Internationale Gesetzgebung für Umwelt und Entwicklung

Statements

Internationale Gesetzgebung für Umwelt und Entwicklung

Eine Erklärung der Internationalen Bahá’í-Gemeinde übergeben an die Arbeitsgruppe III der 3. Tagung des Vorbereitungsausschusses für die Konferenz über Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCED)

Genf—13 August 1991

Vor etwas mehr als hundert Jahren sprach Bahá’u’lláh in einer Reihe von Briefen an die damaligen Herrscher der Welt davon, daß für die Menschheit ein zeitgeschichtlicher Abschnitt beginnt, der für das Leben auf diesem Planeten eine radikale Neugliederung mit sich bringen wird. Herausforderungen, die zuvor niemandem in den Sinn kamen, werden, so sagte Er, bald die Ressourcen selbst der fortgeschrittensten Nationen verschlingen. Ihnen könne nur mit einem Weltbundsystem begegnet werden, dessen Zentralorgan ein repräsentatives Weltparlament wäre, das die Macht hat, ein weltweit vereinbartes und durchsetzbares Recht zu schaffen. “Die Erde ist nur ein Land”, versicherte Bahá’u’lláh, “und alle Menschen sind seine Bürger”.[i]

Da Ausmaß, Kompliziertheit und Dringlichkeit der Umweltprobleme sich Schritt für Schritt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erzwangen, wird die Logik dieser Leitlinie täglich deutlicher. Die verfügbaren internationalen gesetzgebenden Einrichtungen und deren Verfahren erweisen sich als unzulänglich, vor allem auf Grund der Tatsache, daß sie auf Gesetzen beruhen, die für Nationalstaaten maßgebend sind. Ehe nicht bessere, kreative Maßnahmen zur Neugliederung der internationalen Ordnung ergriffen werden können, davon ist die Internationale Bahá’í-Gemeinde überzeugt, wird allein die Verschlechterung der Umwelt und deren Langzeitfolgen für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung unerbittlich zu einer Katastrophe entsetzlichen Ausmaßes führen.

Die derzeitige Methode, mit der eine internationale Gesetzgebung geschaffen werden soll, wobei man sich jedoch jeweils nur mit einem Problem befaßt, ist bruchstückhaft und unsystematisch. Zu so verschiedenen Fragen wie dem Schutz der Ozonschicht und der Kontrolle über internationalen Handel mit gefährlichen Abfällen wurden Übereinkommen, Verträge und Protokolle angenommen. Über weitere Konventionen zum Klimawandel und zur biologischen Vielfalt wird verhandelt, und mehrere wurden noch zu Fragen wie den auf dem Festland angesiedelten Ursachen der Meeresverschmutzung vorgeschlagen. Es gibt weder ein zentrales Organ, das internationales Umweltrecht abfaßt, noch konnten sich die Nationen der Welt auf eine Reihe von Prinzipien einigen, die eine Basis für eine Umweltgesetzgebung bilden könnten. Zudem unterzeichnen selten dieselben Länder die verschiedenen gesetzgebenden Dokumente. Deshalb ist es nahezu unmöglich, Vereinbarungen aufeinander abzustimmen oder zu kombinieren.

Der internationale Gesetzgebungprozess ist dafür bekannt, langsam, schwerfällig und kostspielig abzulaufen. Wenn ein Problem einmal identifiziert ist, werden Expertentagungen einberufen, um einen Entwurf für ein Abkommen vorzubereiten. Die daran interessierten Regierungen verhandeln über das Abkommen, und bei einer Tagung der Regierungsbevollmächtigten wird es unterzeichnet. Treten dann nach einem oft sehr langen Zeitraum für Ratifikation und Beitritt die gegebenen Gesetze inkraft, geschieht dies nur in den Unterzeichnerstaaten. Im allgemeinen wird ein Büro eingerichtet, das die Durchführung der Konvention fördert und überwacht. Wenn das erlassene Gesetz geändert werden muß, wie das beim Montrealer Protokoll der Fall war, als durch die angestiegene Zerstörung der Ozonschicht die Bestimmungen des Protokolls überholt waren, kann die Aktualisierung ebenso langsam vorsichgehen, wie die Annahme der Konvention. Viele Länder, die nur über eine begrenzte Anzahl Diplomaten und Experten verfügen, sind solchen zeitraubenden und teuren Verfahren nicht gewachsen, besonders weil die Anzahl der Verhandlungen als Antwort auf die dringlichen globalen Umweltprobleme ständig steigt.

Das derzeitige ad hoc Verfahren für Umweltgesetzgebung wird nur noch schwerer zu handhaben sein. Für die Bereitstellung weltweiter Mechanismen, die ein nachhaltiges Entwicklungsmodell schaffen und stützen sollen, wurden zahlreiche Vorschläge gemacht. Einige Experten raten, das bestehende UN-System zu stärken, indem die Vollmachten von ausführenden Organen wie dem UN-Umweltprogramm (UNEP) höher eingestuft werden, der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) eine Umbildung erfährt oder der Treuhandrat zur Verwaltung bestimmter globaler Ressourcen eingesetzt wird. Andere schlagen neue Organe vor wie z.B. einen Umweltsicherheitsrat, einen Weltgerichtshof für Umweltrecht oder ein internationales Verhandlungsgremium für Umweltfragen, das die internationale Gesetzgebung zu Problemen, die globale Aktionen erfordern, vorbereitet, annimmt und revidiert.

Wie wohlgemeint und hilfreich solche Vorschläge auch sein mögen, für die Internationale Bahá’í-Gemeinde liegt auf der Hand, daß der Aufbau eines nachhaltigen Entwicklungsmodells eine komplizierte Aufgabe mit weitreichenden Auswirkungen darstellt. Sie erfordert offenkundig eine neue Ebene des Engagements bei der Lösung größerer Probleme, die nicht ausschließlich mit der Umwelt zu tun haben. Zu diesen Problemen gehört die Militarisierung, der übermäßige Besitztumsunterschied innerhalb und unter den Nationen, der Rassismus und die fehlende Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Einer bröckchenweisen Methode aufgrund der Bedürfnisse von Nationalstaaten ist die Annahme eines Rahmenabkommens, das bestimmte internationale Gesetzesregelsn verkündet, deutlich vorzuziehen.

Langzeitlösungen werden eine neue und umfassende Sichtweise einer globalen Gesellschaft erfordern, unterstützt durch neue Werte. Aus der Sicht der Internationalen Bahá’í-Gemeinde ist die Anerkennung der Einheit der Menschheit die erste, grundlegende Voraussetzung für diese Reorganisation und Verwaltung der Welt als ein Land, die Heimat der Menschheit. Die Anerkennung dieses Prinzips bedeutet nicht das Ablegen legitimer Loyalität, die Unterdrückung kultureller Vielfalt oder die Abschaffung nationaler Autonomie. Sie verlangt eine umfassendere Loyalität, ein viel höheres Streben als bisher menschliche Bemühungen angespornt hat. Sie verlangt deutlich die Unterordnung nationaler Impulse und Interessen unter die gebieterischen Ansprüche einer vereinten Welt. Sie stimmt weder mit irgend einem Versuch überein, Uniformität aufzuerlegen, noch mit irgend einer Tendenz zu übermäßiger Zentralisierung. Ihr Ziel wird durch das Konzept der “Einheit in Mannigfaltigkeit” richtig erfaßt.

In den Bahá’í-Schriften wird ein weltweites föderatives System ins Auge gefaßt, in welchem dem Vorschlag Bahá’u’lláhs entsprechend “…alle Nationen der Erde willig den Anspruch, Krieg zu führen, gewisse Rechte der Erhebung von Steuern und alle Rechte auf Kriegsrüstung außer zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in ihren Gebieten abtreten…”[ii] Zu diesem Weltgemeinwesen wird eine “Weltlegislative” gehören, “deren Mitglieder als Treuhänder der ganzen Menschheit die gesamten Hilfsquellen aller Mitgliedstaaten überwachen. Sie muß die erforderlichen Gesetze geben, um das Leben aller Rassen und Völker zu steuern, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ihre wechselseitigen Beziehungen anzupassen. Eine Weltexekutive, gestützt auf eine internationale Streitmacht, wird die Beschlüsse jener Weltlegislative ausführen, deren Gesetze anwenden und die organische Einheit des ganzen Gemeinwesens sichern. Ein Weltgerichtshof wird seine bindende, endgültige Entscheidung in sämtlichen Streitfragen, die zwischen den vielen Gliedern dieses allumfassenden Systems auftreten können, fällen und zustellen…”[iii] Im Rahmen eines solchen geordneten Ganzen wird ein “…einheitliches System internationalen Rechts als Ergebnis der wohlüberlegten Entscheidung der weltweit vereinigten Volksvertreter durch das sofortige, zwingende Eingreifen der vereinten Streitkräfte der Verbündeten sanktioniert…”[iv]. Gleichzeitig wird “…die Autonomie seiner nationalstaatlichen Glieder sowie die persönliche Freiheit und Selbständigkeit der einzelnen Menschen, aus denen es gebildet ist, ausdrücklich und völlig gesichert…”[v] sein.

Daher bittet die Internationale Bahá’í-Gemeinde den Vorbereitungsausschuß dringend, kühne und kreative Ansätze zur Schaffung internationaler gesetzgebender Einrichtungen und Verfahrensweisen in Erwägung zu ziehen. Ohne ein Bild von der Zukunft ist keine wirkliche Veränderung möglich. Die vorgelegte Erdcharta kann wesentlich dazu beitragen, eine vereinende Vorstellung von der Zukunft zum Ausdruck zu bringen und kühn die Werte  zu bekräftigen, auf die sie begründet sein muß. In seiner Arbeit am Text wird der Vorbereitungsausschuß unter Umständen den Wunsch haben, die Verheißung des Weltfriedens, eine Erklärung an die Völker der Welt, die das Universale Haus der Gerechtigkeit zur Unterstützung des Internationalen Jahres des Friedens der Vereinten Nationen veröffentlicht hat, heranzuziehen.

Die Bahá’í in aller Welt betrachten die Entwicklung des UNCED-Programms als bedeutende Bestätigung des Optimismus, den sie für die Zukunft der Menschheit empfinden. Wir glauben, daß – ermächtigt durch die weltweite Erkenntnis der Gefahren, die derzeit den Planeten bedrohen – die Regierungen der Welt dazu gebracht werden können, mutig im Namen der gesamten Menschheit zu handeln. Das Ergebnis wird möglicherweise nicht nur eine wirkungsvolle Reaktion auf die jetzigen Umwelt- und Entwicklungsprobleme sein, sondern ein weiterer riesiger Schritt in Richtung auf den Aufbau eines föderativen Systems, das in der Lage ist, sich der gesamten Bandbreite an Herausforderungen anzunehmen, der sich die rasch zusammenwachsende Menschheit gegenübersieht.

[i] Botschaften aus ‘Akká, 11:13

[ii] Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 66

[iii] Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 297

[iv] Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 67

[v] Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 296, 297