Glieder der Gemeinschaft einsehen, daß die Gabe des Lebens und des Bewußtseins sie verpflichtet, Verantwortung gegenüber Gott, der Gesellschaft und sich selbst zu übernehmen. Wechselseitige Anerkennung der Wahrheit durch die Glieder der Gemeinschaft, daß ihr Leben von ein und derselben Quelle ausgeht, ermöglicht ihnen, geordnete Beziehungen in einem gesellschaftlichen Organismus aufrechtzuerhalten.

Es ist nicht der gesellschaftliche Organismus, der die Grundrechte des Menschen schafft. Seine Aufgabe ist die des bevollmächtigten Treuhänders, der bei der Aufrechterhaltung derjenigen Beziehungen, welche die sittlichen Errungenschaften seiner Glieder darstellen, für die Gemeinschaft handelt und die geistige Einheit, welche die höchste wechselseitige Verpflichtung ist, pflegt und schützt.

Kein gesellschaftlicher Organismus, welche Form er auch annimmt, hat die Macht, die menschlichen Grundrechte für solche Personen aufrechtzuerhalten, die ihre sittliche Pflicht verleugnen und die Gottesgaben preisgeben, durch die sich der Mensch vom Tier unterscheidet. Wenn politische und ökonomische Verhältnisse rechtlich definiert werden, aber sittlicher Werte und Einflüsse bar sind, entsprechen sie nicht den Grundrechten des Menschen, sondern lediglich den Machtmitteln der Parteipolitik. Nur sittliche Lebewesen können eine geordnete Gesellschaft aufrechterhalten.

II.

Die Gottesgabe, die jedem einzelnen Menschen verliehen ist, bindet ihn ganz an die sich entwickelnde und heranreifende Menschheit. Die ganze menschliche Rasse ist dem Gesetz der fortschreitenden Entwicklung unterworfen, das weit über den menschlichen Willen hinaus wirkt. In keinem Zeitalter wiederholen sich die Zustände früherer Zeiten.

Die in der Zivilisation erkennbare Entwicklung ist das Ergebnis der geistigen Entwicklung, die sich durch die Menschheit vollzieht. In dem Maße, wie sich neue Eigenschaften entfalten, kann ein vergrößerter Bereich geordneter Beziehungen geschaffen werden, was Änderungen des gesellschaftlichen Aufbaus erforderlich macht.

Der moderne Nationalstaat entstand als ein Mittel zur Einigung verschiedenartiger Rassen und Völker. Er bedeutet einen Burgfrieden, der Gemeinschaften nahegebracht oder aufgezwungen wurde, die zuvor getrennt voneinander, in Unabhängigkeit und Feindschaft gelebt hatten. Geschichtlich betrachtet ist die Nation ein großer Sieg der Sittlichkeit, eine klar umgrenzte, wichtige Stufe des menschlichen Fortschritts. Sie hat die Lebensverhältnisse der Volksmassen angehoben, an die Stelle der Willkür einer Stammesherrschaft geschriebenes Verfassungsrecht gesetzt, Erziehung und Wissen erweitert, die Auswirkungen sektiererischer Streitigkeiten gemildert und den gesellschaftlichen Lebensraum des Durchschnittsmenschen vergrößert. Sie schuf die Voraussetzungen für die Entwicklung der Naturwissenschaften, die Nutzbarmachung von Erfindungen und die Industrialisierung, die dem Menschen die Herrschaft über die Natur verleiht.

Die neuen Kräfte und Hilfsquellen, die die Nation ermöglichte, konnten nicht auf den nationalen Raum beschränkt bleiben; sie erzeugten einen Internationalismus, dessen Ursachen und dessen Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse keine Nation kontrollieren konnte. Der Nationalstaat hat die Grenzen seiner Entwicklungsfähigkeit als ein unabhängiges, selbstbestimmtes Gesellschaftsgebilde erreicht. Die Grenzenlosigkeit der Wissenschaft, die Weltwirtschaft und ein Weltbewußtsein als Spitzenreiter einer neuen, allumfassenden Bewegung geistiger Entwicklung legten den Grund einer Weltordnung. Als Selbstzweck aufgefaßt, ist der Nationalstaat zu einer Absage an die Einheit der Menschheit geworden, zur Quelle allgemeiner Zerrissenheit, den wahren Interessen seiner Bevölkerung entgegengesetzt. Aus den Tiefen der göttlichen Gnadengaben an den Menschen dringt ein Widerhall auf die Bekräftigung jener Einheit, die unserem Zeitalter seine Hauptantriebskraft und Richtung gibt. Die Gesellschaft befindet sich in einem Wandlungsprozeß; sie muß eine neue Ordnung zustandebringen, die auf die Ganzheit aller menschlichen Beziehungen gegründet ist.

III.

Die Grundrechte des Menschen wurden in der Vergangenheit von zahlreichen Völkern unter verschiedenen gesellschaftlichen Verhältnissen in rechtliche Form gebracht: so das Bürgerrecht, als das Volk anstelle der Dynastie die Nation verkörperte; das Recht auf kodifiziertes Gesetz, als geschriebene Verfassung das Gewohnheitsrecht und die Überlieferung ersetzten; das Recht auf die Unverletzlichkeit der Person und des Eigentums, als der Staat den sich befehdenden Interessentengruppen seinen Frieden aufzwingen konnte; das Recht auf freie Berufswahl und Freizügigkeit, als der einzelne Mensch nicht länger an die Scholle gebunden war. Eine Geschichte dieser Rechte könnte die wichtigsten sittlichen Errungenschaften des Menschengeschlechts in seinem unaufhörlichen Kampf um die Bildung einer dauerhaften Gesellschaftsordnung aufzeigen.

Bewährungsprobe für unseren Willen

Ein Recht ist jedoch nur dann gültig und wirksam, wenn hinter ihm eine unabhängige, souveräne Staatsgewalt steht. Unser ererbtes Rechtssystem ist in Frage gestellt, seitdem der Nationalstaat seine eigentliche Souveränität verloren hat. Um die Grundrechte der Vergangenheit wieder zur Geltung zu bringen und mit wichtigen neuen Rechten auf der Höhe unserer Zeit zu bleiben, brauchen wir eine Weltsouveränität. Die gesamte Rechtsauffassung hat sich gewandelt. Früher bedeutete ein Recht den Schutz gegen einen Übergriff; heute ist es die Verteilung von gesellschaftlichem Status unter der Menschheit. Zum ersten Mal in der Geschichte menschlicher Erfahrung läßt sich heute das sittliche Gesetz und das gesellschaftliche Gesetz zu einer Einheit verschmelzen, wenn die Menschheit als Ganzes dem gleichen Recht unterworfen wird. Alles Umfassende ist geistige Wahrheit, alles Beschränkte und Parteiische ist menschliche Ansichtssache.

Das Recht und die Pflicht, in einer gesitteten Gesellschaft zu leben, ist zur Entscheidungsfrage, zur Bewährungsprobe für unseren Willen zu überleben geworden. Der moderne Daseinskampf, der sich die Nationen zum Werkzeug gemacht hat, ist kein Krieg der Völker oder der Herrscherhäuser, sondern ein Krieg der Wertordnung. Diese Auseinandersetzung über Werte löst sich auf in einem Kampf zwischen denjenigen Menschen, die sich zu einer Menschengemeinschaft und einem umfassenden Staatswesen vereinigen wollen und müssen, und jenen, die getrennt, verschiedenartig und selbstherrlich bleiben wollen und müssen. Der Nationalstaat ist in sich selbst zerrissen und in Kämpfe verwikkelt, die das bewußte Verhalten der einzelnen Menschen mit Beschlag belegen. Aber in dem Maße, wie dieser Nationalstaat als ganzheitlicher Organismus handeln kann, wird er an der grundlegenden Wertentscheidung teilnehmen müssen. Kein Mensch und kein gesellschaftlicher Organismus kann seiner Bestimmung entgehen.

Die wahre Bestimmung des Nationalstaates ist es, die Brücke von der örtlichen Selbstverwaltung zur Welteinheit zu schlagen. Der Nationalstaat kann sein eigenständiges Erbe nur insofern bewahren und seine Aufgaben nur insoweit erfüllen, als er zur Einrichtung einer Weltsouveränität beiträgt. Volk und Staat müssen als starke Pfeiler die neuen Einrichtungen tragen, welche den höchsten und endgültigen Ausdruck menschlicher Beziehungen in einer geordneten Gesellschaft darstellen. Wenn wir die Erfüllung der historischen Aufgabe, die unser Zeitalter an Völker und Staaten stellt – die Pflicht zur Vereinigung – hinauszögern, leisten wir subversiven Kräften Vorschub, die Verwirrung zur Waffe und Chaos zum Ziel haben.

IV.

Der Sinn dieser Erklärung ist nicht, alle wünschenswerten Menschenrechte aufzuzählen, sondern einen Zugang zum Wesen der Grundrechte zu eröffnen. Nach unserer Definition ist ein Menschenrecht der durch eine sittlich gefestigte, souveräne Gebietskörperschaft in gesellschaftsrechtliche Form gebrachte Ausdruck der göttlichen Gnaden für den Menschen. Ein Recht erhält erst dann gesellschaftliche Form, wenn es ein sittlicher Wert geworden ist, den die Glieder der Gemeinschaft als eine für die menschlichen Beziehungen notwendige Eigenschaft vertreten und verfechten.

Zu den menschlichen Grundrechten, die die neue Weltära kennzeichnen, gehören diejenigen, welche sich mit (1) dem Einzelmenschen, (2) der Familie, (3) der Rasse, (4) Arbeit und Vermögensbildung, (5) Erziehung, (6) Religionsausübung und (7) der Gesellschaftsordnung befassen.

(1) Der Mensch ist ebensosehr ein geistiges Wesen, wie er ein Mitglied der Gesellschaft ist. Seine Geistnatur drückt sich in sittlich gefestigten Beziehungen innerhalb des gesamten Bereichs der Gemeinschaft aus; sie verkümmert in einem Zustand der Entfremdung und der Absonderung auf sich selbst, die Familie, die Rasse oder die Gesellschaftsschicht. Die Pflicht jedes einzelnen ist es, den Bedürfnissen einer fortschreitenden Gesellschaft zu dienen. Immer wenn die Gemeinschaft Forderungen an den einzelnen stellt, die der vorherrschenden sittlichen Norm zuwiderlaufen, oder wenn sie es duldet, daß nichtöffentliche Mächte solche Forderungen dem einzelnen auferlegen, befindet sich diese Gemeinschaft in der Gefahr der Zersetzung; denn das Sittengesetz gilt auch für alle großen und kleinen Einrichtungen und Gemeinschaften.

Es muß die Gewähr für eine gleichmäßige Norm an Menschenrechten geboten sein; den Einzelmenschen müssen gleiche Möglichkeiten geboten sein. Mannigfaltigkeit, nicht Einförmigkeit ist der Grundzug einer organischen Gesellschaftsordnung. Da ein Mangel an Möglichkeiten, verbunden mit Repressionen und entwürdigenden Lebensbedingungen, Menschenmassen entstehen ließ, die unfähig sind, ihre bürgerlichen Pflichten zu erfüllen, sind diese Menschen dem Gewissen aller übrigen als Treubesitz auferlegt: Alle müssen dazu beitragen, die Unwissenden zu erziehen, die Unreifen zu entwickeln und die Kranken zu heilen.

Die Rechte der modernen Gemeinschaft

(2) Wenn der Mensch die geistige Grundeinheit des Menschengeschlechts ist, ist die Familie die unverletzliche, göttlich geschaffene gesellschaftliche Grundeinheit. Dem Recht auf Selbstbehauptung des einzelnen ist das Recht der Familie gleichzusetzen, sich unter Bedingungen zu erhalten, die für Leib, Seele und Geist zuträglich sind. Während das mündige Einzelwesen die politische Einheit ist, stellt die Familie die wirtschaftliche Einheit dar; ihr Einkommen schafft die Grundlage des Familienlebens und der Wohlfahrt.

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der modernen Gemeinschaft gibt der Familie eine neue und stärkere Verbindung mit den Kräften, die die sittliche Entwicklung bewirken.

(3) Die Mitglieder der nationalen Gemeinschaft sind in vielen Ländern aus rassischen Gruppen zusammengesetzt, die auf verschiedenen Entwicklungsstufen stehen. Die Lebensbedingungen, die in der Vergangenheit zu besonderen rassischen Gruppierungen und Charakteristiken führten, werden nach und nach schwächer. Den Rechten der Rasse sind die Rechte und Bedürfnisse der modernen Gemeinschaft überlegen. Rassische Vorrechte können nur aufgegeben werden, wenn an ihre Stelle die Rassengleichheit in der Teilhabe an den höheren Rechten und Vergünstigungen tritt, wie sie eine vielrassige Gesellschaft mit sich bringt.

(4) Die Arbeit, die der einzelne in Gewerbe, Kunst oder freiem Beruf leistet, ist der Wesenskern seiner Lebensentfaltung und nicht nur die Quelle seines Unterhalts. Arbeit, die im Geist des Dienens verrichtet wird, kann heute als Gottesdienst angesehen werden. Die Arbeitspflicht ist ihrem Wesen nach eine sittliche Pflicht, die nicht durch Reichtum aufgehoben wird. Die Gemeinschaft hat keinerlei Verpflichtungen gegenüber denen, die arbeiten können, sich aber weigern, es zu tun.

Der Anspruch auf Lebensunterhalt gründet sich auf Arbeit. Darüber hinaus hat der Arbeiter Anspruch auf einen Anteil am Gewinn des Unternehmens.

Vermögen bildet sich durch die Koordination vielfältiger, auf den Einsatz von Kapitalgütern und Rohstoffen gerichteter Arbeitsleistungen. Eine gesunde Wirtschaft befaßt sich mit dem Gesamtprozeß in der Mannigfaltigkeit seiner menschlichen Beziehungen und sucht nicht den Vorgang auf bestimmte Gruppenvorteile auszurichten, ob es sich nun um das Eigentum, die Unternehmensführung, das technische Know-how, das handwerkliche Können oder den Verbrauch handelt. Vermögen ist zum Teil Recht des einzelnen, zum Teil Recht der Gemeinschaft. Unter den Bedingungen internationalen Wettbewerbs entsteht verzweifelte soziale Not, wenn keine gerechte Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Vermögen gemacht werden kann. Wahrer Rechtssinn und echte Gesellschaftsphilosophie erwarten die Bildung weltweiter Einrichtungen und die Vorherrschaft weltweiten Denkens.

Die Aberkennung des Rechts und der Macht der Nationen, Kriege zu führen, stellt den ersten Schritt auf dem Weg zu allseitiger Vermögensbildung und gesunder Wirtschaftsführung dar. Ohne Weltwirtschaft wird das Menschengeschlecht die Früchte der Zivilisation nicht ernten.

(5) Die Wurzeln der Erziehung liegen in den Gaben Gottes an den Menschen; zu allen Zeiten waren die Propheten die umfassenden Erzieher der Menschheit.

Ziel der Erziehung ist, dem einzelnen Menschen die Herrschaft über sich selbst, eine schöpferische Beziehung zur Gesellschaft und die Erkenntnis seines Platzes im Weltganzen zu verleihen. Die Erziehung befaßt sich mit dem ganzen Menschen, mit seinem Verstand, seinen Gefühlsregungen und seiner Willensbildung. Die jetzt noch bestehende Unterscheidung zwischen schöngeistiger, wissenschaftlicher, technischer, politischer und religiöser Bildung erzeugt unvollständige und unausgeglichene Persönlichkeiten. Falsch erzogene Menschen erleben jede schwerere Gesellschaftskrise von verschiedenen Blickwinkeln aus in solcher Weise, daß jeder seine parteiische Auffassung rechtfertigt.

Die Erziehung dauert das ganze Leben an. Unwissenheit in Dingen, die Erwachsene angehen, ist schlimmer, wenngleich schwieriger wahrnehmbar als Unwissenheit bei Kindern. Das Menschenrecht auf Erziehung ist das Recht, sich in den Gesamtprozeß kultureller Aufwärtsentwicklung einzuschalten. Schulformen, die erstarrte Einstellungen und Gefühlsschablonen erzeugen, können nicht mehr als erzieherisch gelten.

(6) Das Menschenrecht auf Religionsoder Gewissensfreiheit ist und bleibt nur eine zwangsweise gesetzliche Schutzmaßnahme für verschiedenartigste Religionsgemeinschaften, die ihre besonderen Glaubenssysteme ausüben und verkünden können, bis dem einzelnen Menschen ein ausreichendes Maß an geistiger Erkenntnis gewährt wird, damit er zu seiner eigenen, gereiften und unabhängigen Entscheidung über das Wesen des Glaubens gelangt.

Seitdem es wissenschaftlich erwiesen ist, daß es sich bei dem Drang zur Anbetung um einen allgemein-menschlichen Wesenszug handelt, der mit einer unendlichen Zahl von mehr oder weniger zeitgebundenen Andachtsübungen, Sittengesetzen und Gesellschaftsformen verknüpft ist, besteht kein wesentlicher Grund mehr, warum dieser Instinkt nicht in der Loyalität gegenüber der Menschheit und in der Hingabe an die Sache der Welteinheit erneut bekräftigt werden könnte. Der Gott der Menschheit kann nicht länger als völkische Kraftquelle, als Selbstbehauptungswille einer Nation oder gar als konfessionelles Geschenk der persönlichen Erlösung dargestellt werden. Die reine Offenbarung Gottes wurde der Menschheit von Zeitalter zu Zeitalter durch Seine Propheten und Boten geschenkt. Zweitrangige und begrenzende Religionsformeln verlängern die Gesinnungskrise der Gegenwart, die den einzelnen Menschen für die Verheißung eines neuen Weltzeitalters blind macht.

Weltordnung ist nichts anderes als die administrative Ausprägung der Brüderlichkeit, und des Menschen Recht auf gesellschaftliche Ordnung kann nicht von seinem Recht auf eine Weltreligion getrennt werden.

(7) Jedes Zeitalter hat seine besondere Aufgabe. Die Bildung einer Weltordnung ist eine Pflicht, die der heutigen Menschheit auferlegt ist.

Weltordnung ist heute gesetzlich möglich, gesellschaftlich unumgänglich und göttlich befohlen. Das Prinzip der Föderation hat schon früher unabhängige Gemeinschaften vereinigt, die nach Rasse, Sprache, Religion und Bevölkerungszahl voneinander abwichen. Die Nationen können einen gerechten Ausdruck für ihre angemessenen Ansprüche und Bedürfnisse finden, wenn sie in einer übernationalen Körperschaft ihrer Größe entsprechend vertreten sind. So lange das Weltbürgerrecht nicht als gesellschaftliche Norm garantiert ist, werden die in der Vergangenheit entwickelten menschlichen Rechte und Freiheiten durch die Zerrüttung der modernen Gesellschaft untergraben.

Errichtung eines Weltgemeinwesens

Bis zur Schaffung einer übernationalen Ordnung haben die bestehenden Regierungen das Recht, von ihren Bürgern bei allen Regierungsgeschäften und Entscheidungen Treue und Gehorsam zu verlangen. Ausgenommen hiervon ist eine Einmischung in den Glauben des einzelnen Menschen an Gott und Seine Propheten.

Das hier bekräftigte Ordnungsdenken setzt die Errichtung eines Weltgemeinwesens voraus, das alle Nationen, Rassen, Bekenntnisse und Gesellschaftsklassen vereinigt und die Autonomie seiner Mitgliedstaaten wie auch die persönliche Freiheit und Initiative jedes einzelnen Menschen verbürgt. Dieses Weltgemeinwesen sollte aus einer Weltlegislative bestehen, die als Treuhänderin der ganzen Menschheit wirkt und diejenigen Gesetze erläßt, die notwendig sind, um das Zusammenleben aller Völker und Rassen zu regeln, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ihre Beziehungen in geordnete Bahnen zu lenken. Eine Weltexekutive sollte, gestützt auf eine internationale Streitmacht, die Gesetze und Entscheidungen der Weltlegislative durchführen und die organische Einheit des ganzen Gemeinwesens sichern. Bei allen Streitfragen sollte ein Weltgerichtshof das höchste, allgemeingültige Urteil fällen.

„Die Erde ist nur ein Land und die Menschheit ihre Bürgerschaft“ (Bahá’u’lláh 1869).

Aus »Bahá’í-Briefe«, Heft 34 (1968), Seite 864–871

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