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Jahrzehnt für Menschenrechtserziehung der Vereinten Nationen

Jahrzehnt für Menschenrechtserziehung der Vereinten Nationen

Schriftliche Erklärung zum Jahrzehnt der Menschenrechtserziehung der Vereinten Nationen, vorgelegt der UN-Menschenrechtskommission

Genf—15 March 1996

Die Internationale Bahá'í-Gemeinde begrüßt rückhaltlos die Proklamation des Jahrzehnts für Menschenrechtserziehung (fortan “Jahrzehnt”). Wir glauben, dass zur Verwirklichung der Menschenrechte eine entsprechende Schulung unerlässlich ist. Aus unserer Sicht ist eine Erziehung, die Herz und Sinn jedes Menschen das Bewusstsein und das Gespür für die Menschenrechte einprägt, ein unentbehrliches Instrument, um die internationalen Menschenrechtsnormen zu untermauern und zu verwirklichen.

Wir begrüßen ganz besonders den Nachdruck, den die Menschenrechtskommission auf die Wichtigkeit eines ganzheitlichen erzieherischen Weges setzt. So drückt die Kommission z.B. in ihrer Resolution 1995/14 ihre Überzeugung aus, dass „Menschenrechtserziehung, formell oder informell, mehr beinhalten sollte als das Vermitteln von Informationen. Sie sollte einen umfassenden Vorgang auf Lebenszeit bilden, durch den Menschen aller Entwicklungsstufen und aller Gesellschaftsschichten die Achtung vor der Würde anderer anerkennen [z.B.] sowie die Mittel und Wege lernen, um diese Achtung in allen Gesellschaften sicherzustellen." Außerdem hat die Kommission die inspirierenden Worte des Artikels 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wiederholt, der verkündet: "Die Bildung ist auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten zu richten.“ (1)

Der vom Hochkommissar für Menschenrechte vorbereitete Aktionsplan spiegelt diese geschlossene Bildungsidee wider, indem er die Menschenrechtserziehung darstellt als „Ausbildungs-, Verbreitungs- und Informationsbemühungen, die eine weltweite Menschenrechtskultur aufbauen sollen durch die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten sowie  die Ausformung vonEinstellungen, die darauf abzielen:

a)      die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten zu stärken;

b)      die menschliche Persönlichkeit und den Sinn für deren Würde voll zu entfalten;

c)      Verständnis, Toleranz, Gleichheit der Geschlechter und Freundschaft unter allen Nationen, Urvölkern sowie rassischen, nationalen, ethnischen, religiösen und sprachlichen Gruppen zu fördern;

d)      eine wirkungsvolle Beteiligung aller Personen an einer freien Gesellschaft zu ermöglichen; und

e)      die Aktivitäten der Vereinten Nationen zur Friedenssicherung zu unterstützen.“ (2)

Die Internationale Bahá'í-Gemeinde greift diese Zielsetzungen bereitwillig auf. Wenn Menschenrechtserziehung Erfolg haben will, muss versucht werden, persönliche Einstellungen und Verhaltensweisen zu wandeln und dabei in jeder lokalen und nationalen Gemeinschaft eine neue "Kultur" der Achtung vor den Menschenrechten aufzubauen. Nur ein solcher Wandel in der grundsätzlichen Weltanschauung jedes einzelnen, ob Regierungsvertreter oder ganz gewöhnlicher Bürger, kann schlussendlich die weltweite Beachtung der Menschenrechtsprinzipien im täglichen Leben der Völker zustande bringen. Letzten Endes werden die Menschenrechte einer Person von anderen Personen respektiert und geschützt - oder verletzt -, selbst wenn diese in offizieller Mission handeln. Folglich ist unbedingt nötig, die Herzen aller Menschen zu berühren und ihr Verhalten zu verbessern, wenn die Menschenrechte nach dem Wortlaut des Aktionsplanes „von der Formulierung abstrakter Normen“ in die „Realität … sozialer, wirtschaftlicher, kultureller und politischer Bedingungen“, die die Menschen täglich erleben, umgeformt werden sollen. (3)

Die Bahá'í-Lehren verfechten seit langem die Ansicht, dass sowohl sittliche als auch intellektuelle Erziehung unentbehrlich sind, um dem Menschen seine ganzen Kräfte bewusst zu machen, mit denen er als Mitglied einer sozial und geistig fortschrittlichen Gemeinschaft seinen Beitrag leisten kann. Bahá'u'lláh, der Stifter des Bahá'í-Glaubens, verkündete: „Der Mensch ist der höchste Talisman. Der Mangel an geeigneter Erziehung hat ihn jedoch dessen beraubt, was er seinem Wesen nach besitzt.“ Des Weiteren hat Bahá'u'lláh geraten: „Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert. Nur die Erziehung kann bewirken, daß es seine Schätze enthüllt und die Menschheit daraus Nutzen zu ziehen vermag.“ (4)

Die nach Bahá'í-Ansicht erforderliche Erziehung, die des Menschen Sinn und Geist bereichert, muss auf die Entwicklung jener fundamentalen sittlichen Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Höflichkeit, Großzügigkeit, Mitgefühl, Gerechtigkeit, Liebe und Vertrauenswürdigkeit ausgerichtet sein, deren Auswirkung im täglichen Leben der Menschen imstande sind, harmonische, leistungsfähige Familien und Gemeinschaften zu schaffen und deren Mitgliedern den Genuss der Grundrechte ausnahmslos zu gewährleisten. Außerdem muss eine solche Erziehung mithelfen, jeden einzelnen mit einem klaren, emotional verwurzelten Bewusstsein von der elementaren Einheit der Menschheit zu durchdringen. So wie die Menschen damit beginnen, sich gegenseitig als Mitglieder einer Menschheitsfamilie anzusehen, werden sie bereit sein, negativ gebildete Klischeevorstellungen zu verwerfen. Sie werden damit beginnen, Menschen anderer ethnischer Gruppen, Nationalitäten, Klassen und Glaubensrichtungen eher als potentielle Freunde statt als Bedrohung oder Feinde zu betrachten.

Die als Teil des Jahrzehnts eingesetzten Schulungsprogramme sollten auch ein größeres Verständnis dafür fördern, dass zu jedem Recht eine entsprechende Verantwortlichkeit gehört. Das Recht, vor dem Gesetz als Person anerkannt zu werden, beinhaltet z.B. die Verantwortlichkeit des Gehorsams gegenüber dem Gesetz, um sowohl das Gesetz wie das Rechtssystem gerechter zu machen. Ebenso bringt im sozioökonomischen Bereich das Recht zur Verehelichung die Verantwortung für den Unterhalt der Familieneinheit, die Erziehung der Kinder und die respektvolle Behandlung aller Familienmitglieder mit sich. Das Recht auf Arbeit kann von der Verantwortung, Pflichten nach bestem Können zu erfüllen, nicht getrennt werden. Im weitesten Sinne verlangt der Begriff „allgemeine“ Menschenrechte die Verantwortung gegenüber der Menschheit als Ganzem. Dieses Wechselspiel zwischen Rechten und Verantwortlichkeiten wurde vor etwa 50 Jahren im Artikel 29 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte anerkannt, und es wurde im Aktionsplan neu bekräftigt. (5) Dementsprechend sollte die Menschenrechtserziehung sich darauf konzentrieren, die Verbindung zwischen Rechten und Pflichten im Bewusstsein der Menschen zu entwickeln und klarzustellen, dass jeder von uns für den Schutz der Rechte unserer Mitmenschen persönlich mitverantwortlich ist.

In ihrem aus Anlass des 50. Jahrestages der Gründung der Vereinten Nationen veröffentlichten Statement „Wendezeit für die Nationen“ rief die Internationale Bahá'í-Gemeinde dazu auf, eine weltweite Kampagne zur Förderung ethischer Erziehung zu starten. (6) Wir Bahá'í sind der Meinung, dass ethische Schulung unerlässlich ist, wenn eine „Universale Menschenrechtskultur“, wie der Aktionsplan sie sich vorstellt, Wirklichkeit werden soll. Da die ethische Grundstruktur des Menschen in ganz frühem Alter ausgebildet wird, unterstützen wir nachdrücklich die Forderung des Aktionsplanes, mit der Menschenrechtserziehung schon in der frühen Kindheit zu beginnen. (7) Wir ermutigen die Regierungen und Nichtregierungsorganisationen – einschließlich religiöser Organisationen –, darüber nachzudenken, wie man eine Sensibilität für Menschenrechte, Einheit der Menschheit und Verantwortung anderen Menschen gegenüber in Schulungsprogramme für ganz kleine Kinder einbauen kann. Und da die Mädchen die Mütter und ersten Erzieherinnen der nächsten Generation sein werden, empfehlen wir außerdem, im Falle begrenzter Mittel für die Schulung den Mädchen den Vorrang einzuräumen.

Die Bahái-Schriften bekräftigen schließlich, dass die Religion das Hauptinstrument „zur Errichtung der Ordnung in der Welt und für die Ruhe ihrer Völker“ (8) ist. Wir sind überzeugt, dass religiöse Organisationen eine besonders wichtige Rolle spielen müssen, wenn die hier von uns beschriebene wertezentrierte Schulung ausgearbeitet und bereitgestellt wird. Deshalb begrüßen wir, wenn sie in den Aktionsplan ausdrücklich mit einbezogen werden.

In 173 Ländern arbeiten die Bahá'í-Gemeinden bereits an beidem. Sie fördern und stellen Schulungsprogramme zur Verfügung, aufgebaut auf dem Prinzip der Einheit der Menschheit, die Achtung für die Rechte anderer, ein Gespür für die Verantwortung gegenüber dem Wohlergehen der Menschheitsfamilie und die ethischen Merkmale, die zu einer gerechten, harmonischen und friedvollen Weltkultur beitragen, heranzubilden trachten. Die Bahá'í arbeiten mit Hingabe an der Ausrottung jeder Art von Vorurteilen – auch den auf Rasse, ethnischer Herkunft, Religion, Geschlecht oder Nationalität beruhenden –, weil dies ein wesentlicher Grundsatz ihrer Religion ist, aber auch weil diese Vorurteile Hass schüren und sonst gute Menschen veranlassen, ihren Mitbürgern deren Rechte vorzuenthalten. Die Bahá'í arbeiten in ihren Wohngemeinden am Aufbau dieser neuen Kultur und fördern dabei das vorrangige Ziel des Jahrzehnts, die weltweite Verwirklichung der Menschenrechte zu erreichen.

Die Internationale Bahá'í-Gemeinde möchte den Vereinten Nationen und den damit befassten Gremien der Mitgliedstaaten, die Lehrpläne für das Jahrzehnt ausarbeiten, gerne jede für sie nützliche Erkenntnis, die sie in eineinhalb Jahrhunderten Erfahrung beim Fördern der Achtung vor den Rechten aller Menschen gesammelt hat, zur Verfügung stellen.

1. Resolution 1995/47 (3.März 1995) der Menschenrechtskommission

2. Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Aktionsplan für die UN-Dekade zur Menschenrechtserziehung, 1995-2004, Abschn. 2 (1995)

3. Aktionsplan, Abschn. 6

4. Bahá'u'lláh, Ährenlese 122, Bahá'í-Verlag 1980

5. Siehe Aktionsplan, Abschn. 21, der empfiehlt, dass die Öffentlichkeit „Ziel weitreichernder Informationen über Menschenrechtsbemühungen sei zu dem Zweck, sie über ihre Rechte und Verantwortlichkeiten im Rahmen der internationalen Menschenrechtsmittel aufzuklären“.

6. Internationale Bahá'í-Gemeinde, Wendezeit für die Nationen. Ein Statement der Internationalen Bahá'í-Gemeinde aus Anlass des 50. Jahrestages der Gründung der Vereinten Nationen – (1995)

7. Aktionsplan, Abschn. 25

8. Bahá'u'lláh, Botschaften aus 'Akká 6:19, Bahá'í-Verlag 1982

Wendezeit für die Nationen

Wendezeit für die Nationen

Vorschläge zum Thema Global Governance Ein Statement der Internationalen Bahá’í-Gemeinde

New York—1 October 1995
Die Vereinigung der ganzen Menschheit ist das Kennzeichen der Stufe, der sich die menschliche Gesellschaft heute nähert. Die Einheit der Familie, des Stammes, des Stadtstaates und der Nation ist nacheinander in Angriff genommen und völlig erreicht worden. Welteinheit ist das Ziel, dem eine gequälte Menschheit zustrebt. Der Aufbau von Nationalstaaten ist zu einem Ende gekommen. Die Anarchie, die der nationalstaatlichen Souveränität anhaftet, nähert sich heute einem Höhepunkt. Eine Welt, die zur Reife heranwächst, muß diesen Fetisch aufgeben, die Einheit und Ganzheit der menschlichen Beziehungen erkennen und ein für allemal den Apparat aufrichten, der diesen Leitgrundsatz ihres Daseins am besten zu verkörpern vermag.[i]
Shoghi Effendi, 1936

I. Überblick

Gelegenheit zum Innehalten

Das 20. Jahrhundert, eine der stürmischsten Abschnitte der Menschheitsgeschichte, zeichnet sich durch zahlreiche Umwälzungen, Revolutionen und die radikale Abkehr von der Vergangenheit aus. Einige dieser Umwälzungen – vom Niedergang des Kolonialismus und der großen Mächte des 19. Jahrhunderts bis zum Aufstieg und Fall der katastrophalen Experimente des Totalitarismus, Faschismus und Kommunismus – hatten höchst zerstörerische Auswirkungen, brachten Millionen von Menschen den Tod und führten zur Auslöschung von Traditionen und Kulturen und zum Zerfall ehrwürdiger Institutionen.

Andere Bewegungen und Entwicklungen waren jedoch positiver. Wissenschaftliche Entdeckungen und neuartige gesellschaftliche Einsichten spornten zu fortschrittlichen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen an. Der Weg wurde frei für ein neues Verständnis der Menschenrechte, die Bejahung individueller Würde, für größere Offenheit zu persönlicher und gemeinschaftlicher Leistung und mutige, neue Wege zur Entwicklung menschlichen Wissens und Bewußtseins.

Diese Zwillingsprozesse, der Niedergang alter Institutionen und das Aufblühen neuen Denkens, sind Zeugnisse eines gemeinsamen Trends, der sich in den vergangenen hundert Jahren deutlich beschleunigte: die wachsende gegenseitige Abhängigkeit und Integration der Menschheit.

Dieser Trend kann überall beobachtet werden: in der Verschmelzung der Weltfinanzmärkte – was wiederum die Tatsache widerspiegelt, daß die Menschheit von einer großen Zahl untereinander verflochtener Energie-, Nahrungs-, Rohstoff-, Technologie- und Informationsquellen abhängt –, bis zum Aufbau eines weltumspannenden Kommunikations- und Verkehrssystems. Der Trend spiegelt sich genauso im wissenschaftlichen Verständnis einer einzigen, uns allen gemeinsamen Biosphäre der Erde, was globaler Zusammenarbeit eine neue Dringlichkeit verleiht. Er zeigt sich zudem, wenn auch in einer destruktiven Weise, in dem Potential moderner Waffensysteme, deren Zerstörungskraft sich inzwischen auf einen Punkt zubewegt hat, an dem eine Handvoll Menschen in der Lage wäre, allem menschlichen Leben auf Erden ein Ende zu bereiten. Dieser Trend in seiner konstruktiven wie zerstörerischen Form ist inzwischen jedem bewußt; aber gerade hierdurch schmerzt uns das bereits vertraute Bild unseres blauen Planeten, der sich mit seiner fragilen Atmosphäre gegen das tiefe Schwarz des unendlichen Universums absetzt, ein Bild, das in uns die Vorstellung festigt, daß wir alle zu einer einzigen Menschheit gehören, reich an Vielfalt in unserer gemeinsamen Heimat.

Diese Entwicklung wird auch durch die Bemühungen der Nationen der Welt reflektiert, ein globales politisches System zu schmieden, das der Menschheit Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand sichert. Zweimal in diesem Jahrhundert hat die Menschheit versucht, eine neue internationale Ordnung zu schaffen. Jedesmal bemühte man sich, die langsam entstehende Anerkennung weltweiter Interdependenz mit einzubeziehen, aber gleichzeitig sollte die alles überragende nationale Souveränität unangetastet bleiben. Aus Sicht des nun endenden Jahrhunderts stellte der Völkerbund einen Durchbruch in der Entfaltung des Konzepts kollektiver Sicherheit und einen ersten, entscheidenden Schritt zu einer Weltordnung dar.

Durch den zweiten Versuch, der den verheerenden Schrecken des Zweiten Weltkrieges entsprang und sich auf eine hauptsächlich von den Siegern jener Feuersbrunst verfaßten Charta stützte, bietet sich seit fünfzig Jahren ein internationales Forum, quasi als letzte Zuflucht, eine einzigartige Institution, die den gemeinsamen Interessen der Menschheit als edles Symbol voransteht.

Als internationale Organisation haben die Vereinten Nationen gezeigt, daß die Menschheit zu gemeinsamen Aktionen in den Bereichen Gesundheit, Landwirtschaft, Erziehung und Bildung, Umweltschutz und des Wohlergehens der Kinder fähig ist. Sie haben unseren kollektiven moralischen Willen zur Schaffung einer besseren Zukunft bekräftigt, wie sich in der weit verbreiteten Akzeptanz der Menschenrechtskonventionen zeigt. Sie verdeutlichten das in der Menschheit tief verwurzelte Mitgefühl, wie die Bereitstellung von Spenden und Hilfskräften in Notfällen beweist. Und im wichtigsten Bereich der Friedensschaffung und Friedenserhaltung bahnten die Vereinten Nationen einen kühnen Weg in eine Zukunft ohne Krieg.[ii]

Gleichwohl erwiesen sich die allgemeinen Ziele der Charta der Vereinten Nationen als kaum realisierbar. Entgegen den hochgesteckten Hoffnungen ihrer Gründer begann mit der Errichtung der Vereinten Nationen vor fünfzig Jahren noch nicht das Zeitalter des Friedens und Wohlstands für alle.[iii]

Obwohl die Vereinten Nationen sicher eine Rolle bei der Verhinderung eines dritten Weltkrieges spielten, zeichnete sich das vergangene Jahrzehnt doch durch zahlreiche regionale und nationale Kriege aus, die Millionen Menschen das Leben kosteten. Kaum hatten die verbesserten Beziehungen zwischen den Supermächten die ideologischen Motive dieser Konflikte beseitigt, traten seit langem schwelende ethnische und religiös-fanatische Leidenschaften als Ursache für neue Gewaltausbrüche an die Oberfläche. Obwohl das Ende des Kalten Krieges die Gefahr eines globalen Vernichtungskrieges reduziert hat, sind die Technologien zur Vernichtung des ganzen Planeten – und zu einem gewissen Grad auch die ihnen zugrundeliegenden Leidenschaften – noch immer existent.

Auch in Bezug auf soziale Fragen dauern die gravierenden Probleme an. Zwar erzielen internationale Programme zur Förderung der Gesundheit, der nachhaltigen Entwicklung und der Menschenrechte einen Konsens auf höchster Ebene; gleichwohl hat sich die Situation vor Ort in vielen Gegenden verschlechtert, insbesondere durch die alarmierende Verbreitung militanten Rassismus und religiösen Fanatismus, das krebsartige Wuchern des Materialismus, die epidemieartige Zunahme der Kriminalität und des organisierten Verbrechens, das weit verbreitete Anwachsen sinnloser Gewalt, die sich ständig vergrößernde Schere zwischen Reichtum und Armut, die noch immer anhaltende Ungerechtigkeit gegenüber Frauen, die unmoralischen Auswüchse des ungezügelten Kapitalismus und die Zunahme politischer Korruption. Mindestens eine Milliarde Menschen leben in erniedrigender Armut, und mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung sind Analphabeten.[iv]

Während die beiden Prozesse des Zusammenbruchs und der Erneuerung die Welt auf einen gewissen Höhepunkt hinführen, bietet der 50. Jahrestag der Gründung der Vereinten Nationen eine willkommene Gelegenheit, innezuhalten und darüber nachzudenken, wie die Menschheit in ihrer Gesamtheit ihre Zukunft gestalten könnte. Es hat sich in der letzten Zeit tatsächlich eine große Zahl hilfreicher Vorschläge zur Stärkung der Vereinten Nationen und zur Verbesserung ihrer Fähigkeit, die Antworten aus der Völkergemeinschaft zu diesen Herausforderungen zu vereinigen, ergeben.

Diese Vorschläge kann man grob in drei Kategorien einteilen. Eine Gruppe befaßt sich vornehmlich mit verwaltungstechnischen und finanziellen Problemen innerhalb des UN-Systems. Eine andere Gruppe umfaßt die Vorschläge zur Umstrukturierung von Einrichtungen wie dem Wirtschafts- und Sozialrat, dem „Trusteeship Council“ und den Bretton-Woods-Wirtschafts-institutionen. Weitere Entwürfe betreffen Veränderungen der politischen Struktur der Vereinten Nationen, wie die Erweiterung des Sicherheitsrates und eine Überarbeitung der UN-Charta.[v]

Die meisten dieser Entwürfe haben konstruktiven Charakter, einige sind aber auch provokant. Eine der ausgewogensten und umsichtigsten Darstellungen ist der Bericht der „Commission on Global Governance“ mit dem Titel Nachbarn in Einer Welt, in dem Argumente für die allgemeine Anerkennung neuer Werte und für eine Strukturreform der Vereinten Nationen vorgetragen werden.[vi]

Es ist in diesem Geiste, wenn die Internationale Bahá’í-Gemeinde zur laufenden Diskussion und der Beratung derart lebenswichtiger Themen beitragen möchte. Unsere Ansichten basieren auf drei grundlegenden Elementen:

Erstens: Diskussionen über die Zukunft der Vereinten Nationen müssen im großen Zusammenhang der Entwicklung und Ausrichtung einer internationalen Ordnung gesehen werden. Die Vereinten Nationen entstanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gemeinsam mit anderen großen Organisationen. Zusammen werden diese nun die Entwicklung der neuen internationalen Ordnung bestimmen – und ihrerseits von dieser geformt werden. Daher sollten Aufgabe und Rolle, Handlungsprinzipien und sogar die Aktivitäten der Vereinten Nationen nur daraufhin untersucht werden, wie sie in die umfassende Zielsetzung einer internationalen Ordnung passen.

Zweitens: Da die Menschheit unteilbar ist, wird jeder Mensch geboren als ein der ganzen Welt anvertrautes Pfand. Diese Beziehung zwischen dem einzelnen und der Gesamtheit ist die moralische Grundlage für die meisten Rechte der Menschen, die die Vereinten Nationen zu definieren suchen. Sie dient auch der Bestimmung eines alles andere übersteigenden Zwecks der internationalen Ordnung bei der Festsetzung und Bewahrung der Rechte des einzelnen.

Drittens: Die Diskussionen über die Zukunft der internationalen Ordnung müssen die gesamte Menschheit einbeziehen und sie mitreißen. Diese Diskussionen sind derart bedeutsam, daß sie nicht nur auf den Kreis der führenden Personen in Regierungen, Wirtschaft, Wissenschaft, Religion und sonstigen gesellschaftlichen Gruppierungen beschränkt werden darf. Im Gegenteil, diese Entwicklungen müssen die Menschen, Frauen wie Männer, an der Basis der Gesellschaft einbinden. Durch eine solch breite Teilnahme wird ein sich selbst verstärkender Prozeß in Gang gesetzt und das Bewußtsein des Weltbürgertums und für eine erweiterte internationale Ordnung gefördert.

II. Den historischen Zusammenhang verstehen

Ein Aufruf an die Führer der Welt

Die internationale Bahá’í-Gemeinde betrachtet die derzeitige Verwirrung in der Welt und ihren katastrophalen Zustand als die natürliche Phase eines organischen Prozesses, der letztlich unvermeidlich zur Vereinigung der Menschheit in eine einzige Gesellschaftsordnung in den Grenzen dieses Planeten führen wird.

Wenn man die Menschheit als ein organisches System betrachtet, durchlief sie bereits bisher verschiedene Evolutionsschritte, vergleichbar mit den Altersstufen eines Säuglings und eines Kindes. Heute steht sie nun in der turbulenten Phase der Jugend, nahe der lang ersehnten Reife.[vii] Der Prozeß weltweiten Zusammenschlusses, bereits Realität im Wirtschaftsleben und in der Kommunikation, hält nun allmählich auch in der Politik Einzug.

Diese Entwicklung wurde im geschichtlichen Maßstab durch unerwartete und katastrophale Ereignisse beschleunigt. Die Verwüstungen des ersten und zweiten Weltkrieges bewirkten jeweils die Gründung des Völkerbundes und der Vereinten Nationen. Die Bewohner der Erde stehen nun vor der Wahl, ob künftige Errungenschaften ebenfalls erst nach ähnlich unvorstellbaren Schrecken, oder durch einen konsultativen Willensakt erreicht werden. Es wäre unverantwortlich, nun keine entschiedenen Schritte zu ergreifen.

Da die Souveränitätsrechte derzeit noch bei den Nationalstaaten liegen, obliegt es den Regierungen und Staatsoberhäuptern, den Rahmen der sich jetzt herausbildenden internationalen Ordnung zu bestimmen. Wir rufen die führenden Persönlichkeiten auf allen Ebenen auf, eine entschiedene Rolle bei der Einberufung einer Weltversammlung noch vor Ende dieses Jahrhunderts zu übernehmen, auf der erörtert werden muß, in welcher Weise die internationale Ordnung zu gestalten ist, damit die Welt die vor ihr liegende Herausforderung meistert. Wie von einigen bereits vorgeschlagen, könnte diese Versammlung die Bezeichnung „World Summit on Global Governance“ tragen.[viii]

Dieser Weltgipfel könnte auf den Erfahrungen aufbauen, die auf den erfolgreichen Konferenzen der Vereinten Nationen der frühen 90er Jahre gewonnen wurden. Hierzu gehören der Weltkindergipfel von 1990, der Umweltgipfel von 1992, die Weltkonferenz über Menschenrechte 1994, der Weltsozialgipfel 1995 und die Weltfrauenkonferenz 1995. Dort wurde eine neue Methode der globalen Beratung kritischer Sachverhalte eingeführt.

Ein Schlüssel hierbei war die substantielle Mitwirkung zahlreicher gesellschaftlicher Gruppierungen. Die Verhandlungen der Regierungsdelegationen über die Veränderungen der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lage der Welt waren durch das fundierte Engagement dieser Gruppen geprägt. Die Nicht-Regierungs-organisationen reflektieren in der Regel genau die Bedürfnisse und Sorgen der Menschen von der Basis. Zudem war es bei jeder dieser Konferenzen wichtig, daß die Teilnahme von Regierungschefs dem Konferenzgeschehen vor der Weltöffentlichkeit das Signum von Legitimität und allgemeiner Zustimmung verlieh.

Man wäre gut beraten, wenn man auf diese Erfahrungen aufbauen und für den geplanten Weltgipfel auf den größtmöglichen Kreis zurückgreifen und so das Wohlwollen und die Unterstützung der Völker der Welt sichern würde.

Es wird oft die Sorge geäußert, daß internationale politische Instanzen unweigerlich eine übertriebene Zentralisierung entwickeln und so eine neue Bürokratie entsteht. Man muß hierzu nachdrücklich feststellen, daß jedes neue globale Regierungssystem prinzipiell wie praktisch dafür Sorge tragen muß, daß die Entscheidungskompetenzen auf der jeweils angemessenen Ebene verbleiben.[ix]

Es mag nicht immer einfach sein, einen Mittelweg zu finden. Einerseits kann ein echter Fortschritt eigentlich nur durch die Menschen selbst erreicht werden, indem sie einzeln oder gemeinsam auf die Nöte der Zeit reagieren. Es kann also durchaus gesagt werden, daß in der Dezentralisierung von Macht das sine qua non der Entwicklung liegt.[x] Andererseits wird die internationale Ordnung ein bestimmtes Maß weltweiter Lenkung und Koordination erfordern.

Im Lichte der oben umrissenen Prinzipien der Dezentralisierung sollten internationale Institutionen eine Handlungskompetenz nur dann erhalten, wenn internationale Fragen betroffen sind, in denen einzelne Staaten nicht für sich allein handeln können, oder um einzugreifen, wenn Rechte einzelner Mitgliedsstaaten zu schützen sind. Alle anderen Angelegenheiten sollten an nationale und lokale Instanzen verwiesen werden.[xi]

Für die Entwicklung einer künftigen internationalen Ordnung sollten zudem möglichst viele Modelle und Regierungsformen überprüft werden. Statt sich nur ein einziges Modell der etablierten Regierungssysteme zum Vorbild zu nehmen, könnte die Lösung darin liegen, die sinnvollen Elemente aus allen Modellen miteinander abzustimmen und zu versöhnen.

Das föderale System ist beispielsweise eines jener bewährten Modelle, die geeignet sind, die Vielfalt der Welt in ein gemeinsames Geflecht aufzunehmen. Der Föderalismus hat sich bei der Delegation von Macht und der Entscheidungsfindung in großen, komplexen und heterogenen Staaten als effektiv erwiesen, unter gleichzeitiger Wahrung eines gewissen Maßes an Einheit und Stabilität. Ein anderes Modell, das genauere Betrachtung verdient, ist die Idee des „Commonwealth“, das auf der globalen Ebene die Interessen des Ganzen über die Einzelinteressen eines Staates stellt.

Auch muß ganz besonders darauf geachtet werden, daß die neue internationale Ordnung im Laufe der Zeit nicht in Formen von Despotismus, der Oligarchie oder Demagogie verfällt, die dann das Leben und das Gefüge der sie konstituierenden politischen Institutionen verdürbe.

1955 legte die Internationale Bahá’í-Gemeinde anläßlich des zehnjährigen Bestehens der UN-Charta den Vereinten Nationen eine Erklärung vor, deren Inhalt auf Ideen beruht, die vor fast einem Jahrhundert von Bahá’u’lláh formuliert wurden. „Das Bahá’í-Konzept einer Weltordnung kann so umrissen werden: Eine staatenübergreifende Weltinstanz, an die alle Nationen sämtliche Rechte auf Kriegsführung sowie bestimmte Rechte der Besteuerung und alle Rechte auf Rüstung – ausgenommen zum Zweck der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung im jeweiligen Land – abtreten. Diese Instanz muß über eine internationale Exekutive verfügen, die jedes unbotmäßige Mitglied des Weltgemeinwesens unter ihre höchste und unanfechtbare Amtsgewalt zu zwingen vermag, dazu ein Weltparlament, dessen Mitglieder vom Volk ihrer jeweiligen Länder gewählt und von ihren Regierungen bestätigt werden, sowie einen höchsten Gerichtshof, dessen Rechtsprechung auch dann bindend ist, wenn die betroffenen Parteien mit der Verhandlung ihrer Streitfälle vor diesem Gericht nicht einverstanden sind.“[xii]

Wir sind überzeugt, daß die Bildung einer Weltregierung zugleich der beste Schutz wie auch die unausweichliche Bestimmung der Menschheit darstellt. Zudem vermittelt die Weltregierung ein auf lange Sicht angelegtes Bild einer globalen Gesellschaft. Angesichts der Dringlichkeit der derzeitigen Lage benötigt die Welt kühne, praktische und gangbare Strategien, die über inspirierende Zukunftsvisionen hinausreichen. Wenn man sich auf ein zwingendes Konzept konzentriert, wird sich aus dem Gemenge konträrer Ansichten doch eine klare und stimmige Linie evolutionären Wandels herausbilden.

III. Eine Neuorientierung der Vereinten Nationen

Die Vereinten Nationen waren das Kern stück der von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges geschaffenen Nachkriegsordnung und erfüllten über viele Jahrzehnte während des ideologischen Konflikts zwischen Ost und West ihren ursprünglichen Zweck als Forum des internationalen Dialogs. Im Laufe der Jahre erweiterten sich die Aufgaben nicht nur in der Vertiefung internationaler Normen und der Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch in friedenbewahrenden Operationen auf verschiedenen Kontinenten.

Im gleichen Zeitraum veränderte sich die politische Wirklichkeit unserer Welt auf dramatische Weise. Zur Zeit der Gründung der Vereinten Nationen gab es ungefähr 50 unabhängige Staaten. Diese Zahl stieg inzwischen auf über 185. Am Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Regierungen tonangebend in allen Entscheidungen. Heute ist durch den wachsenden Einfluß verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen und multinational operierender Konzerne eine bedeutend kompliziertere politische Landschaft entstanden.

Trotz wachsender Komplexität seiner Aufgabe hat das UN-System mehr oder weniger dieselbe Struktur bewahrt, wie sie vor 50 Jahren bei seiner Gründung einen neuen Dialog über die Fähigkeit der Vereinten Nationen angestoßen hat, der politischen Realität des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Leider überwog bei diesem Dialog die Kritik bei weitem das Lob.

Die meiste Kritik entsteht durch Vergleiche mit den führenden privaten Organisationen oder durch Beurteilungen, die auf überzogenen Erwartungen beruhen. Obwohl sicherlich einige spezielle Vergleiche sinnvoll sein können, um die Effektivität zu erhöhen, sind jedoch generelle Aussagen dieser Art im Grunde ungerecht. Denn den Vereinten Nationen fehlt es nicht nur an eindeutiger Autorität, sondern meistens auch an den für wirksames Handeln nötigen Mitteln. Der Vorwurf des Versagens richtet sich also eigentlich an die UN-Mitgliedsstaaten selbst.

Die Vereinten Nationen würden mithin immer uneffektiv erscheinen, beurteilte man sie außerhalb ihrer Arbeitsbedingungen. Bezieht man aber den Gedanken ein, daß sie nur ein Element in einem größeren globalen Entwicklungsprozeß sind, kann man die Analyse von den derzeitigen Unzulänglichkeiten durchaus auf die Errungenschaften der UN richten. Einem auf Entwicklung orientierten Betrachter vermitteln die Vereinten Nationen einen reichhaltigen Fundus an Erfahrungen für eine künftige Einbindung in eine globale Regierungsform.

Zu einer entwicklungsorientierten Einstellung gehört die Fähigkeit, sich das Schicksal einer Institution über lange Zeiträume hinweg vorzustellen, die ihr eigenen Entwicklungsmöglichkeiten zu sehen, wirkungsvolle Strategien für kurzfristige Umsetzungen zu formulieren, ja sogar gravierende Änderungen in der Zukunft zu erahnen.

Wenn man die Vereinten Nationen aus einem solchen Blickwinkel heraus untersucht, wird es möglich, das derzeitige System zu stärken, ohne dessen prinzipielle Wesenszüge und Verfahren radikal zu verändern. Tatsächlich kann kein Vorschlag zur Reform der Vereinten Nationen effektiv sein, der nicht immanent stimmig ist und die Vereinten Nationen nicht auf einen evolutionären Kurs bringt, der sie mit einer bedeutsamen Aufgabe innerhalb der künftigen internationalen Ordnung betraut. Wir glauben, daß die hier beschriebene Verbindung verschiedener Vorschläge dieser Rahmenbedingung entspricht und ihre Annahme einen ausgewogenen und bedeutsamen Schritt zum Aufbau einer gerechteren Weltordnung darstellt.[xiii]

A. Neue Aufgaben für die Vollversammlung

Die Grundlage jeden Regierungssystems ist die Rechtsstaatlichkeit, mit der Legislative als dem wichtigsten Zweig der Rechtssetzung. Während die Gesetzgebungskompetenz auf örtlicher und nationaler Ebene im allgemeinen respektiert wird, erwecken regionale und internationale Gesetzgebungskörperschaften oft Furcht und Mißtrauen.

Zudem wird die Vollversammlung der Vereinten Nationen wegen ihrer Wirkungslosigkeit angegriffen. Obwohl einige der ihr entgegengebrachten Vorwürfe unbegründet sind, gibt es jedoch mindestens zwei Bereiche, in denen die UN unzulänglich arbeiten und die die Wirkkraft der Vollversammlung einschränken.

Erstens verleiht das jetzige System der nationalen Souveränität ein unangemessenes Gewicht, wodurch eine kuriose Mischung aus Anarchie und Konservatismus entsteht. In einer reformierten UNO werden Legislative und Wahlsystem die Völker der Welt wie die Nationalstaaten besser repräsentieren müssen.[xiv]

Zweitens sind Resolutionen der Vollversammlung nur bindend, wenn sie zusätzlich im völkerrechtlichen Sinne von jedem Mitgliedsstaat ratifiziert werden. Sofern das jetzige System, das der nationalen Souveränität Vorrang einräumt, von einem System abgelöst würde, das mehr auf die Interessen einer einzigen, vernetzten und gegenseitig abhängigen Menschheit eingeht, dann sollten die Resolutionen der Vollversammlung – in genau definierten Bereichen – allmählich Gesetzeskraft erlangen. Das hieße auch, Normen für den Vollzug dieser Gesetze und Vollstreckungsmöglichkeiten aufzustellen.

Diese beiden Mängel sind insofern eng miteinander verknüpft, als die Mehrheit der Menschen einer Weltregierung mißtrauisch und ängstlich gegenübersteht und sich wahrscheinlich solange keiner internationalen Institution unterwerfen wird, bis diese in einem hohen Maß repräsentativen Charakter hat.[xv]

Gleichwohl erscheinen uns fünf praktische Schritte auch kurzfristig als gangbar, um die Vollversammlung und ihr Ansehen zu stärken und sie in eine langfristige Ausrichtung einzubinden.

1. Mindestvoraussetzung für eine Mitgliedschaft

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte mit ihren Folgeabkommen, zusammen als Charta der Menschenrechte bezeichnet, legen den Minimalstandard für das Verhalten einer Regierung gegenüber deren Volk klar fest.

Ein Mitgliedsstaat verhindert die aktive und vernünftige Teilhabe der Bevölkerung am Gemeinwesen, wenn er sich nicht vorbehaltlos zu allgemeinen, freien und gleichen Wahlen, zu Meinungsfreiheit und den übrigen Grundrechten verpflichtet.

Wir schlagen Konsequenzen für den Fall vor, daß Mitgliedsstaaten diesen Standard nicht einhalten. Analog sollte Nationen, die sich um Aufnahme in die UNO bemühen, solange die Mitgliedschaft verweigert werden, bis sie offen für diesen Standard eintreten oder erkennbare Anstrengungen in diese Richtung unternehmen.

2. Gründung einer internationalen Grenzkommission

Offene Gebietsansprüche und Grenzfragen sind noch immer eine Hauptquelle für militärische Konflikte und unterstreichen die äußerste Dringlichkeit, diese Fragen durch allgemeine Verträge zu klären. Diese können nur zustandekommen, wenn berücksichtigt wird, daß die Grenzen vieler Nationalstaaten oft auf eine sehr willkürliche Art und Weise festgelegt wurden, und indem alle unbefriedigten Ansprüche von einzelnen Völkern und ethnischen Gruppen einbezogen werden.

Anstatt diese Fragen einem internationalen Gerichtshof vorzulegen, ist es unseres Erachtens das beste, eine internationale Kommission einzuberufen, die alle offenen Grenzfragen behandelt. Die Kommission sollte nach sorgfältiger Abwägung Empfehlungen vorlegen.[xvi] Diese Vorschläge könnten zugleich präventiv auf wachsende Spannungen zwischen einzelnen Volksgruppen hinweisen und helfen, Konfliktpotentiale durch den frühzeitigen Einsatz diplomatischer Mittel abzuschätzen und zu entschärfen.

Um eine echte Gemeinschaft der Völker langfristig zu etablieren, bedarf es der endgültigen Regelung aller Grenzfragen. Die Untersuchungen der Kommission sollen dies vorbereiten.

3. Neue finanzielle Grundlagen

Das jährliche Defizit des UN-Budgets zwingt die Vereinten Nationen zu einem Krisenmanagement. Diese Situation wurde ursprünglich durch die Weigerung einer Reihe von Mitgliedsstaaten ausgelöst, ihre Beiträge pünktlich zu entrichten. Die fehlende Kompetenz zur Geltendmachung von Verzugszinsen und Mängel in der Administration verschärften die Lage.

Freiwillige Zahlungen seitens der Mitgliedsstaaten können kaum eine verläßliche Grundlage zur Finanzierung einer internationalen Organisation sein. Es müssen wirksame Maßnahmen zur Finanzierung entwickelt werden, um das reibungslose Funktionieren des UN-Systems zu ermöglichen. Wir schlagen die sofortige Ernennung einer Task-Force vor, die nach Alternativen suchen soll.

Hierbei sollte die Task-Force verschiedene Prinzipien beachten: 1. Es darf keine Besteuerung ohne politische Repräsentanz geben, 2. die Beitragshöhe sollte im Interesse der Gerechtigkeit abgestuft sein, 3. Verfahren zur Förderung von freiwilligen Spenden einzelner und von Gruppierungen dürfen nicht außer acht gelassen werden.[xvii]

4. Welthilfssprache und gemeinsame Schrift

Die Vereinten Nationen, die zur Zeit sechs offizielle Sprachen verwenden, würden sehr profitieren, wenn sie entweder eine der lebenden Sprachen oder eine künstliche Sprache als Hilfssprache für ihre Foren auswählen würden. Ein solcher Schritt wird schon seit langem von vielen Gruppen befürwortet – von den Esperantisten bis zur Internationalen Bahá’í-Gemeinde.[xviii] Eine solche Maßnahme würde nicht nur Finanzen einsparen und die Verwaltung entlasten, sondern auch den Geist der Einheit erheblich fördern.

Wir schlagen die Ernennung einer hochrangigen Kommission vor, deren Mitglieder aus verschiedenen Regionen und einschlägigen Fachgebieten kommen sollten, wie zum Beispiel aus der Linguistik, den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, der Ausbildung und den Medien. Die Kommission soll die Frage der Auswahl einer Welthilfssprache und einer gemeinsamen Schrift sorgfältig prüfen.

Wir gehen davon aus, daß die Welt langfristig dazu gezwungen sein wird, eine einzige Hilfssprache und Schrift – als Ergänzung zur jeweiligen Landessprache – in den Schulen zu unterrichten. Dies hätte das Ziel, den Übergang zur globalen Gesellschaft zu erleichtern, durch eine verbesserte Kommunikation zwischen den Völkern, durch Kostensenkung in Wirtschaft, Verwaltung und anderen weltumspannenden Unternehmungen, und allgemein durch die Förderung herzlicherer Beziehungen zwischen allen Mitgliedern der Völkerfamilie.[xix]

Dieser Vorschlag sollte nicht falsch verstanden werden. Er zielt keineswegs auf eine Zerschlagung irgendeiner lebenden Sprache oder Kultur.

5. Die Möglichkeit einer einzigen Weltwährung

Es liegt auf der Hand, daß eine Weltwährung ein wichtiges Element innerhalb der Weltwirtschaft darstellt. Wirtschaftsexperten glauben, daß eine Weltwährung neben anderen Vorteilen die Spekulation und unvorhersehbare Marktschwankungen eindämmen und weltweit zu einer Anpassung der Löhne und Preise und so zu bedeutsamen Einsparungen führen könnte.[xx]

Mögliche Einsparungen werden aber nur dann umgesetzt, wenn es gelingt, die Vorbehalte der Skeptiker durch überzeugende Argumente zu beseitigen und einen glaubwürdigen Aktionsplan vorzulegen. Wir schlagen die Ernennung einer hochrangigen Kommission vor, die aus den hervorragendsten Regierungsmitgliedern, Wissenschaftlern und Fachleuten besteht und sofort damit beginnen soll, die wirtschaftlichen Vorteile, aber auch die politischen Kosten einer Weltwährung zu prüfen und eine effektive Vorgehensweise für ihre Einführung vorzulegen.

B. Stärkung der Exekutive

Auf der internationalen Ebene ist die wichtigste Aufgabe der Exekutive die Durchsetzung des Abkommens zur kollektiven Sicherheit.[xxi]

Kollektive Sicherheit setzt einen bindenden Vertrag zwischen den Nationen zur gemeinschaftlichen Abwehr einer Bedrohung voraus. Dessen Wirksamkeit hängt davon ab, in welchem Ausmaß sich die einzelnen Mitgliedsstaaten dem Gemeinwohl verpflichten, selbst wenn dies in gewisser Weise durch ein aufgeklärtes Eigeninteresse motiviert ist.

Innerhalb der Vereinten Nationen wird die Exekutivgewalt überwiegend vom Sicherheitsrat wahrgenommen, teilweise gemeinsam mit dem Sekretariat. Beide werden in der Wahrnehmung ihres Mandats behindert. Der Sicherheitsrat leidet an der Unfähigkeit, entschiedene Maßnahmen zu treffen. Der Generalsekretär steht unter dem Druck komplexer Anforderungen einzelner Mitgliedsstaaten.

Vier praktische Schritte könnten möglicherweise die Exekutivfunktion der Vereinten Nationen kurzfristig stärken.

1. Einschränkung des Vetorechts

Bei der Übertragung des Vetorechts an fünf ständige Mitglieder lag die ursprüngliche Absicht der UN-Charta darin, den Sicherheitsrat an der Unterstützung militärischer Aktionen zu hindern, die sich gegen ein ständiges Mitglied richten oder Streitkräfte eines ständigen Mitglieds gegen dessen Willen einzusetzen.[xxii] Mit Beginn des Kalten Krieges wurde das Vetorecht tatsächlich wiederholt aus Gründen regionaler oder nationaler Sicherheit ausgeübt.

In den 1955 zur UN-Reform vorgelegten Vorschlägen sprach sich die Internationale Bahá’í-Gemeinde für die schrittweise Abschaffung der „ständigen Mitgliedschaft“ und des „Vetorechts“ aus, entsprechend der Stärkung des Vertrauens in den Sicherheitsrat. Vierzig Jahre später bekräftigen wir diese Position. Wir möchten jedoch vorschlagen, daß in einer Übergangsphase das Vetorecht bestehen bleibt, aber eingeschränkt wird, um der ursprünglichen Zielsetzung der UN-Charta gerecht zu werden.

2. Einrichtung einer permanenten internationalen Militärstreitmacht

Eine internationale Streitmacht sollte geschaffen werden, um die friedenerhaltenden Maßnahmen der Vereinten Nationen zu unterstützen und den Resolutionen des Sicherheitsrates mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.[xxiii] Ihre Loyalität zu den Vereinten Nationen und ihre Unabhängigkeit von nationalen Interessen muß gesichert sein. Voll ausgerüstet, stünde diese Streitmacht unter der Befehlsgewalt des Generalsekretärs bei letztlicher Aufsicht des Sicherheitsrates. Ihre Finanzierung würde jedoch von der Vollversammlung bestimmt. Der Generalsekretär sollte beim Aufbau dieser Streitmacht auf kompetentes Personal aus allen Teilen der Welt zurückgreifen.

Richtig eingesetzt, würde eine solche Streitmacht zugleich ein Gefühl der Sicherheit vermitteln und so Schritte zur weltweiten Abrüstung fördern, wodurch das unmittelbare Verbot von Massenvernichtungswaffen bewirkt werden könnte.[xxiv] Außerdem könnte sich so im Einklang mit dem Prinzip kollektiver Sicherheit die Auffassung verbreiten, daß Staaten Waffen nur zu ihrer eigenen Verteidigung und zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit benötigen.

Als ein unmittelbarer Schritt zur Einrichtung dieser Streitmacht könnte das derzeitige adhoc-Verfahren institutionalisiert und (für Krisenfälle) regionale schnelle Eingreiftruppen aufgestellt werden.

3. Kollektive Sicherheit auch bei anderen globalen Problemen

Obwohl ursprünglich im Zusammenhang mit der Bedrohung durch militärische Aggression entwikkelt, könnte das Konzept der kollektiven Sicherheit auf alle Formen der Bedrohung ausgeweitet werden. Selbst wenn diese nur lokal auftreten, sind sie doch das Ergebnis des Zusammenbruchs der heutigen globalen Ordnung. Diese Bedrohungen umfassen unter anderem den internationalen Drogenhandel, die Sicherstellung ausreichender Nahrung und das Auftreten neuer weltweiter Seuchen.[xxv]

Dieser Themenbereich sollte auf die Tagesordnung des vorgeschlagenen Weltgipfels gesetzt werden, wobei es jedoch unwahrscheinlich ist, daß es vor dem fundamentalen Problem militärischer Aggression Vorrang genießen würde.

4. Erfolgreiche UN-Organisationen

Innerhalb der UN-Familie gibt es eine Reihe von unabhängigeren Organisationen, wie zum Beispiel die UNICEF (Kinderhilfswerk), die ICAO (Luftfahrtorganisation), der UPU (Weltpostverein), die ITCU (Telekommunikationsunion), die ILO (Weltarbeitsunion) und die WHO (Weltgesundheitsorganisation). Diese haben innerhalb spezifischer, wichtiger Bereiche beachtliche Erfolge erzielt.

Generell gesehen besitzen sie bereits eigene Exekutivgewalt. Ihre Unabhängigkeit sollte gewahrt und als Teil der internationalen Exekutive gestärkt werden.[xxvi]

C. Stärkung des Internationalen Gerichtshofes

Jedes Regierungssystem bedarf einer starken Judikative, zum Ausgleich der Gewalten, und zur Wahrung von Rechtsprechung und Gesetz. Das Streben nach einer gerechten Gesellschaft gehört zu den elementaren Impulsen in der Geschichte[xxvii] – zweifellos kann eine Weltkultur ohne Verankerung im Gerechtigkeitsprinzip nicht gegründet werden.

Gerechtigkeit ist jene Kraft, die das allmählich dämmernde Bewußtsein der Einheit der Menschheit in einen gemeinsamen Willen übertragen kann, mit dessen Hilfe das Rahmenwerk einer Weltgemeinschaft sicher aufgebaut werden kann. In einer Epoche, in der die Menschen zunehmend Zugang zu Informationen aller Art und zu einer großen Vielfalt verschiedener Ideen erhalten, wird sich die Gerechtigkeit als herrschendes Prinzip erfolgreicher gesellschaftlicher Organisation erweisen.

Auf der persönlichen Ebene ist die Gerechtigkeit jene Eigenschaft der Seele, die jeden Mensch befähigt, Wahres von Falschem zu unterscheiden. Bahá-’u’lláh bekräftigt, daß nach Gottes Sicht Gerechtigkeit „von allem das Meistgeliebte“[xxviii] ist, da sie jedem einzelnen erlaubt, mit eigenen Augen und nicht mit denen anderer zu sehen, durch eigene Erkenntnis und nicht durch die seines Nächsten oder seiner Gruppe zu handeln.

In der Gruppe ist das Ringen um Gerechtigkeit der unbedingt notwendige Maßstab kollektiver Entscheidungsfindung, denn es ist das einzige Mittel, um Einheit im Denken und Handeln zu erreichen. Das Verlangen nach Rache und Strafe verbarg sich in der Vergangenheit oft unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit. Davon ist wahre Gerechtigkeit aber weit entfernt. In der Praxis fördert ihre Anwendung vielmehr ein Klima offenen Austauschs und der Beratung, das leidenschaftslose und angemessene Entscheidungen erst ermöglicht. Ein solches Klima macht es viel weniger wahrscheinlich, daß die überall vertretene Neigung zu Manipulation und Cliquenwesen die Entscheidungsfindung beeinflussen könnte.

Diese Auffassung von Gerechtigkeit wird allmählich die Erkenntis reifen lassen, daß die Interessen des einzelnen und der Gesellschaft in einer Welt gegenseitiger Abhängigkeiten unauflösbar miteinander verflochten sind. So ist Gerechtigkeit wie ein Faden, der mit jeder Handlung verwoben werden sollte, sei es in der Familie, im unmittelbaren sozialen Umfeld, oder gar auf globaler Ebene.

Wir erkennen im derzeitigen System der Vereinten Nationen die Grundlage für einen gestärkten Weltgerichtshof. Der 1945 von den Vereinten Nationen gegründete Weltgerichtshof hat eine Reihe von positiven Elementen. Durch Auswahl der Richter wird beispielsweise versucht, alle Völker, Regionen und unterschiedlichen Rechtssysteme zu repräsentieren.[xxix]

Der wesentliche Mangel des Gerichtshofes liegt aber darin, daß ihm die Kompetenz fehlt, rechtlich verbindliche Entscheidungen zu fällen, mit Ausnahme der Fälle, in denen die Staaten sich vorher hierzu verpflichteten. Ohne eine solche Jurisdiktionsgewalt fehlt dem Gerichtshof die Möglichkeit, Gerechtigkeit walten zu lassen.[xxx] Mit der Zeit könnten die Entscheidungen des Weltgerichtshofes bindend und in allen Staaten vollstreckbar werden. Kurzfristig könnten aber zwei Maßnahmen den Weltgerichtshof stärken:

1. Erweiterung der Zuständigkeit

Derzeit ist die Zuständigkeit des Weltgerichtshofes auf wenige Kategorien von Rechtsfragen beschränkt. Nur Staaten haben Antragsrecht. Wir schlagen vor, daß neben den Mitgliedsstaaten auch anderen Organen der Vereinten Nationen ein Antragsrecht eingeräumt wird.

2. Koordination der Spezialgerichtsbarkeiten

Der Weltgerichtshof könnte als Dach für bereits existierende und neu zu schaffende Fachgerichte fungieren, die in internationalen Fällen innerhalb bestimmter Fachgebiete vermitteln und Recht sprechen können.

Erste Ansätze zu einem solchen vereinigten Konzept lassen sich bereits in den Spruchkörpern finden, die Vergleiche finden sollen beispielsweise im Bereich von Wirtschaft und Verkehr, und in den Entwürfen zur Gründung eines Internationalen Strafgerichtshofes und einer Kammer für Umweltfragen. Man könnte weitere Fachgebiete ergäzen, wie zum Beispiel weltweiter Terrorismus und Drogenhandel.

IV. Das Potential des einzelnen Menschen freisetzen

Eine kritische Herausforderung der entstehenden internationalen Ordnung

Führungsinstanzen haben auf allen Ebenen in erster Linie die Aufgabe, die Zivilisation voranzubringen. Sie können diese Aufgabe aber schwerlich erfüllen ohne die motivierte, einsichtsvolle Teilnahme aller Menschen am Leben und den Belangen der Gesellschaft.

Bisher hatten internationale Gremien die Bildung von Institutionen und den Zusammenschluß von Nationen im Blick, abgehoben von den Menschen in der Welt, ihrem Denken und Fühlen. Deren überwiegende Mehrheit lebt, eingebunden in ein vielschichtiges Verwaltungsnetz und verwirrt von der Nachrichtenfülle der Medien aus aller Welt, fern von der internationalen Bühne und hat noch keinen Sinn entwickelt für solche Institutionen wie die Vereinten Nationen. Nur wer über entsprechende gesellschaftliche Organisationen Zugang zum internationalen Geschehen hat, scheint sich mit solchen Institutionen indentifizieren zu können.

Im Gegenzug können sich internationale Institutionen nicht zu wirksamen, ausgereiften Führungsorganen entwickeln, die ihren Hauptzweck, die Förderung der Zivilisation, erfüllen, solange sie nicht ihre wechselseitige Beziehung zu den Menschen in der Welt erkennen und pflegen. Diese Einsicht würde einen positiven Kreislauf von Vertrauen und Unterstützung in Gang setzen und damit den Übergang zu einer neuen Weltordnung beschleunigen.

Die mit der Entwicklung einer globalen Gesellschaft verbundenen Aufgaben erfordern ein weit höheres Maß an Fähigkeiten, als sie das Menschengeschlecht bisher aufzubringen hatte. Um den Anforderungen gerecht zu werden, müssen die Bildungsmöglichkeiten für alle Menschen gewaltig erweitert werden. Internationale Institutionen werden in dem Maße in der Lage sein, die in den Völkern verborgenen Fähigkeiten zu wekken und zu lenken, wie sie lernen, ihre Macht zu begrenzen, indem sie das Vertrauen, die Achtung und die aufrichtige Unterstützung derjenigen gewinnen, deren Handeln sie steuern wollen, und so offen und intensiv wie möglich mit allen Betroffenen beraten.

Menschen, die Vertrauen zu diesen Institutionen fassen und Achtung vor ihnen gewinnen, werden dann von ihren nationalen Regierungen fordern, die internationale Ordnung politisch wie wirtschaftlich stärker zu unterstützen, was die internationalen Institutionen, an Einfluß und Macht gewachsen, wiederum besser rüstet, weitere Schritte zu einer legitimen und wirkungsvollen Weltordnung zu unternehmen.

Die Vereinten Nationen müssen neben den Maßnahmen zur Festigung ihrer Struktur zugleich Initiativen ergreifen, um die in allen Menschen ruhenden Kräfte freizusetzen für ihre Beteiligung an diesem aufregenden Prozeß. In dieser Hinsicht verdienen bestimmte Themen zur raschen Entwicklung des einzelnen und der Gesellschaft besondere Beachtung. Darunter sind vier Themen – wirtschaftliche Entwicklung, Schutz der Menschenrechte, Verbesserung der Stellung der Frau und sittliche Entwicklung – so eng mit dem Fortschritt der Zivilisation verknüpft, daß sie mit Vorrang auf die Tagesordnung der Vereinten Nationen gehören.

A. Wirtschaftliche Entwicklung

Die während der letzten fünfzig Jahre von den Vereinten Nationen, der Weltbank und einigen Regierungen verfolgten wirtschaftlichen Entwicklungsstrategien blieben, wie gut sie auch geplant und ausgeführt waren, weit hinter den gesteckten Erwartungen zurück. In weiten Teilen der Welt ist der Graben zwischen Besitzenden und Besitzlosen breiter geworden und wächst zunehmend infolge weit auseinanderklaffender Einkommen. Die gesellschaftlichen Probleme werden nicht kleiner. Tatsächlich nehmen Verbrechen und Krankheit nicht nur zu, sie nehmen überhand und werden schwieriger zu bekämpfen.

Für diese Mißerfolge können einige Ursachen benannt werden. Dazu gehören falsche Schwerpunktsetzung auf Großprojekte und bürokratische Überzentralisierung, ungerechte internationale Handelsbedingungen, weitverbreitete, das ganze Wirtschaftssystem durchwuchernde Korruption, Ausschluß der Frauen vom Entscheidungsprozeß auf allen Ebenen, eine allgemeine Unfähigkeit, Hilfsmittel den Armen wirklich zukommen zu lassen, und die Fehlleitung von Entwicklungsgeldern in militärische Rüstung.

Nüchtern betrachtet, verrät dies einen prinzipiellen Fehler im derzeitigen Paradigma wirtschaftlicher Entwicklung: Materielle Not wird oft angegangen ohne die geistigen Faktoren und deren Triebkraft zu berücksichtigen.

Entwicklung darf nicht mit einer Konsumgesellschaft verwechselt werden, die nicht in der Lage ist, sich selbst zu erhalten. Zu wahrem Wohlstand gehört geistiges wie materielles Wohlergehen. Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf und ein gewisses Maß an Bequemlichkeit sind notwendig; aber dies allein kann den Menschen nie ausfüllen. Ebensowenig können ihn weniger faßbare materielle Errungenschaften wie gesellschaftliche Anerkennung oder politische Macht zufrieden machen. Letztlich stillen nicht einmal intellektuelle Leistungen unsere tiefsten Bedürfnisse.

Richtig verstanden, besteht die Wirklichkeit des menschlichen Geistes im Verlangen nach etwas, das über uns hinausweist. Wenngleich die geistige Seite unseres Wesens verschüttet ist vom täglichen Kampf um den Lebensunterhalt, kann unser Bedürfnis nach Transzendenz langfristig nicht unberücksichtigt bleiben. Ein tragfähiges Entwicklungsmodell muß deshalb ebenso die geistige Sehnsucht des Menschen ansprechen wie seine materiellen Bedürfnisse und Wünsche.

Bildung ist die beste Investition in wirtschaftliche Entwicklung. »Der Mensch ist der höchste Talisman. Der Mangel an geeigneter Erziehung hat ihn jedoch dessen beraubt, was er seinem Wesen nach besitzt«, schreibt Bahá’u’lláh. »Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert. Nur die Erziehung kann bewirken, daß es seine Schätze enthüllt und die Menschheit daraus Nutzen zu ziehen vermag.«[xxxi] Erziehung bedeutet mehr als die Vermittlung einer beschränkten Menge an Wissen oder einer Reihe von Fertigkeiten. In Wahrheit muß Erziehung – und sie sollte unabdingbar sein bei aller Entwicklung – auch vermitteln, wie man Wissen erwirbt, sie muß die Verstandes- und Urteilskraft schulen und dem Lernenden unverzichtbare sittliche Werte einprägen. Dieserart umfassende Erziehung ist es, die die Menschen zur Schaffung von Reichtum und seiner gerechten Verteilung befähigt.[xxxii]

Wahrer Reichtum entsteht, wenn Arbeit nicht nur für die Mittel zum Lebensunterhalt geleistet wird, sondern auch als Beitrag für die Gesellschaft. Wir halten sinnvolle Arbeit für ein seelisches Grundbedürfnis und ebenso wichtig für die gesunde Entwicklung des Menschen wie gutes Essen, sauberes Wasser und frische Luft für seinen Leib.

Weil Abhängigkeit sich geistig zersetzend auswirkt, sind Pläne, die lediglich auf die Umverteilung materiellen Reichtums abzielen, langfristig zum Scheitern verurteilt. Die Verteilung des Reichtums muß wirksam und gerecht geschehen. Ja, sie muß eng mit dem Prozeß der Vermögensschöpfung verzahnt sein.

Um die Entwicklung wirksamer zu fördern, empfehlen wir den Organen der Vereinten Nationen folgendes:

Eine entschiedene Kampagne zur Erfüllung der Agenda 21

Der bei der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung formulierte Aktionsplan umfaßt ein breites Spektrum von Ansichten aus der Gesellschaft sowie eine Reihe von Prinzipien, ähnlich den in der vorliegenden Stellungnahme aufgeführten. Doch bedauerlicherweise wurde von den Migliedsstaaten wenig getan, um die im Plan beschriebenen Maßnahmen umzusetzen.

Um die Ziele der Agenda 21 zu verwirklichen, dürfte ein größerer Kraftaufwand notwendig sein, zwar anderer Art, aber vergleichbar an Umfang und Engagement dem Marshall-Plan für den Wiederaufbau Nachkriegseuropas. In diesem Fall wären die Bretton-Woods-Institutionen aufgefordert, eine klar definierte Kampagne in Gang zu setzen, um nationale Bemühungen zur Umsetzung der Ziele zu beschleunigen. Ein Mandat dieser Art kann nur das Ergebnis einer Konferenz sein, ähnlich den ersten Tagungen in Bretton-Woods vor fünfzig Jahren, einer Konferenz, auf der diese Institutionen einer Generalüberholung unterzogen werden. Ihre Revision hätte zum Ziel, der Weltbevölkerung ausreichend Mittel bereitzustellen, damit sie auf örtlicher Ebene initiativ werden kann. Darüberhinaus könnte die Konferenz ihre Agenda um die Kernthemen globaler wirtschaftlicher Sicherheit erweitern und hierfür bestehende Institutionen neu verfassen oder neue Strukturen schaffen.[xxxiii]

Wenn dies gelingt, könnte das neue Instrument auf die Koordination jener Maßnahmen ausgeweitet werden, die auf dem letzten UNO-Sozialgipfel beschlossen wurden.

B. Schutz der Grundrechte des Menschen

In den fünfzig Jahren seit Gründung der Vereinten Nationen ist das Verständnis dafür gewachsen, daß Menschenrechte international anerkannt und geschützt werden müssen, wenn Frieden, sozialer Fortschritt und wirtschaftlicher Wohlstand einkehren sollen.

Grundlage für die internationale Vereinbarung über das Wesen der Menschenrechte ist die überaus wichtige Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von den Vereinten Nationen angenommen und in zwei internationalen Verträgen ausgearbeitet wurde: dem Internationalen Vertrag über Bürger- und politische Rechte und dem Internationalen Vertrag über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte. In Ergänzung hierzu definieren und fördern etwa 75 andere Konventionen und Deklarationen die Rechte von Frauen und Kindern, das Recht auf Glaubensfreiheit und das Recht auf Entwicklung, um nur einige zu nennen.

Die gegenwärtige Menschenrechtspolitik der Vereinten Nationen hat zwei große Mängel: Die Mittel zur Durchsetzung und Kontrolle sind begrenzt, und die mit jedem Recht verbundene Verantwortung wird zu wenig ernst genommen.

Die Durchsetzung der Menschenrechte müßte international ähnlich gehandhabt werden wie der Umgang mit militärischer Aggression in einem kollektiven Sicherheitssystem. Menschenrechtsverletzung in einem Staat muß als Angelegenheit aller Menschen begriffen werden, und Mechanismen zur Durchsetzung der Rechte müssen für eine geschlossene Reaktion der internationalen Gemeinschaft sorgen. Die Frage nach dem »wann« und »wie« der zum Schutz der Menschenrechte geplanten Intervention ist schwieriger zu beantworten. Die energische Durchsetzung der Menschenrechte erfordert eine weltweite Übereinkunft darüber, was als schreiende und vorsätzliche Verletzung der Menschenrechte zu betrachten ist.

Im Vorfeld der Weltkonferenz über Menschenrechte im Jahr 1993 wurden wichtige Schritte zu einem globalen Konsens unternommen. Die Konferenz bestätigte einhellig, daß Menschenrechte universell, unteilbar und miteinander verflochten sind, und beendete damit die anhaltende Debatte über die Gewichtung bürgerlicher und politischer Rechte im Verhältnis zu sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechten.[xxxiv] Auch die Resolutionen der Konferenz bestätigten, daß Menschenrechte gelten müssen ohne Ansehen unterschiedlicher rassischer oder ethnischer Herkunft, religiösen Bekenntnisses oder nationaler Identität. Dazu gehört die Gleichheit für Frau und Mann; dazu gehört gleiches Recht für jeden Menschen in der Welt auf freie Forschung, Information und Religionsausübung; und dazu gehört das Recht eines jeden auf Grundbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Gesundheit.[xxxv] Abgesehen von der Notwendigkeit, einen Konsens zu finden und die Durchsetzung der Menschenrechte zu sichern, ist es wichtig, ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, daß mit jedem Recht eine entsprechende Verantwortung verbunden ist.

Das Recht, vor dem Gesetz als Person anerkannt zu sein, schließt beispielsweise die Verantwortung ein, dem Gesetz zu gehorchen – und die Gesetze wie auch das Rechtssystem gerechter zu machen. Ebenso bringt im gesellschaftlichen Bereich das Recht auf Heirat die Verantwortung mit sich, die Familie insgesamt zu unterhalten, die Kinder zu erziehen und alle Familienmitglieder mit Achtung zu behandeln.[xxxvi] Das Recht auf Arbeit kann nicht von der Verantwortung getrennt werden, die übertragenen Pflichten nach besten Kräften zu erfüllen. Im weitesten Sinne ist in der Formulierung »universale« Menschenrechte die Verantwortung für die Menschheit als Ganzes inbegriffen.

Während es jedem einzelnen Mensch obliegt, seiner Verantwortung auf all diesen Gebieten nachzukommen, ist es letztlich die Aufgabe internationaler Institutionen, das damit verbundene Menschenrecht zu schützen. Wir schlagen vor, drei Maßnahmen sofort zu ergreifen:

1. Der UNO-Apparat zur Überwachung, Durchsetzung und Erfolgskontrolle ist zu stärken

Die Mechanismen der Vereinten Nationen zur Überwachung, Durchführung und Kontrolle der Einhaltung internationaler Verträge seitens der Regierungen sind unzulänglich. Das Menschenrechtszentrum verfügt über einen sehr kleinen Mitarbeiterstab, der darum kämpft, Kontrollmaßnahmen zu unterstützen, damit die Länder alle ihre ratifizierten Verträge einhalten.

Wir sind der Ansicht, daß die diesem Zentrum zugewiesenen Mittel drastisch erhöht werden müssen, wenn es seinen Aufgaben wirklich gerecht werden soll.

2. Die allgemeine Ratifikation der internationalen Menschenrechtskonventionen ist voranzutreiben

Da die Ratifizierung der internationalen Menschenrechtskonventionen eine wenn auch praktisch nicht zwingende Verpflichtung für die Mitgliedsstaaten schafft, müssen der Generalsekretär und alle UNO-Körperschaften jede Gelegenheit wahrnehmen, die Mitgliedsstaaten zum Handeln auf diesem Gebiet zu ermutigen. In der Tat könnte eine bindende Frist für die universelle Ratifikation ein motivierendes Ziel sein, das die Generalversammlung setzen müßte.

3. Die Achtung vor den Überwachungsorganen der Vereinten Nationen für die Menschenrechte muß gesichert werden

Da das Mandat der UNO-Vertretungen zur Überwachung der Menschenrechte sehr ernstzunehmen ist, sollten die UN besonders aufmerksam die Erkenntnisse beachten, die sich aus der Struktur und der Arbeit dieser Vertretungen ergeben, und bei der Behebung regelwidriger Situationen ebenso überlegt handeln.

Nach unserer Ansicht wäre es ratsam, beim Nominierungsvorgang die im Rampenlicht stehenden Mitgliedsstaaten auf ihre Qualifikation zu prüfen und diejenigen, die noch nicht die internationalen Konventionen ratifiziert haben, von der Wahl zur Mitgliedschaft in der Menschenrechtskommission und anderen Überwachungsorganen auszuschließen. Während diese Mitgliedsstaaten nach wie vor in vollem Umfang an Beratungen teilnehmen könnten, wären die Vereinten Nationen vor einer möglicherweise peinlichen, bloßstellenden Situation bewahrt.

Wir meinen auch, daß eine einzige Ausnahme der oben genannten Regel berechtigt wäre. Mitgliedsstaaten, die nicht unter der kritischen Lupe der UNO stehen, aber in ihren Verfassungen ausreichend Schutz für die grundlegenden Menschenrechte gewährleisten, doch die Ratifizierung aus innenpolitischen Gründen nicht vollziehen konnten, sollten nicht von der Wahl ins Rampenlicht ausgeschlossen sein.

Schließlich wäre es auch vernünftig, die Mitgliedsstaaten, die die internationalen Konventionen ratifiziert haben, gegen die aber wegen grober Menschenrechtsverletzung ermittelt wird, von der Wahl in Ämter bei Konferenzen und andere Versammlungen der Menschenrechtskommission auszuschließen. Dies wird die weit verbreitete Meinung verhindern, die Verhandlungen seien eine Farce.

C. Förderung der Stellung der Frauen

Eine friedliche und tragfähige Weltzivilisation ist unmöglich zu schaffen ohne die uneingeschränkte Mitwirkung der Frauen in allen Bereichen menschlichen Handelns.[xxxvii] Diese Ansicht findet zunehmend Beifall, aber zwischen ihrem Einzug in die Köpfe und ihrer Umsetzung in die Tat besteht ein deutlicher Unterschied.

Es ist höchste Zeit, daß die Institutionen der Welt, die vorwiegend von Männern besetzt sind, ihren Einfluß nutzen, um systematisch die Frauen einzubeziehen, nicht aus Herablassung oder vorgeblicher Selbstaufopferung, sondern aus der Überzeugung, daß der Beitrag der Frauen für den Fortschritt der Gesellschaft notwendig ist.[xxxviii] Die Frauen werden erst, wenn ihre Beiträge geschätzt werden, herangezogen und in das gesellschaftliche Gefüge einbezogen sein. Das Ergebnis wird eine friedvollere, ausgewogenere, gerechte und blühende Zivilisation sein.[xxxix]

Die offensichtlichen biologischen Unterschiede der Geschlechter müssen kein Grund für Ungleichheit oder Uneinigkeit sein. Sie sind vielmehr ein Aspekt wechselseitiger Ergänzung. Wenn die Rolle der Frau als Mutter in angemessener Weise gewürdigt wird, wird auch ihre Arbeit zur Ernährung und Erziehung der Kinder geachtet und angemessen entlohnt. Es muß auch anerkannt werden, daß die Aufgabe des Kindergebärens weder die Eignung zu Führungspositionen mindert, noch die intellektuellen, wissenschaftlichen und schöpferischen Fähigkeiten beeinträchtigt. In Wirklichkeit könnte sie diese Fähigkeiten eher steigern.

Fortschritt an einigen wenigen kritischen Fronten, so meinen wir, hätte auf die Förderung der Frauen größten Einfluß. Wir legen im folgenden die Gesichtspunkte dar, die für unsere anschließenden Empfehlungen grundlegend sind.

Zuerst und vor allem muß Gewalt gegen Frauen und Mädchen – eine der schreiendsten und weitestverbreiteten Formen der Menschenrechtsverletzung – ausgerottet werden. Gewalt gehört für viele Frauen der Welt, gleich welcher Rasse, Gesellschaftsschicht oder Bildung, zum Leben. In vielen Gesellschaften macht die traditionelle Meinung, daß Frauen minderwertig oder eine Last seien, sie zur bequemen Zielscheibe für Wut und Ärger. Selbst strenge Rechtsmittel und gezielte Schritte zur Stärkung der Frauen werden wenig Wirkung zeitigen, solange sie nicht durch einen Wandel in der Einstellung der Männer gestützt werden. Frauen werden erst ungefährdet sein, wenn ein neues gesellschaftliches Bewußtsein sich durchsetzt, nach dem schon bloße Herablassung gegenüber Frauen, geschweige denn jegliche körperliche Gewalt, Anlaß zu tiefster Scham ist.

Zweitens, die Familie ist nach wie vor die Grundzelle der Gesellschaft, und was man dort beobachtet und lernt, wird man im Verkehr auf allen gesellschaftlichen Ebenen anwenden. Darum müssen sich die Mitglieder der Institution Familie wesentlich ändern, damit sich das Prinzip der Ebenbürtigkeit von Frau und Mann verinnerlicht. Wenn ferner Bande der Liebe und Einigkeit die Familie verschweißen, wird dies über ihre Grenzen hinaus die Gesellschaft als Ganzes beeinflussen.

Drittens, indes es das Hauptziel aller Gesellschaft sein muß, allen Beteiligten Bildung zu ermöglichen, ist im jetzigen Stadium der Menschheitsgeschichte insbesondere die Bildung der Frauen und Mädchen dringend notwendig.[xl] Seit über zwanzig Jahren dokumentieren Studien überzeugend, daß Erziehung und Bildung der Frauen und Mädchen unter allen möglichen Investitionen den größten Gewinn abwirft in Form gesellschaftlicher Entwicklung, der Beseitigung von Armut und des Fortschritts der Gemeinschaft.[xli]

Viertens muß der weltweite Dialog über die Rolle von Männern und Frauen die Erkenntnis fördern, daß die beiden Geschlechter einander eigenartig ergänzen. Denn gerade die Unterschiede zwischen ihnen bestätigen, daß Frauen und Männer zusammenarbeiten müssen, nicht nur um das Bestehen der Menschheit zu sichern, sondern auch um ihre Möglichkeiten und Kräfte fruchtbar in eine fortschreitende Zivilisation einzubringen. Solche Unterschiede gehören zu dem wechselseitigen Bezug ihres gemeinsamen Menschseins. Der Dialog muß die historischen Kräfte berücksichtigen, die zur Unterdrückung der Frau geführt haben, und zugleich die neuen gesellschaftlichen, politischen und geistigen Gegebenheiten untersuchen, die unsere Zivilisation heute verändern.

Als Ausgangspunkt für diesen Dialog mag ein Vergleich aus dem Bahá’í-Schrifttum dienen: »Die Menschenwelt hat zwei Flügel: Den einen bilden die Frauen, den anderen die Männer. Erst wenn beide Flügel gleichmäßig entwickelt sind, kann der Vogel fliegen. Bleibt ein Flügel schwächlich, so ist kein Flug möglich.«[xlii] Dazu schlagen wir drei besondere Maßnahmen vor:

1. Frauen müssen in den Delegationen der Mitgliedsstaaten stärker vertreten sein

Wir schlagen vor, den Mitgliedsstaaten zu empfehlen, in größerer Zahl Frauen in Gesandtschafts–oder vergleichbare diplomatische Positionen zu ernennen.

2. Es muß zur Ratifikation internationaler Konventionen ermutigt werden, die die Rechte der Frau schützen und ihren Status verbessern

Wie bei den internationalen Menschenrechtskonventionen sollten der Generalsekretär der Vereinten Nationen und alle UNO-Körperschaften jede Gelegenheit wahrnehmen, Mitgliedsstaaten zur Unterzeichnung der Konventionen und Protokolle, welche Frauenrechte schützen und auf deren Förderung abzielen, zu ermutigen.

3. Die Erfüllung des Beijing-Aktionsprogramms ist vorauszuplanen

Die von der Konferenz in Nairobi angenommene Erklärung über zukunftsweisende Strategien war sehr kühn und ideenreich, doch ihre Umsetzung eher ineffektiv.[xliii] Aus dieser unglücklichen Erfahrung sollte man, wie wir meinen, eine Lehre ziehen und wohlüberlegte Pläne vorlegen, um sicherzustellen, daß das von der Beijing-Konferenz ausgehende Aktionsprogramm nicht das gleiche Schicksal erleidet.

Wir schlagen vor, ein Kontrollorgan zu schaffen, das Lageberichte zur Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen verfaßt und der Generalversammlung jährlich Berichte vorlegt, in denen die zwanzig Spitzenreiter und die zwanzig Schlußlichter unter den Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung des Aktionsprogramms besonders hervorgehoben werden.

D. Die Bedeutung sittlicher Bildung

Der Integrationsprozeß der Menschen in immer größere Einheiten wird zwar von kulturellen und geographischen Gegebenheiten beinflußt, ist aber hauptsächlich von der Religion vorangetrieben worden, das machtvollste Mittel, um das Verhalten der Menschen zu wandeln. Unter Religion verstehen wir jedoch den Wesenskern, die Wirklichkeit von Religion, nicht die Dogmen und blinden Abbilder, die sie allmählich überkrustet haben und letztlich der Grund für ihren Niedergang und ihr Verlöschen sind.

Mit ‘Abdu’l-Bahás Worten ist die »materielle Zivilisation … wie der Leib. Sei er auch noch so anmutig, elegant und schön, so ist er dennoch tot. Die göttliche Kultur ist wie der Geist; der Leib erhält sein Leben durch den Geist, sonst ist er ein Leichnam… Ohne den Geist ist die Menschenwelt leblos.«[xliv]

Der Vorschlag, für besondere Sittlichkeit oder Werte einzutreten, mag umstritten sein, besonders heute, da alles beliebig ist. Nichtsdestoweniger sind wir fest davon überzeugt, daß es einen gemeingültigen Katalog von Werten gibt, die man nicht mehr erkennt, weil sie durch diejenigen verdunkelt werden, die für ihre politischen Zwecke untergeordnete Unterschiede der religiösen und kulturellen Praxis hochschrauben.[xlv] Diese Kardinaltugenden, die von allen geistig orientierten Gemeinschaften gelehrt werden, bilden das Grundgerüst für sittliche Entwicklung.

Denkt man über die in den großen Religionen und ethischen Systemen der Welt vorhandenen Gemeinsamkeiten nach, so stellt sich heraus, daß sie samt und sonders für Einigkeit, Zusammenarbeit und Harmonie unter den Menschen eintreten, Richtlinien für verantwortungsbewußtes Verhalten festlegen und die Entwicklung von Tugenden fördern, die die Grundlage für auf Vertrauen gegründetes und von Grundsätzen geleitetes Handeln bilden.[xlvi]

1. Lehrpläne zur ethisch-sittlichen Bildung in den Schulen sind zu entwickeln

Wir treten ein für eine weltweite Kampagne zur Förderung der ethischen Entwicklung. Kurz, diese Kampagne soll überall in der Welt örtliche Initiativen anstoßen und unterstützen, um bei der Kindererziehung das Sittliche einzubeziehen. Das kann die Veranstaltung von Konferenzen, die Veröffentlichung entsprechender Druckschriften und viele andere unterstützende Aktivitäten erfordern – allesamt solide Investitionen in zukünftige Generationen.

Bei der Kampagne zur sittlichen Bildung könnten einige einfache Regeln am Anfang stehen, zum Beispiel daß redliches Verhalten, Vertrauenswürdigkeit und Ehrlichkeit die Grundlage sind für Beständigkeit und Fortschritt, daß alles menschliche Streben von Uneigennützigkeit geleitet sein sollte, so daß Aufrichtigkeit und Achtung für die Rechte der anderen wesentlich das Handeln eines jeden Menschen bestimmen, und daß Dienst an der Menschheit die wahre Quelle von Glück, Ehre und Sinn im Leben ist.

Wir sind der Meinung, daß die Kampagne auch nur in dem Maße Erfolg haben wird, wie sie auf die Kraft der Religion baut. Die Doktrin von der Trennung von Kirche und Staat sollte nicht als Vorwand benutzt werden, um diesen heilsamen Einfluß abzublocken. Religionsgemeinschaften werden künftig besonders einbezogen werden müssen als partnerschaftliche Mitarbeiter an dieser wichtigen Aufgabe.

Diese Kampagne wird, je weiter sie fortschreitet, den Prozeß persönlicher Kraftentfaltung beschleunigen, wodurch sich die Art und Weise, wie die Menschen ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse, ihrer gesellschaftlichen Stellung, ihrer ethnischen, rassischen oder religiösen Herkunft aktiv in ihrer Gesellschaft leben und handeln, völlig wandeln wird.

V. Menschheit am Wendepunkt

Ein Aufruf an die Führer der Welt

Wir sind an einem Wendepunkt in der Entwicklung der Nationen angelangt. »Die Vereinigung der ganzen Menschheit ist das Kennzeichen der Stufe, der sich die menschliche Gesellschaft heute nähert. Die Einheit der Familie, des Stammes, des Stadtstaates und der Nation ist nacheinander in Angriff genommen und völlig erreicht worden. Welteinheit ist das Ziel, dem eine gequälte Menschheit zustrebt. Der Aufbau von Nationalstaaten ist zu einem Ende gekommen. Die Anarchie, die der nationalstaatlichen Souveränität anhaftet, nähert sich heute einem Höhepunkt. Eine Welt, die zur Reife heranwächst, muß diesen Fetisch aufgeben, die Einheit und Ganzheit der menschlichen Beziehungen erkennen und ein für allemal den Apparat aufrichten, der diesen Leitgrundsatz ihres Daseins am besten zu verkörpern vermag[xlvii]

Vor über einem Jahrhundert lehrte Bahá’u’lláh, daß es nur einen Gott und nur ein Menschengeschlecht gibt und daß alle Religionen der Welt unterschiedliche Stadien in der Offenbarung des göttlichen Willens und seiner Zielsetzung für die Menschheit darstellen. Bahá’u’lláh verkündete das Kommen einer in allen Heiligen Schriften der Welt verheißenen Zeit, in der die Menschheit letztlich die Vereinigung aller Völker zu einer friedlich verbundenen, schrankenlosen Gesellschaft erleben wird.

Er sagte, daß der menschliche Daseinszweck nicht bloß in der Schaffung einer materiellen Wohlstandsgesellschaft liegt, sondern auch im Aufbau einer globalen Zivilisation, in der die einzelnen Menschen zum Handeln als sittliche Wesen ermutigt werden, ihre wahre Natur verstehen und ein so hohes Maß an Sinnerfüllung finden können, wie es kein noch so großer materieller Wohlstand allein zu bieten vermag.

Bahá’u’lláh gehörte auch zu den ersten, die von der »neuen Weltordnung« sprachen, um die ungeheuren Veränderungen im politischen, gesellschaftlichen und religiösen Leben der Welt zu beschreiben. »Die Zeichen drohender Erschütterungen und des Chaos sind jetzt deutlich zu sehen, zumal die bestehende Ordnung erbärmlich mangelhaft erscheint«, schrieb Er. »Bald wird die heutige Ordnung aufgerollt und eine neue an ihrer Statt entfaltet werden.«[xlviii]

Zu diesem Zweck schärfte Er den Führern wie allen Mitgliedern der Gesellschaft ein: »Es rühme sich nicht, wer sein Vaterland liebt, sondern wer die ganze Welt liebt. Die Erde ist nur ein Land und alle Menschen sind seine Bürger.«[xlix]

Vor allem müssen die Führer der kommenden Generation von dem aufrichtigen Wunsch beseelt sein, der Gemeinschaft insgesamt zu dienen, und sie müssen begreifen, daß die Führungsaufgabe eine Verantwortung ist, nicht der Weg zu Privilegien. Allzu lange haben Herrschende wie Regierte Führung verstanden als Machtausübung über andere. In Wirklichkeit bedarf die heutige Zeit eines neuen Begriffs von Führung und eines neuen Typs von Führern.[l]

Dies gilt besonders auf der internationalen Ebene. Um einen Sinn für Vertrauenswürdigkeit zu entwickeln und in den Herzen der Menschen in aller Welt Zutrauen und echte Sympathie für die Institutionen der internationalen Ordnung zu wecken, werden diese Führer über ihr eigenes Handeln nachdenken müssen.

Sie müssen durch ihren makellosen Ruf helfen, daß wieder Vertrauen und Zuversicht gegenüber der Regierung wächst. Sie müssen, um in jeder Situation den Kern zu treffen, Ehrenhaftigkeit, Bescheidenheit und Aufrichtigkeit verkörpern. Sie müssen sich Grundsätzen verpflichtet fühlen und von ihnen leiten lassen, nach denen sie auf lange Sicht im besten Interesse der ganzen Menschheit handeln.

»Laßt eueren Blick weltumfassend sein, anstatt ihn auf euer Selbst zu beschränken«, schreibt Bahá’u’lláh. »Befaßt euch nicht rastlos mit eueren eigenen Belangen! Laßt euere Gedanken fest auf das gerichtet sein, was das Glück der Menschheit wiederherstellen und der Menschen Herzen und Seelen heiligen wird.«[li]

Zum Herausgeber Internationale Bahá’í-Gemeinde

Die Internationale Bahá’í-Gemeinde (BIC=Bahá’í International Community) ist eine internationale nichtstaatliche Organisation. Sie repräsentiert die weltweit über fünf Millionen Mitglieder der Bahá’í-Gemeinde, Frauen und Männer, die fast allen Berufen, Schichten und Religionen entstammen, ein Querschnitt der Menschheit aus über 2.000 ethnischen Gruppen und mehr als 210 Staaten und unabhängigen Territorien.

Die BIC ist seit 1948 als internationale nichtstaatliche Organisation beim United Nations Department of Public Information akkreditiert. Seit 1970 hat die BIC beratenden Status beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen. Die BIC hat auch beratenden Status beim Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), arbeitet mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammen und ist mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) assoziiert.

Der Sitz der BIC ist in New York. Verbindungsbüros befinden sich in Genf und Suva (Fiji), lokale Repräsentanten in Addis Abeba, Bangkok, Nairobi, Santiago und Wien.

Die Zielsetzung der BIC ergibt sich aus dem von Bahá’u’lláh, dem Stifter der Bahá’í-Religon, vor über hundert Jahren formulierten Grundsatz: „Die Erde ist eine Heimat und alle Menschen sind ihre Bürger.“ Die Aufgabenschwerpunkte der BIC sind die weltweite Förderung eines Bewußseins von der Einheit und Schicksalsgemeinschaft aller Menschen und die Unterstützung von Maßnahmen, die auf eine globalverträgliche, zukunftsoffene und einige Weltzivilisation zielen. Das Tätigkeitsfeld der BIC ist entsprechend weitgespannt, mit konkreten Projekten etwa in den Bereichen Friedensförderung, Menschenrechte, Erziehung, Gesundheitsfürsorge, Bewahrung der Umwelt, Frauenförderung wie auch der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Viele der BIC-Projekte werden in Kooperation mit den 175 (Stand: April 1996) nationalen Bahá’í-Gemeinden durchgeführt. Die BIC arbeitet auch eng mit anderen nichtstaatlichen Organisationen zusammen. So ist sie Mitglied des World Wide Fund for Nature’s Network, des Education for All Network und der Advocates for African Food Security.


[i] Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, Hofheim 1977, S. 295f

[ii] Boutros Ghali, Boutros, 1992, An Agenda for Peace: Peace-Making and Peace-Keeping, Bericht des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat, 31. Januar 1992, New York, United Nations. Deutsch in: Butros Butros-Ghali, UNorganisierte Welt, Plädoyer für die große Reform der Vereinten Nationen. Stuttgart 1993

[iii] Die Präambel zur Charta der Vereinten Nationen zählt sicherlich zu den inspirierendsten Textstellen über Regierungskunst:

Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat, unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen, Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können, den sozialen Frieden und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern, und für diese Zwecke „Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben, unsere Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, daß Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird, und internationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern – haben beschlossen, in unserem Bemühen um die Erreichung dieser Ziele zusammenzuwirken. Dementsprechend haben unsere Regierungen durch ihre in der Stadt San Franzisko versammelten Vertreter, deren Vollmachten vorgelegt und in guter und gehöriger Form befunden wurden, diese Charta der Vereinten Nationen angenommen und errichten hiermit eine internationale Organisation, die den Namen ‘Vereinte Nationen’ führen soll.“

[iv] Weltbank, Weltentwicklungsbericht 1994, S. 162f der englischen Ausgabe

[v] Es gibt eine Reihe von Vorschlägen zur UN-Reform, die sich auf bestimmte Fachgebiete beziehen, wie z.B. Unsere gemeinsame Zukunft, der Brundtlandbericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung mit dem Vorschlag, einen „Rat für nachhaltige Entwicklung“ zu gründen, zur Koordinierung von UN-Entwicklungsaktionen unter Bewahrung der Umwelt (Greven, 1987). Siehe auch den Bericht der Brandt-Kommission zum Nord-Süd-Konflikt mit Vorschlägen für die Bereiche Finanzen, Handel und Energie, Common Crisis North-South: Co-operation for World Recovery, London, Pan Books, 1983.

Die Literatur zur UN-Reform wird immer umfangreicher, insbesondere im Vorfeld des fünfzigsten Jahrestags der Vereinten Nationen. Die ersten bedeutsamen Vorschläge zur UN-Reform begannen in den 50er Jahren in Erwartung des zehnten Jahrestags der UN-Charta. Ein Meilenstein in dieser Hinsicht ist die 1958 erschienene Arbeit von Louis B. Sohn und Grenville Clark zur Abschaffung des Vetorechts, World Peace Through World Law, Cambridge, Harvard University Press, 1966.

Neuere Vorschläge reichen von der „Stockholm-Initiative“ (Gemeinsame Verantwortung in den 90er Jahren, Bonn, 1991) mit allgemeinen Vorschlägen zur Stärkung der Vereinten Nationen bis zu Harold Stassen, United Nations: A Working Paper for Restructuring (Minneapolis, Learner Publications Company, 1994), mit detaillierten Vorschlägen zur Neuformulierung der UN-Charta. Benjamin Ferencz (New Legal Foundations for Global Survival, Oceana Publications 1994) gibt Reformvorschläge, die davon ausgehen, daß Nationen, Völker und Individuen sich ihre Ziele frei setzen sollten – sofern dies nicht die grundlegenden Menschenrechte der anderen, in Freiheit und Würde zu leben, beeinträchtigt.

[vi] Nachbarn in Einer Welt, The Commission on Global Governance, Bonn 1995

[vii] Viele Denker haben das Prinzip der Einheit und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Menschheit erkannt, einschließlich des Paläontologen Richard Leaky: „Wir sind eine Rasse, ein Volk. Jeder einzelne auf dieser Erde gehört zur Spezies Homo sapiens. Die Unterschiede zwischen den Menschen sind einfache biologische Nuancen ein und desselben Grundprinzips. Die menschliche Fähigkeit, Kultur zu schaffen, ermöglicht ihre Vielfalt in verschiedenartigsten, facettenreichen Wegen. Die oft recht krassen kulturellen Unterschiede sollten nicht als Trennung zwischen Völkern verstanden werden. Kulturen sind vielmehr das, was sie sind: ein Zeichen, daß man zur einen Menschheit gehört.“ Richard E. Leakey und Rodger Lewin, Origins: What new discoveries reveal about the emergence of our species and its possible future, New York 1977

Die Schriften Shoghi Effendis enthalten eine gründliche und ausführliche Erörterung des Konzepts der Einheit der Menschheit. Eine kurze Zusammenfassung findet sich in Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, Hofheim 1977, S. 69ff

[viii] Wir stehen mit diesem Vorschlag nicht allein. Die „Commission on Global Governance“ formulierte: „Es ist unser Vorschlag, daß die Vollversammlung eine Weltkonferenz über ‘Global Governance’ 1998 durchführt, deren Beschlüsse im Jahr 2000 ratifiziert und vollzogen werden sollen.“ Commission on Global Governance, Nachbarn in Einer Welt, Bonn 1995, S. 386

[ix] Zwei gebräuchliche Sprichwörter illustrieren dies: „Small is beautiful“, in den 70er Jahren als ökonomisches Motto entstanden, läßt sich auch auf die Regierungskunst anwenden. Hierzu schrieb E. F. Schumacher (Small is Beautiful: Economics as if People Mattered, New York 1973, S. 65): „In den menschlichen Beziehungen scheint es immer ein Bedürfnis für zwei Dinge zu geben, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen. Wir brauchen sowohl Freiheit als auch Ordnung. Wir brauchen Freiheit in vielen kleinen Dingen, und Ordnung auf der größeren Ebene, möglichst global, in Einheit und Koordination.“

„Denke global, aber handle lokal“, ist ein weiterer Slogan, der jüngst von Umweltgruppen lanciert wurde und der sehr treffend eine Perspektive für die Notwendigkeit globaler Lenkung und deren Balance mit lokaler und nationaler Selbstbestimmung aufzeigt.

[x] „Weit davon entfernt, auf den Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung abzuzielen, sucht… [ein globales Regierungssystem] ihre Grundlage zu erweitern, ihre Institutionen in einer Weise umzugestalten, die mit den Bedürfnissen einer stets sich wandelnden Welt in Einklang steht. Es kann mit keiner rechtmäßigen Untertanenpflicht in Widerspruch sein, noch kann es wirkliche Treue untergraben. Seine Absicht ist weder, die Flamme einer vernünftigen Vaterlandsliebe in den Herzen der Menschen zu ersticken, noch den Grundsatz nationaler Selbständigkeit abzuschaffen, der so wesentlich ist, wenn die Übel übertriebener Zentralisation vermieden werden sollen. Es übersieht weder die Verschiedenheiten der völkischen Herkunft, des Klimas, der Geschichte, Sprache und Überlieferung, des Denkens und der Gewohnheit, die die Völker und Länder der Welt unterschiedlich gestalten, noch versucht es, sie auszumerzen. Es ruft nach größerer Treue, stärkerem Bemühen als irgendein anderes, das je die Menschenwelt beseelt hat. Es besteht auf der Unterordnung nationaler Regungen und Belange unter die zwingenden Ansprüche einer geeinten Welt. Es verwirft einerseits die übersteigerte Zentralisation und entsagt zum andern allen Versuchen der Gleichmacherei.“ Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, Hofheim 1977, S. 67f

[xi] Bereits in den 30er Jahren betonte Shoghi Effendi, der damals die Bahá’í-Weltgemeinde leitete, die Aufgaben einer künftigen Weltlegislative. So sah er etwa die Notwendigkeit einer „Weltlegislative…, deren Mitglieder als Treuhänder der ganzen Menschheit… die erforderlichen Gesetze geben, um das Leben aller Rassen und Völker zu steuern, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ihre wechselseitigen Beziehungen anzupassen.“ Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 297

Diese Ansicht wird von Gelehrten wie Jan Tinbergen, dem Nobelpreisträger für Volkswirtschaft 1969, geteilt, der schrieb: „Die Probleme der Menschheit können nicht länger nur durch nationale Regierungen gelöst werden. Wir brauchen eine Weltregierung. Dies kann am besten durch eine Stärkung des Systems der Vereinten Nationen erreicht werden.“ United Nations Development Programme (UNDP), Human Development Report 1994, Global Governance for the 21st Century, New York, S. 88

[xii] Bahá’í International Community, Proposals to the United Nations Charter Revision, May 23, 1955

[xiii] In Seinen Schriften verwendet Bahá’u’lláh durchweg den Begriff „Ordnung“, „Weltordnung“ und „Neue Weltordnung“, um die derzeit stattfindenden gewaltigen Umwälzungsprozesse zu beschreiben, die im politischen, gesellschaftlichen und religiösen Leben zu beobachten sind. In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts schrieb er: „Die Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten durch die Schwungkraft dieser größten, dieser neuen Weltordnung. Das geregelte Leben der Menschheit ist aufgewühlt durch das Wirken dieses einzigartigen, dieses wundersamen Systems, desgleichen kein sterbliches Auge je gesehen hat.“ Bahá’u’lláh, Kitáb-i-Aqdas 181

[xiv] Vgl. ‘Abdu’l-Bahá, Das Geheimnis göttlicher Kultur, Oberkalbach 1973, S. 31

[xv] United Nations Research Institute for Social Development (UNRISD), States of Disarray: The social effects of globalization, London 1995, S. 106-109

[xvi] Es gibt viele Möglichkeiten, mit denen eine solche Kommission, oder die Weltlegislative selbst, auf gerechte Weise die Grenzfragen lösen könnte. Wie schwer dieses Vorhaben auch immer sein mag, es stellt einen wichtigen Teil der Entwicklung einer neuen Weltordnung dar. Hierzu schrieb bereits ‘Abdu’l-Bahá: „Wahre Kultur wird ihr Banner mitten im Herzen der Welt entfalten, sobald eine gewisse Zahl ihrer vorzüglichen, hochgesinnten Herrscher – leuchtende Vorbilder der Ergebenheit und Entschiedenheit – mit festem Entschluß und klarem Blick daran geht, den Weltfrieden zu stiften. Sie müssen die Friedensfrage zum Gegenstand allgemeiner Beratung machen und mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln versuchen, einen Weltvölkerbund zu schaffen. Sie müssen einen verbindlichen Vertrag und einen Bund schließen, dessen Verfügungen vernünftig, unverletzlich und bestimmt sind. Diesen Vertrag müssen sie der ganzen Welt bekannt geben und die Bestätigung des gesamten Menschengeschlechts für ihn erlangen. Ein derart erhabenes und edles Unternehmen – der wahre Quell des Friedens und Wohlergehens für die ganze Welt – sollte allen, die auf Erden wohnen, heilig sein. Alle Kräfte der Menschheit müssen frei gemacht werden, um die Dauer und Beständigkeit dieses größten aller Bündnisse zu sichern. In diesem allumfassenden Vertrag sollten die Grenzen jedes einzelnen Landes deutlich festgelegt, die Grundsätze, die den Beziehungen der Regierungen untereinander zugrunde liegen, klar verzeichnet und alle internationalen Vereinbarungen und Verpflichtungen bekräftigt werden. In gleicher Weise sollte der Umfang der Rüstungen für jede Regierung genauestens umgrenzt werden, denn wenn die Zunahme der Kriegsvorbereitungen und Truppenstärken in irgendeinem Land gestattet wäre, so würde dadurch das Mißtrauen anderer geweckt. Die Hauptgrundlage dieses feierlichen Vertrages sollte so verankert werden, daß bei einer späteren Verletzung irgendeiner Bestimmung durch irgendeine Regierung sich alle Regierungen der Erde erheben, um jene wieder zu voller Unterwerfung unter den Vertrag zu bringen, nein, die Menschheit als Ganzes sollte sich entschließen, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln jene Regierung zu vernichten. Wird dieses größte aller Heilmittel auf den kranken Körper der Welt angewandt, so wird er sich gewiß wieder von seinen Leiden erholen und dauernd bewahrt und heil bleiben.“ Geheimnis göttlicher Kultur, Oberkalbach 1973, S. 62f

[xvii] Das Spendenaufkommen für soziale Zwecke stieg in den USA im Jahr 1994 um 3,6% auf 130 Milliarden Dollar. vgl. Karen W. Arenson in der New York Times vom 25. Mai 1995, S. 22

[xviii] „Zur Frage einer internationalen Sprache… Wir wünschen uns als Bahá’í, daß eine universelle Hilfssprache sobald als möglich angenommen wird. Dabei favourisieren wir keine bestimmte Sprache. Wenn sich die Regierungen der Welt auf eine existierende Sprache oder auf eine zu schaffende neue zum internationalen Gebrauch einigten, beides fände unsere uneingeschränkte Unterstützung, denn wir wünschen, diesen Schritt in der Vereinigung der Menschheit so rasch als möglich verwirklicht zu sehen.“ Shoghi Effendi, Directives of the Guardian, New Delhi 1973, S. 39 Bei diesem Vorschlag legen wir Wert auf den Begriff „Hilfssprache“. Die Bahá’í-Lehre schätzt und fördert kulturelle Vielfalt, nicht Uniformität. Wir fassen deshalb zu diesem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte nicht die weltweite Einführung einer einzigen Sprache ins Auge. Statt dessen sollten die Völker und Nationen ihre eigene lokale oder nationale Sprache behalten, gleichzeitig aber ermutigt werden, eine universelle Sprache zu erlernen. Eine solche universelle Sprache sollte schließlich an den Schulen in aller Welt als Pflichtfach gelehrt werden. Keinesfalls sollte damit jedoch der legitime Ausdruck nationaler und örtlicher sprachlicher und kultureller Vielfalt beeinträchtigt werden.

[xix] „Der Tag naht, da alle Völker der Welt eine universale Sprache und eine einheitliche Schrift annehmen werden“, so schrieb Bahá’u’lláh in den späten siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. „Wenn dies erreicht ist, wird es für jeden Menschen, in welche Stadt er auch reisen mag, sein, als betrete er sein eigenes Heim.“ Ährenlese, Hofheim 1980, 117:1

[xx] In einem Sonderbeitrag zum Weltentwicklungsbericht 1994 schrieb der Nobelpreisträger für Wirtschaft, James Tobin, daß eine einzige Weltwährung die meisten, wenn nicht alle der Turbulenzen beseitigen würde, die derzeit mit der massiven weltweiten Devisenspekulation einhergehen. Da es noch lange bis zur Einführung einer Weltwährung dauern könnte, schlägt er sogar eine „einheitliche Weltsteuer“ auf Devisentransfers vor. UNDP, Human Development Report 1994, A Tax on International Currency Transactions, New York, S. 70

[xxi] Das Prinzip kollektiver Sicherheit vertrat Bahá’u’lláh vor über einem Jahrhundert in Briefen an die Könige und Herrscher der Welt: „Seid einig, o Könige der Erde, denn dadurch wird der Sturm des Haders gestillt, und euere Völker finden Ruhe – wenn ihr doch zu den Verstehenden gehörtet! Sollte einer unter euch gegen einen anderen die Waffen ergreifen, so erhebt euch alle gegen ihn, denn dies ist nichts als offenbare Gerechtigkeit.“ Ährenlese 119:5

[xxii] Unabhängige Arbeitsgruppe über die Zukunft der Vereinten Nationen, Die Vereinten Nationen in ihren nächsten 50 Jahren, Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Bonn 1995, S. 16

[xxiii] Glenview Foundation, The Stassen Draft Charter for a New United Nations to Emerge from the Original, to Serve World Peace and Progress for the Next Fourty Years, Philadelphia 1985; Grenville Clark/Louis B. Sohn, World Peace Through World Law, Cambridge (Mass.) 1966; Keith Hindell, „Reform of the United Nations?“, in: The World Today: Journal of the Royal Institute of International Affairs, Bd. 48, Nr. 2, Februar 1992, S. 30-33; Benjamin B. Ferencz/Ken Keyes Jr., Planethood: The Key to Your Future, Coos Bay (Oregon) 1991; Boutros Boutros-Ghali, An Agenda for Peace: Peace-making and Peace-keeping. Report of the Secretary-General Pursuant to the Statement Adopted by the Summit Meeting of the Security Council, January 31, New York 1992

[xxiv] Damit soll nicht gesagt werden, daß man mit dem Verbot von Massenvernichtungswaffen warten soll, bis eine solche Streitmacht ins Leben gerufen ist. Wir unterstützen voll und ganz die derzeitigen Bemühungen zur Nonproliferation von Nuklearwaffen einschließlich eines Moratoriums, wie auch alle sonstigen Anstrengungen zur Abschaffung nuklearer, chemischer und biologischer Waffen. Entsprechend müssen auch strengere Maßnahmen zum Verbot konventioneller Waffen, wie etwa Landminen, ergriffen werden, die noch immer Tausende unschuldiger Menschen töten.

[xxv] ul Haq, Mahbub, 1994. Generalberater an UNDP, Berichterstatter für den Weltentwicklungsbericht, der in den letzten Jahren neue Erkenntnisse in der Entwicklungspolitik förderte, einschließlich einem neuen Sicherheitskonzept.

[xxvi] Erskine Childers, Hrsg., Challenges to the United Nations: Building a safer world, New York, St. Martin’s Press, 1994, S. 21-25

[xxvii] John Huddleston, The Search for a Just Society, Kidlington, Oxford, George Ronald, 1989

[xxviii] Verborgene Worte, Hofheim 1983, arabisch 2

[xxix] Vor etwa 75 Jahren machte ‘Abdu’l-Bahá folgende Vorschläge für einen künftigen internationalen Gerichtshof: „die Nationalversammlungen jedes Landes und jeder Nation, das heißt, die Parlamente, [sollten] zwei oder drei Personen auswählen, die Edelsten ihres Volkes, Kenner des internationalen Rechts sowie der Beziehungen zwischen den Regierungen, dazuhin vertraut mit den wesentlichen Bedürfnissen der heutigen Menschheit. Die Zahl dieser Abgeordneten sollte im Verhältnis zu der Bevölkerungszahl des Landes stehen. Die Wahl dieser Seelen durch die Nationalversammlung, das heißt, durch das Parlament, ist vom Oberhaus, vom Kongreß, vom Kabinett und ebenso vom Präsidenten oder Monarchen zu bestätigen, damit diese Persönlichkeiten die Gewählten des ganzen Volkes und der Regierung sind. Aus diesem Personenkreis sind die Mitglieder des Höchsten Gerichtshofes zu wählen. Die ganze Menschheit hat somit Anteil daran; denn jeder Abgeordnete vertritt die ganze Nation. Wenn der Höchste Gerichtshof zu einer internationalen Frage ein Urteil fällt, entweder einmütig oder durch Mehrheitsbeschluß, so gibt es keinen Einwand mehr für den Kläger und keine Ausflucht für den Beklagten. Falls eine Regierung oder Nation die unwiderlegliche Entscheidung des Höchsten Gerichtshofs mißachtet oder die Ausführung verschleppt, werden die übrigen Nationen dagegen auftreten; denn alle Regierungen und Nationen der Welt sind die Stützen dieses Höchsten Gerichtshofs. Überlegt, wie fest diese Grundlage ist! Ein beschränkter, eingeengter Bund jedoch erfüllt den Zweck nicht angemessen.“ Briefe und Botschaften, Hofheim 1992, 227:31

[xxx] Derzeit ist die Zuständigkeit des Gerichts auf folgende Bereiche beschränkt: 1. Fälle, in denen die Parteien die Anträge gemeinsam einbringen, 2. Verletzungen von Verträgen und Konventionen, wenn darin ausdrücklich die Zuständigkeit des Gerichts vorgesehen ist, und 3. spezielle Fälle von Rechtsstreitigkeiten zwischen Mitgliedsstaaten, in denen diese die Zuständigkeit des Gerichts als bindend ansehen. Vgl. Europe World Year Book 1994, Vol. I, Intern. Court of Justice, S. 22

[xxxi] Ährenlese 122. „Die erste und dringlichste Notwendigkeit ist die Förderung der Erziehung. Man kann sich nicht denken, daß ein Volk zu Wohlstand und Erfolg kommt, ohne daß diese ausschlaggebende, grundlegende Frage vorangetrieben wird. Die Hauptursache für den Niedergang und Verfall der Völker ist Unwissenheit. Heutzutage wissen die Massen des Volkes nicht einmal über das Alltägliche Bescheid, wieviel weniger begreifen sie die Kernfragen wichtiger Probleme und die verwickelten Lebensbedürfnisse unserer Zeit!“ ‘Abdu’l-Bahá, Das Geheimnis göttlicher Kultur, S. 98. „Dieselben Unterschiede finden sich auch unter Tieren. Einige wurden domestiziert, erzogen; andere blieben wild. Es ist deutlich, daß die Welt der Natur unvollkommen, die Welt der Erziehung dagegen vollkommen ist. Man kann sagen, daß der Mensch aus den Zwängen der Natur errettet wird durch Erziehung und Kultur. Also ist Erziehung notwendig. Aber es gibt verschiedene Arten von Erziehung. Die Ausbildung und Entwicklung des Leibes fördert Kraft und Wachstum. Für die intellektuelle Ausbildung oder Schulung werden Schulen und Universitäten gegründet. Die dritte Art der Erziehung ist die des Geistes. Durch den Odem des Heiligen Geistes wird der Mensch in die Welt der Sittlichkeit gehoben und vom Licht göttlicher Segensgaben erleuchtet. Zugang zur Welt der Sittlichkeit erhält man nur durch die Strahlen der Sonne der Wirklichkeit und den lebenspendenden Geist Gottes.“ ‘Abdu’l-Bahá, aus einer Ansprache vom 20. September 1912 in St. Paul, Promulgation of Universal Peace, S. 329f

[xxxii] Regierungen und deren Partner sollten bedenken, daß materielle Gleichheit weder erreichbar noch erstrebenswert ist. Absolute Gleichheit ist eine Schimäre. Trotzdem wird es in vielen Bereichen erforderlich sein, den in der Welt verfügbaren Reichtum bis zu einem gewissen Umfang neu zu verteilen. Es wird immer offensichtlicher, daß ein ungezügelter Kapitalismus auch nicht die Lösung darstellt. Ein gewisses Maß an Regulierung und Umverteilung ist um der materiellen Gerechtigkeit willen erforderlich. In dieser Hinsicht ist eine einkommensabhängige Steuer prinzipiell eines der gerechtesten und angemessensten Mittel. Auch freiwilliges Teilen – individuell wie auf gesellschaftlicher Ebene – sollte seinen Platz haben. Chancengleichheit für wirtschaftliche Entwicklung sollte jedoch bereits der Struktur der neuen Ordnung inhärent sein. Die wichtigste Regulierung eines jeglichen ökonomischen Systems ist letztlich jedoch sittlich-moralischer Art und beginnt in den Herzen und Köpfen der Menschen.

[xxxiii] Die Einrichtung der Global Environment Facility (GEF) ist ein erfreulicher erster Schritt in die richtige Richtung und kann auf lange Sicht als Hilfsmittel zur Finanzierung der Agenda 21 nützlich sein, sofern ihr Einsatzbereich erweitert und ihr Mandat neu definiert wird.

[xxxiv] World Conference on Human Rights. Vienna Declaration and Programme of Action, 14-25 June 1993, Wien

[xxxv] Weitere Ausführungen zu diesem Konzept finden sich in dem Februar 1995 veröffentlichten Statement der Bahá’í International Community, Office of Public Information, Entwicklungsperspektiven für die eine Menschheit: „Das Bewußtsein, das den Menschen im besonderen auszeichnet, ist auf das engste verbunden mit dem selbständigen Erforschen der Wirklichkeit. Die Freiheit, den Sinn des Daseins zu ergründen und die in der menschlichen Natur angelegten Fähigkeiten zu dessen Verwirklichung zu entwickeln, muß geschützt werden. Menschen müssen frei sein, Wissen zu erwerben. Daß eine solche Freiheit oft mißbraucht wird und daß zu diesem Mißbrauch durch Erscheinungsformen der heutigen Gesellschaft in übelster Weise ermutigt wird, tut der Gültigkeit dieses Antriebs in keiner Weise Abbruch. Es ist dieser bemerkenswerte Antrieb – das menschliche Bewußtsein –, das den moralischen Imperativ für die Aufstellung vieler der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den dazugehörigen Verträgen enthaltenen Rechte liefert. Allgemeine Erziehung, freie Wahl des Wohnsitzes, Zugang zu Informationen und die Möglichkeit, am politischen Leben teilzunehmen, sind alles Aspekte seiner Wirksamkeit, welche ausdrücklich eine Garantie durch die internationale Gemeinschaft erfordern. Das gleiche gilt auch für die Gedanken- und Glaubensfreiheit, einschließlich der Religionsfreiheit, sowie das Recht auf eigene Meinung und auf angemessenen Ausdruck derselben.

Da die gesamte Menschheit eins und unteilbar ist, ist jedes ihrer Mitglieder in die Welt als ein dem Ganzen anvertrautes Pfand hineingeboren. Diese Treuhänderschaft bildet die geistige Grundlage für die meisten anderen Rechte – hauptsächlich wirtschaftliche und soziale –, die die Einrichtungen der Vereinten Nationen in entsprechender Weise zu definieren suchen. Die Sicherheit der Familie und des Heimes, der Anspruch auf Besitz und das Recht auf Privatsphäre sind alle in einer solchen Treuhänderschaft inbegriffen. Die Verpflichtung der Gesellschaft umfaßt auch die Bereitstellung von Arbeit, die geistige und körperliche Gesundheitsvorsorge, soziale Sicherheit, gerechte Löhne, Ruhe und Erholung, und eine Reihe anderer vernünftiger Erwartungen an die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft.

Das Prinzip der kollektiven Treuhänderschaft bedingt auch, daß jede Person das Recht hat zu erwarten, daß die für ihre Identität wesentlichen kulturellen Bedingungen den Schutz durch nationale und internationale Gesetze genießen. Ähnlich der Rolle, die die Gesamtheit der Gene im biologischen Leben der Menschheit und ihrer Umwelt spielt, ist der großartige, durch viele Jahrtausende erworbene Reichtum an kultureller Vielfalt für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Menschengeschlechtes bei seinem kollektiven Eintritt ins Erwachsenenalter lebensnotwendig. Dieser Reichtum ist ein Erbe, dem jetzt gestattet werden muß, in einer weltumspannenden Zivilisation Früchte zu tragen. Einerseits muß die kulturelle Eigenart davor bewahrt werden, daß die beherrschenden materiellen Einflüsse sie ersticken. Andererseits muß ein Austausch zwischen den Kulturen in ständig sich wandelnden Mustern und Strukturen ermöglicht werden, frei von Manipulationen, die einseitigen politischen Interessen dienen.“ Entwicklungsperspektiven für die Menschheit – Ein neues Verständnis von globalem Wohlstand, Hofheim 1996, S. 11

[xxxvi] Die Achtung der Menschenrechte muß in der Familie beginnen: „Vergleiche die Nationen der Welt mit den Mitgleidern einer Familie. Eine Familie ist eine Nation im Kleinen. Erweitert nur den Kreis des Haushalts, und ihr habt die Nation. Erweitert den Kreis der Nationen und ihr habt die ganze Menschheit. Die Bedingungen, welche die Familie betreffen, betreffen auch die Nation. Was in der Familie geschieht, geschieht auch im Leben der Nation. Hilft es dem Fortschritt und dem Vorankommen der Familie, wenn ihre Mitglieder uneins werden, wenn Streit ausbricht, jeder den anderen ausnützt, Eifersucht und Rachegefühle vorherrschen, wenn jeder selbstsüchtig seinen Vorteil sucht? Nein, Fortschritt und Vorankommen wären dahin. So ist es auch mit der großen Familie der Nationen, denn Nationen sind nur viele Familien zusammen. Wie denn Streit und Uneinigkeit eine Familie zerstören und ihren Fortschritt hindern, so werden auch Nationen zerstört und aller Fortschritt behindert.“ ‘Abdu’l-Bahá, Promulgation of Universal Peace, Wilmette 1982, S. 157

[xxxvii] „Wenn die ganze Menschheit dieselben Bildungsmöglichkeiten erhält und die Gleichheit von Mann und Frau Wirklichkeit ist, dann werden die Wurzeln des Kriegs ausgerissen sein. Ohne Gleichheit ist dies unmöglich, weil alle trennenden Unterschiede zu Zwietracht und Streit führen. Die Gleichheit von Mann und Frau hat die Abschaffung des Kriegs zur Folge, denn Frauen werden nie bereit sein, den Krieg zu billigen. Mütter werden ihre Söhne, die sie zwanzig Jahre lang von klein auf umsorgten und umhegten, nicht als Opfer für die Schlachtfelder hergeben, ganz gleich für welche Sache. Kein Zweifel, wenn die Frauen gleiche Rechte erhalten, wird der Krieg unter den Menschen ganz und gar aufhören.“ ‘Abdu’l-Bahá, The Promulgation of Universal Peace, S. 174f

[xxxviii] „Um es noch einmal bewußt zu machen: Bevor Frau und Mann nicht die Gleichberechtigung anerkennen und verwirklichen, ist gesellschaftlicher und politischer Fortschritt weder hier noch irgendwo sonst möglich. Denn die Menschenwelt besteht aus zwei Teilen oder Gliedern: das eine ist die Frau, das andere der Mann. Solange diese beiden Glieder an Stärke nicht gleich sind, kann die Einheit der Menschheit nicht verwirklicht werden, und Glück und Wohl der Menschheit werden nicht Wirklichkeit. So Gott will, wird dies erreicht werden.“ Aus einer Ansprache ‘Abdu’l-Bahás vor dem Federation of Women’s Clubs, Chicago, Illinois, am 2. Mai 1912, The Promulgation of Universal Peace, S. 77

[xxxix] „In der Vergangenheit wurde die Welt durch Gewalt regiert, und der Mann herrschte aufgrund seiner stärkeren und aggressiveren körperlichen und intellektuellen Eigenschaften über die Frau. Aber schon neigt sich die Waage. Gewalt verliert ihr Gewicht, und geistige Regsamkeit, Intuition und die spirituellen Eigenschaften der Liebe und des Dienens, in denen die Frau stark ist, gewinnen an Einfluß. Folglich wird das neue Zeitalter weniger männlich und mehr von weiblichen Idealen durchdrungen sein, oder genauer gesagt, es wird ein Zeitalter sein, in dem die männlichen und weiblichen Elemente der Kultur besser ausgeglichen sein werden.“ ‘Abdu’l-Bahá, zitiert in: John. E. Esslemont, Bahá’u’lláh und das Neue Zeitalter, Hofheim 6. Aufl. 1976, S. 173

[xl] Der Grundsatz, daß Frauen und Mädchen bevorzugt Zugang zu Bildung erhalten sollen, hat in der Bahá’í-Lehre eine lange Tradition. So formulierte ‘Abdu’l-Bahá im Jahre 1912: „Indem Er die Einheit der Menschheit verkündete, lehrte… [Bahá’u’lláh], daß Männer und Frauen vor Gott gleich sind und kein Unterschied zwischen ihnen gemacht werden darf. Der Unterschied, der zur Zeit zwischen ihnen besteht, beruht einzig auf mangelnder Erziehung und Bildung. Wenn man der Frau gleiche Bildungschancen eröffnet, werden alle Unterschiede und die scheinbare Minderwertigkeit der Frau verschwinden… Zudem ist die Erziehung der Frau von größerer Bedeutung als die Erziehung des Mannes, denn Frauen sind die Mütter der Menschheit, und Mütter erziehen die Kinder. Die Mutter ist der erste Lehrer der Kinder. Sie muß deshalb gut ausgebildet sein, um Söhne und Töchter erziehen zu können. Zu dieser Frage gibt es in den Worten Bahá’u’lláhs viele Einzelheiten.

Er forderte den gleichen Bildungsgang für Mann und Frau. Töchter und Söhne müssen denselben Lehrplan durchlaufen und dadurch die Einheit der Geschlechter fördern.“, Promulgation, S. 174f

[xli] Lawrence H. Summers (Vizepräsident der Weltbank), Investing in All the People, 1992; USAID, Technical Reports in Gender and Development. Making the Case for the Gender Variable: Women and the Wealth and Wellbeing of Nations, Office of Women in Development, 1989

[xlii] ‘Abdu’l-Bahá, Briefe und Botschaften 227:18

[xliii] The Nairobi Forward-Looking Strategies for the Advancement of Women. As adopted by the World Conference to Review and Appraise the Achievements of the United Nations Decade for Women: Equality, Development and Peace, Nairobi, Kenia, 15-26 July 1985

[xliv] Briefe und Botschaften 227:23

[xlv] Die interreligiöse Verlautbarung »Erklärung zum Weltethos«, herausgegeben von einer Versammlung religiöser und geistiger Führer aus faktisch allen größeren Religionen und geistigen Bewegungen auf dem 1993 in Chicago veranstalteten Parlament der Weltreligionen, hält fest, daß die Religionen der Welt wirklich vieles finden können, was sie in dieser Hinsicht gemeinsam haben. Es heißt in der Verlautbarung: »Wir bekräftigen, daß sich in den Lehren der Religionen ein gemeinsamer Bestand von Kernwerten findet und daß diese die Grundlage für ein Weltethos bilden… Es gibt bereits uralte Richtlinien für menschliches Verhalten, die in den Lehren der Religionen der Welt gefunden werden können und welche die Bedingung für eine dauerhafte Weltordnung sind.« Erklärung zum Weltethos, Die Deklaration des Parlaments der Weltreligionen, herausgegeben von Hans Küng und KarlJosef Kuschel, München 1993, S. 16

[xlvi] Die Goldene Regel, die Lehre, andere so zu behandeln, wie man selbst behandelt zu werden wünscht, wird als Sittenlehre in allen großen Religionen oft wiederholt. Im Buddhismus: »Verletze nicht andere in einer Weise, die du als verletzend empfändest« (Udana-Varqa, 5:18). Im Parsismus: »Nur die Natur ist gut, die anderen nicht antut, was für sie selbst ungut wäre« (Dadistan-i Dinik, 94:5). Im Judentum: »Tu deinem Mitmenschen nicht an, was dir verhaßt ist. Das ist das ganze Gesetz, der Rest ist Auslegung« (Talmud, Shabbat, 31a). Im Hinduismus: »Der Kern aller wahren Rechtschaffenheit ist: Behandle andere so, wie du willst, daß sie dich behandeln. Tu deinem Nachbarn nichts, was du nicht willst, daß er es dir heimzahlt« (Mahabharata). Im Christentum: »Und wie ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, also tut ihnen auch« (Lukas 3:31). Im Islam: »Keiner von euch ist ein Gläubiger, wenn er nicht für seinen Bruder dasselbe wünscht wie für sich selbst« (Sunnah). Im Taoismus soll ein guter Mensch »Mitleid haben mit den bösen Neigungen anderer; er sollte ihren Gewinn als seinen eigenen betrachten, und ihren Verlust ebenso« (Thai-Shang). Im Konfuzianismus: »Grundsatz der Herzensgüte ist zweifellos: Tu anderen nicht, was sie dir nicht tun sollen« (Lesefrüchte xv, 23). Im Bahá’í-Glauben: »Er sollte für andere nicht wünschen, was er für sich selbst nicht wünscht, und nicht versprechen, was er nicht hält« (Kitáb-i-Íqán 215; zit. in Bahá’u’lláh, Ährenlese 125:3).

[xlvii] Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, Hofheim 1977, S. 295 f.

[xlviii] Botschaften aus ‘Akká, Hofheim 1982, 11:27, Ährenlese 4:2, 110

[xlix] Botschaften aus ‘Akká 11:13

[l] Die Commission on Global Governance schreibt: »Heute, da die Welt aufgeklärter Antworten auf die Herausforderungen am Vorabend des neuen Jahrhunderts bedarf, sind wir beunruhigt über den Mangel an Führung in vielen Bereichen der menschlichen Gesellschaft. Auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene, in lokalen Gemeinschaften und in internationalen Organisationen, in Regierungen und Nichtregierungs-organisationen braucht die Welt glaubwürdige und beständige Führung. Sie braucht eine vorausschauende, nicht nur reagierende Führung, die Ideen entwikkelt und nicht nur funktioniert, die sich orientiert an langfristigen Perspektiven und den Interessen künftiger Generationen, für die wir die heutige Welt treuhänderisch verwalten. Sie braucht Führer, die durch Visionen gestärkt sind, die von Ethos getragen sind und die den politischen Mut haben, auch über die nächste Wahl hinaus zu denken. Dies kann keine auf die eigenen vier Wände beschränkte Führung sein. Sie muß über Länder, Rassen, Religionen, Kulturen, Sprachen und Lebensstile hinwegreichen. Sie muß von einem tieferen Gefühl der Menschlichkeit getragen und von Hilfsbereitschaft für andere durchdrungen sein, sie bedarf eines Gespürs der Verantwortung gegenüber der Einen Welt.« Bericht der Commission on Global Governance, Nachbarn in Einer Welt, Bonn 1995, S. 388f

[li] Ährenlese 43:5, 4

 

Entwicklungsperspektiven für die Menschheit

Entwicklungsperspektiven für die Menschheit

Copenhagen, Denmark—3 March 1995

Das Ideal des Weltfriedens nimmt heute konkrete Gestalt an. Noch vor einem Jahrzehnt war dies unvorstellbar. Hindernisse auf dem Weg der Menschheit, die lange Zeit unüberwindlich schienen, stürzen ein; scheinbar unversöhnliche Konflikte beginnen Beratungs- und Entscheidungsprozessen zu weichen; es wächst die Bereitschaft, militärischer Aggression durch gemeinsames internationales Handeln zu begegnen. Dies erweckt bei den meisten Menschen und bei vielen führenden Persönlichkeiten neue Hoffnung für die Zukunft unseres Planeten, eine Hoffnung, die vorher fast erloschen war.

Überall auf der Welt entfaltet sich intellektuelle und geistige Energie, deren geballter Druck in direktem Verhältnis zu den Frustrationen der vergangenen Jahrzehnte steht. Die Anzeichen mehren sich, daß die Völker der Welt sich nach einem Ende der Kriege, des Leides und der Zerstörungen sehnen, von denen kein Land mehr verschont bleibt. Diese Impulse müssen genutzt und in die richtige Bahn gelenkt werden, um die noch verbleibenden Hindernisse auf dem Wege zur Verwirklichung des uralten Traums vom Weltfrieden zu überwinden. Bloße Appelle zu Maßnahmen gegen die zahllosen Übel, die unsere Gesellschaft heimsuchen, reichen nicht aus. Die für eine solche Aufgabe erforderliche Entschlossenheit braucht einen stärkeren Antrieb: eine Vision menschlicher „Wohlfahrt“ im umfassenden Sinn - aller jetzt erreichbaren Möglichkeiten des geistigen und materiellen Wohls. Alle Menschen müssen unterschiedslos in den Genuß dieser Möglichkeiten gelangen; niemandem dürfen Bedingungen aufgebürdet werden, die den grundlegenden Zielen einer solchen Neuordnung aller Aspekte menschlichen Lebens widersprechen.

Die bisherige Geschichte verzeichnet hauptsächlich die Erfahrung von Stämmen, Kulturen, Klassen und Nationen. Mit dem Zusammenwachsen der Völker der Erde in diesem Jahrhundert und der Anerkennung der gegenseitigen Abhängigkeit aller Menschen beginnt nun die Geschichte der Menschheit als der eines Volkes. Der Prozess der Zivilisation war langwierig und wechselvoll, geprägt von großen Schwankungen und Ungerechtigkeiten in der Verteilung der materiellen Güter. Doch heute sind alle dazu aufgerufen, sich auf ihren in früheren Zeiten entwickelten Reichtum an genetischer und kultureller Vielfalt als kollektives Erbe der Menschheit zu besinnen und bewußt und systematisch die Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft zu übernehmen.

Es wäre unrealistisch zu glauben, die nächste Zivilisationsstufe könne ohne sorgfältige Überprüfung der Einstellung und Grundannahmen beschrieben werden, die den heutigen Ansätzen für soziale und wirtschaftliche Entwicklung zugrunde liegen. Zunächst wird sich eine derartige Überprüfung mit praktischen Fragen befassen: Verfahrensfragen, Ressourcennutzung, Planungstechniken, Anwendungsverfahren und Organisation. Dabei werden sich jedoch rasch Grundsatzfragen ergeben: Welche Langzeitziele sind anzustreben? Wie sehen die dafür erforderlichen sozialen Strukturen aus? Welche Konsequenzen hat dies für die Entwicklung von Prinzipien sozialer Gerechtigkeit? Welchen Charakter und welche Funktion muß Wissen haben, wenn es eine nachhaltige Entwicklung bewirken soll? Eine solche Überprüfung wird unweigerlich dazu zwingen, einen breiten Konsens über das Wesen des Menschen zu finden.

Zwei Diskussionsebenen eröffnen sich durch diese praktischen und konzeptionellen Fragen. Die eine befaßt sich mit den vorherrschenden Ansichten über Wesen und Ziel des Entwicklungsprozesses, die andere mit der Rolle der dabei beteiligten Akteure. Auf den folgenden Seiten werden diese Aspekte untersucht und eine Strategie für globale Entwicklung entworfen.

Die gegenwärtige Entwicklungsplanung steht überwiegend unter materialistischen Prämissen. Das heißt, das Ziel wird definiert als erfolgreicher Einsatz von Mitteln, die anderswo entwickelt und erprobt wurden, wo sie zu materiellem Wohlstand führten. Wohl gibt es in der Diskussion über Entwicklungsstrategien bereits Bestrebungen, Unterschieden der Kultur und des politischen Systems oder den Gefahren durch Umweltzerstörung Rechnung zu tragen. Die zugrunde liegenden materialistischen Prämissen sind jedoch bisher im wesentlichen unbestritten.

Am Ende des 20. Jahrhunderts wird unübersehbar, daß der einer materialistischen Lebenseinstellung zugrunde liegende Ansatz für soziale und wirtschaftliche Entwicklung den Bedürfnissen der Menschheit nicht gerecht wird. Optimistische Prognosen über die daraus resultierenden Veränderungen verschwinden in dem sich ständig vergrößernden Graben zwischen dem Lebensstandard einer kleinen, weiter abnehmenden Minderheit der Weltbevölkerung und der Armut, unter der die meisten Menschen leben müssen.

Diese beispiellose Wirtschaftskrise und der durch sie mit verursachte gesellschaftliche Zusammenbruch sind Zeichen für einen folgenschweren Irrtum über das Wesen des Menschen. Die heute vorherrschenden Anreize fördern Reaktionen, die angesichts der Weltereignisse unangemessen und nahezu bedeutungslos erscheinen. Findet die Gesellschaft nicht ein Ziel, das über die bloße Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen hinausgeht, wird ihr nicht einmal diese gelingen. Das Ziel muß in den geistigen Dimensionen des Lebens gesucht werden. Die Motivation muß außerhalb der Wechselfälle der Wirtschaft und der künstlichen Aufteilung der Menschheit in „entwickelt" und „sich entwickelnd" liegen.

Wird das Ziel der Entwicklung neu definiert, müssen auch die Voraussetzungen, unter denen die in diesem Prozess Beteiligten ihre Rolle spielen, neu betrachtet werden. Die entscheidende Aufgabe der staatlichen Institutionen – gleich, auf welcher Ebene – bedarf hier nicht der Erörterung. Künftige Generationen werden es jedoch fast unbegreiflich finden, daß in einem Zeitalter, das sich zur Gleichheit aller Menschen und zu demokratischen Prinzipien bekennt, die Entwicklungsplanung die Mehrheit der Menschheit zu bloßen Leistungsempfängern degradiert. Obgleich die Beteiligung aller im Prinzip anerkannt wird, wird der Mehrheit der Weltbevölkerung allenfalls ein marginaler Einfluß auf die Entscheidungsprozesse zugestanden. Er beschränkt sich auf die Wahlmöglichkeiten, die ihr von Gremien vorgegeben werden, zu denen sie keinerlei Zugang hat und die Ziele anstreben, die oft mit ihrer eigenen Sicht der Dinge unvereinbar sind.

Dieser Ansatz wird auch von den etablierten Religionsgemeinschaften indirekt oder ausdrücklich verfolgt. Verhaftet in patriarchalischen Traditionen scheinen die Religionsgemeinschaften unfähig, aus dem Glauben an das geistige Wesen des Menschen das Vertrauen in die Menschheit abzuleiten, über das Materielle hinauszudenken.

Einer solchen Einstellung entgeht die Bedeutung des wahrscheinlich wichtigsten gesellschaftlichen Phänomens unserer Zeit. Gesteht man den Regierungen zu, daß sie sich im Rahmen der Vereinten Nationen darum bemühen, eine neue globale Ordnung zu errichten, dann muß man auch anerkennen, daß die Völker von der selben Vision erfaßt sind. Scheinbar über Nacht entstanden zahllose Bewegungen und Organisationen für sozialen Wandel auf örtlicher, regionaler und internationaler Ebene. Die Menschenrechte, der Fortschritt der Frau, die sozialen Erfordernisse für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, die Überwindung von Vorurteilen, die geistig-sittliche Erziehung der Kinder, Alphabetisierung, Gesundheitsvorsorge und unzählige weitere lebenswichtige Fragen erfordern dringend die Unterstützung durch solche Organisationen, die weltweit von immer mehr Menschen unterstützt werden.

Die Antwort der Menschen auf die himmelschreienden Nöte unserer Zeit ist ein Widerhall des vor mehr als hundert Jahren von Bahá’u’lláh erhobenen Rufes: „Befaßt euch gründlich mit den Nöten der Zeit, in der ihr lebt, und legt den Schwerpunkt eurer Überlegungen auf ihre Bedürfnisse". Die veränderte Selbstwahrnehmung vieler Menschen an der Basis – ein Wandel, der sich aus der Perspektive unserer Zivilisationsgeschichte dramatisch schnell abspielt – wirft grundlegende Fragen darüber auf, welche Rolle die Menschheit als Ganzes bei der Planung der Zukunft unseres Planeten spielt.

I

Die Grundlage einer Strategie, die die ganze Weltbevölkerung dazu aufruft, gemeinsam die Verantwortung für ihr Schicksal zu übernehmen, muß das Bewußtsein von der Einheit der Menschheit sein. Die scheinbar einfache Vorstellung von der Einheit der Menschheit stellt die meisten gesellschaftlichen Institutionen heute vor große Herausforderungen. Ob in der Form eines auf Wettbewerb beruhenden politischen Systems, eines auf Durchsetzung individueller Ansprüche zielenden Zivilrechts, ob als Verherrlichung von Klassenkämpfen, Interessenkonflikten oder Konkurrenzkämpfen, die das moderne Leben prägen – Kampf wird heute als treibende Kraft im Zusammenleben akzeptiert. Dies ist nur ein weiterer Ausdruck der materialistischen Lebensauffassung, die sich in den letzten zwei Jahrhunderten zunehmend verfestigt hat.

In einem Brief an Königin Viktoria verglich Bahá’u’lláh vor über hundert Jahren die Welt mit dem menschlichen Körper. Diese Analogie zeigt überzeugend, nach welchem Modell die globale Gesellschaft organisiert werden kann. Es gibt kein anderes vernünftiges Modell, nach dem wir uns richten können. Die Gesellschaft besteht nicht nur aus verschiedenen Zellen. Sie ist ein Zusammenschluß von Menschen, die mit Intelligenz und Willen ausgestattet sind. Die für die biologische Seite des Menschen charakteristischen Vorgänge zeigen uns auch hierfür gültige Gesetzmäßigkeiten auf. Unter ihnen steht die Einheit in der Vielfalt an erster Stelle. Paradoxerweise ermöglichen es gerade die Ganzheit und die Komplexität des Körpers sowie die vollkommene gegenseitige Ergänzung der Zellen, daß die in jedem Teil angelegten spezifischen Fähigkeiten verwirklicht werden können. Keine Zelle lebt getrennt vom Körper; jede trägt zu seinem Funktionieren bei und bezieht ihren Anteil aus dem Ganzen. So entsteht ein gesunder Organismus. Er erfüllt seinen Sinn durch das Erscheinen des menschlichen Geistes. Der Sinn der biologischen Entwicklung geht daher über die bloße Existenz des Leibs und seiner Teile hinaus.

Was für das Leben des einzelnen gilt, hat Parallelen in der Gesellschaft. Die Menschheit ist ein Organismus, die Spitze der Evolution. Daß menschliches Bewußtsein zwangsläufig durch unendlich viele Individuen wirkt, beeinträchtigt ihre wesenhafte Einheit nicht. Die Vielfalt bewahrt die Einheit vor Einförmigkeit oder Einheitlichkeit. Die Völker erleben heute, so sagte Bahá’u’lláh, ihr kollektives Erwachsenwerden; durch diese allmähliche Reife der Menschheit wird die Einheit in der Vielfalt voll zur Geltung kommen. Seit den ersten Anfängen des Familienlebens durchlief die Gesellschaft nacheinander einfache Strukturen der Sippe und des Stammes, vielfältiger Formen städtischer Gemeinschaften bis hin zum Nationalstaat. Dabei eröffneten sich den Menschen auf jeder Stufe eine Fülle neuer Möglichkeiten für ihre Fähigkeiten.

Der Fortschritt des Menschengeschlechtes geschah sicherlich nicht auf Kosten des Individuums. Mit der Zunahme der gesellschaftlichen Organisationsformen vermehrten sich auch die Möglichkeiten des Menschen zur Entfaltung seiner Fähigkeiten. Zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft besteht eine wechselseitige Beziehung. Daher muß der Mensch sich jetzt neu orientieren und die gesellschaftlichen Strukturen neu ordnen. Durch diesen doppelten Wandlungsprozeß tun sich Möglichkeiten auf für eine erfolgreiche Strategie globaler Entwicklung. Das Ziel dieser entscheidenden Phase der Geschichte muß sein, dauerhafte Grundlagen für eine globale Zivilisation zu errichten.

Das Fundament für eine globale Zivilisation zu legen erfordert Gesetze und Institutionen mit universellem Charakter und universeller Geltung. Mit den Bemühungen hierzu kann aber erst begonnen werden, wenn das Konzept der Einheit der Menschheit von den Verantwortlichen rückhaltlos angenommen wird und sich Erziehungssysteme und Massenmedien die damit verbundenen Prinzipien zu eigen machen. Dann beginnt ein Prozeß, in dem die Völker gemeinsame Ziele formulieren und sich für deren Verwirklichung einsetzen können. Nur eine solche grundsätzliche Neuausrichtung kann sie außerdem vor dem jahrhundertealten Teufelskreis ethnischer und religiöser Streitigkeiten schützen. Das erwachende Bewußtsein von der Einheit der Menschheit läßt die Menschen sich von den Gesellschaftsstrukturen der Vergangenheit mit ihren Konfliktmustern lösen. Dann erst beginnen sie Methoden der Zusammenarbeit und Aussöhnung zu erlernen. „Die Wohlfahrt der Menschheit, ihr Friede und ihre Sicherheit sind unerreichbar, ehe nicht ihre Einheit fest begründet ist", schreibt Bahá’u’lláh.

II

Gerechtigkeit ist das herausragende Prinzip, das das erwachende Bewußtsein für die Einheit der Menschheit in einen gemeinsamen Willen verwandeln kann; mit seiner Hilfe können die für globales Zusammenleben notwendigen Strukturen geschaffen werden. In einem Zeitalter, das erlebt, wie weltweit immer mehr Menschen unbeschränkten Zugang zu Informationen und Ideen erlangen, wird man erkennen, daß Gerechtigkeit das Leitprinzip für eine gesunde Gesellschaftsstruktur sein muß. Entwicklungspolitische Konzepte müssen vor diesem Maßstab bestehen.

Für den einzelnen bedeutet Gerechtigkeit die Fähigkeit der Seele, Wahr von Falsch zu unterscheiden. In den Augen Gottes, stellt Bahá’u’lláh fest, ist Gerechtigkeit „das Meistgeliebte", da sie jedem gestattet, mit den eigenen Augen statt mit den Augen anderer zu sehen, durch die eigene Erkenntnis und nicht durch die des Nächsten oder seiner Gruppe Wissen zu erlangen. Sie erfordert Aufrichtigkeit im Urteil, Unparteilichkeit bei der Behandlung anderer und ist daher ein ständiger, aber anspruchsvoller Begleiter in allen Fragen des täglichen Lebens.

In der Gesellschaft ist die Sorge um Gerechtigkeit ein unentbehrlicher Kompaß bei kollektiven Entscheidungprozessen, weil sie das einzige Mittel zur Einheit im Denken und Handeln ist. Damit soll nicht die Lust am Strafen gefördert werden, die sich in der Vergangenheit oft hinter der Maske der Gerechtigkeit versteckte. Sie ist vielmehr der praktische Ausdruck des Bewußtseins, daß wahrer Fortschritt nur möglich ist, wenn erkannt wird, daß die Interessen des einzelnen mit denen der Gesellschaft untrennbar verknüpft sind. Wird Gerechtigkeit zum Leitprinzip des Handelns, dann entsteht ein Klima der Beratung, in dem die Alternativen leidenschaftslos untersucht werden und schließlich die vernünftigste Lösung gewählt wird. In einem solchen Klima nimmt die Neigung ab, den Entscheidungsprozeß durch Manipulation und Parteilichkeit zu verbiegen.

Dies hat weitreichende Folgen für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Gerechtigkeit schützt vor der Versuchung, Fortschritt so zu definieren, daß das Wohl der Menschheit – ja des ganzen Planeten – den Vorteilen geopfert wird, die eine privilegierten Minderheit aus revolutionären Technologien zieht. Bei der Entwicklung und Planung stellt Gerechtigkeit sicher, daß begrenzte Ressourcen nicht für Projekte verschwendet werden, die an den wesentlichen sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen der Gesellschaft vorbeigehen. Vor allem können nur solche Entwicklungsprogramme, die den Bedürfnissen und Zielen der meisten Menschen gerecht werden, darauf hoffen, deren Unterstützung zu gewinnen; schließlich hängt die Durchführung von Entwicklungsprogrammen mit von diesen Menschen ab. Kann jedes Teil der Gesellschaft darauf vertrauen, daß es durch allgemein akzeptierte Normen geschützt wird und am Nutzen teilhat, so können Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Arbeitswilligkeit und Kooperationsfähigkeit erfolgreich zum gemeinsamen Ziel führen.

Der Kern der Diskussion über eine Strategie für soziale und wirtschaftliche Entwicklung ist die Frage der Menschenrechte. Die Planung einer solchen Strategie macht es notwendig, diese Frage von der falschen Dichotomie zu befreien, der sie so lange unterlag. Die Forderung nach Meinungs- und Handlungsfreiheit, die zur Persönlichkeitsentwicklung jedes Menschen notwendig ist, rechtfertigt nicht den Kult des Individualismus, der viele Bereiche des heutigen Lebens verdirbt. Genausowenig erfordert die Sorge um das Wohl der Gesellschaft eine Vergötterung des Staates als vermeintlicher Quelle für das Wohl der Menschheit. Im Gegenteil: die Geschichte unseres Jahrhunderts belegt nur zu deutlich, daß solche Ideologien und die daraus entstandenen Parteistrategien selbst die Hauptfeinde der Interessen sind, denen zu dienen sie vorgeben. Nur in einem Beratungssystem, das im Bewußtsein der organischen Einheit der Menschheit entsteht, kann die Sorge um die Menschenrechte in allen Aspekten legitim und kreativ erörtert werden.

Diesen Rahmen müssen heute die internationalen Institutionen, die aus den Tragödien zweier zerstörerischer Weltkriege und des weltweiten wirtschaftlichen Zusammenbruchs hervorgegangen sind, schaffen. Sie müssen die Menschenrechte von denen unabhängig machen, die sie mißbrauchen. Bezeichnenderweise wurde der Begriff „Menschenrechte" erst seit der Proklamation der Charta der Vereinten Nationen im Jahre 1945 und der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte drei Jahre danach allgemein übernommen. In diesen historischen Dokumenten wird soziale Gerechtigkeit als Bestandteil einer globalen Friedensordnung formell anerkannt. Die Tatsache, daß die Erklärung in der Vollversammlung ohne Gegenstimme angenommen wurde, verlieh ihr von Anfang an ein Ansehen, das im Laufe der Jahre noch gewachsen ist.

Ein besonderes Kennzeichen des Bewußtseins des Menschen ist die selbständige Erforschung der Wirklichkeit. Die Freiheit, den Sinn des Lebens zu ergründen und die eigenen Fähigkeiten zu seiner Erfüllung zu entwickeln, ist zu schützen. Der Mensch braucht die Freiheit, Wissen zu erwerben. Daß eine solche Freiheit häufig mißbraucht wird und daß dieser Mißbrauch durch manche Erscheinungsformen der heutigen Gesellschaft gefördert wird, tut der Berechtigung dieses Strebens keinen Abbruch.

Dies liefert den moralischen Imperativ für viele der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den dazugehörigen Verträgen enthaltenen Rechte. Dazu gehören das Recht auf Erziehung, die freie Wahl des Wohnsitzes, der Zugang zu Informationen und die Möglichkeit, am politischen Leben teilzunehmen. Die internationale Gemeinschaft muß diese Rechte durch eine ausdrückliche Garantie gewährleisten. Das gleiche gilt auch für das Recht auf Meinungs- und Religionsfreiheit.

Da die Menschheit eine organische Einheit ist, wird jeder Mensch als Pfand in diese Welt hineingeboren. Die daraus resultierende kollektive Verantwortung ist die geistige Grundlage für die meisten anderen – hauptsächlich wirtschaftlichen und sozialen – Rechte, die die Vereinten Nationen in ihren Dokumenten definieren. Die Unverletzlichkeit der Familie und des Heimes, das Recht auf Eigentum und auf die Privatsphäre sind Teil dieser Verantwortung. Die Verpflichtung der Gesellschaft umfaßt auch Arbeitsbeschaffung, geistige und körperliche Gesundheitsvorsorge, soziale Sicherheit, gerechte Löhne, Ruhe und Erholung, und eine Reihe weiterer Rechte, auf die die Menschen berechtigten Anspruch erheben.

Kollektive Verantwortung bedingt auch, daß jeder erwarten darf, daß die für seine Identität wesentlichen kulturellen Bedingungen den Schutz durch nationale und internationale Gesetze genießen. So wie die Gene für das biologische Dasein lebensnotwendig sind, so ist der durch viele Jahrtausende erworbene wunderbare Reichtum an kultureller Vielfalt für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Menschheit bei ihrem Eintritt ins Alter der Reife von Bedeutung. Dieses Erbe muß jetzt in einer weltumspannenden Zivilisation Früchte tragen. Kulturelle Eigenart darf nicht durch materielle Einflüsse erstickt werden. Gleichzeitig muß ein freier Austausch zwischen den Kulturen stattfinden, der frei ist von Manipulationen im Interesse politischer Ziele.

„Der Menschen Licht", sagt Bahá’u’lláh, „ist Gerechtigkeit. Löscht es nicht durch die Stürme der Unterdrückung und Tyrannei. Der Zweck der Gerechtigkeit ist die Einheit unter den Menschen. Das Meer göttlicher Weisheit wogt in diesem erhabenen Wort, und alle Bücher der Welt können seine innere Bedeutung nicht fassen."

III

Um die Menschenrechte weiter zu fördern und als international gültige Normen einzuführen, bedarf es einer grundsätzlichen Neudefinition der zwischenmenschlichen Beziehungen. Die heutigen Vorstellungen über Sinn und Ziel von Beziehungen – der Menschen untereinander, zwischen Mensch und Natur, zwischen dem einzelnen und der Gesellschaft mitsamt ihren Institutionen – spiegeln ein Verständnis wider, das aus früheren Entwicklungsstadien der Menschheit stammt. Wenn die Menschheit erwachsen wird, wenn alle Menschen ein Volk bilden, wenn Gerechtigkeit das Leitprinzip für die Gesellschaft sein soll, dann müssen diese veralteten Vorstellungen überdacht werden.

Bisher ist dies kaum geschehen. Die fällige Neuorientierung wird zu einem neuen Verständnis vom Wesen der Familie und den Rechten und Pflichten ihrer Mitglieder führen. Sie wird die Rolle der Frau in allen Gesellschaftsbereichen völlig verändern. Sie wird durchgreifende Auswirkungen auf die Einstellung der Menschen zu ihrer Arbeit haben und auf ihr Verständnis davon, welche Rolle die Wirtschaft in ihrem Leben spielt. Dies wird zu weitreichenden Veränderungen in allen Lebensbereichen und der dafür zuständigen Institutionen führen. Dadurch wird die Arbeit der sich ständig vermehrenden nichtstaatlichen Organisationen weiter rationalisiert werden. Sie wird sicherstellen, daß Gesetze die Umwelt und den Drang des Menschen nach Entwicklung schützen. Schließlich wird die Um- oder Neugestaltung der Vereinten Nationen, die schon begonnen hat, zur Errichtung einer Weltföderation der Nationen mit eigener Legislative, Judikative und Exekutive führen.

Im Mittelpunkt der Aufgabe, alle zwischenmenschlichen Beziehungen neu zu gestalten, steht nach den Worten Bahá’u’lláhs die Beratung. „In allen Dingen muß beraten werden," lautet Sein Ratschlag. „Die Gabe der Einsicht zeigt ihre Reife in der Beratung."

Im Beratungsprozeß gilt für die Wahrheitsfindung ein völlig anderer Maßstab als die Verhaltensmuster, die heutzutage Verhandlungen und ausgehandelte Kompromisse prägen. Die Streitkultur, ein weiteres Merkmal der heutigen Gesellschaft, ist außerstande, diesen Maßstab hervorzubringen; sie behindert sogar eine derartige Entwicklung. Debatten, Propaganda, Rechtfertigungen, das ganze Arsenal parteilicher Interessen – seit langem allzu vertraute Methoden kollektiven Handelns – schaden dem Ziel: nämlich einen Konsens über die Wahrheit in einer gegebenen Situation zu finden und die beste Wahl unter den jeweiligen Handlungsmöglichkeiten zu treffen.

Bahá’u’lláh fordert einen Beratungsprozeß, bei dem die einzelnen Teilnehmer danach streben, über ihren eigenen Standpunkt hinauszugehen. Sie sollen wie die Glieder eines Körpers für dessen Interessen und Ziele funktionieren. In einer solchen durch Offenheit und Höflichkeit gekennzeichneten Atmosphäre gehören die Ideen nicht dem einzelnen, dem sie während der Erörterung in den Sinn gekommen sind, sondern der Gruppe als Ganzer. Diese kann sie annehmen, verwerfen oder verändern, je nach dem, wie es dem gemeinsamen Ziel am besten dient. Beratung ist in dem Maße erfolgreich, wie jeder Teilnehmer die getroffene Entscheidung unterstützt, unabhängig davon, mit welcher Ansicht er in die Beratung eingetreten ist. Unter diesen Umständen kann eine frühere Entscheidung leicht revidiert werden, wenn durch die Erfahrung mit ihr Fehler erkennbar werden.

Beratung kann als praktischer Ausdruck von Gerechtigkeit betrachtet werden. Sie ist unentbehrlich für den Erfolg gemeinsamer Bemühungen und Hauptmerkmal einer wirksamen Strategie für soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Ihr Erfolg hängt vom Engagement und der Bemühung der Betroffenen ab. Daher ist sie nur wirksam, wenn die Betroffenen auch mit einbezogen werden und Beratung zum Leitprinzip für jedes Projekt gemacht wird. „Der Mensch kann seine wahre Stufe nicht erlangen," lautet Bahá’u’lláhs Rat, „es sei denn durch seine Gerechtigkeit. Keine Macht kann bestehen, es sei denn durch Einheit. Keine Wohlfahrt und kein Wohlergehen kann erreicht werden, es sei denn durch Beratung."

IV

Die durch die Entwicklung einer Weltgesellschaft entstehenden Aufgaben erfordern Fähigkeiten, die über das bisher Erreichte weit hinausgehen. Dafür bedarf es einer erheblichen Erweiterung des Zugangs zum Wissen – für den Einzelnen wie für gesellschaftliche Gruppen. Erziehung ist für diesen Prozeß der Erweiterung von Kapazität unverzichtbar. Dies wird aber nur dann erfolgreich sein, wenn prinzipielle Umstrukturierungen jedem den Wissenserwerb in allen Lebensbereichen ermöglichen als Voraussetzung für seinen Beitrag zur Gestaltung der Welt.

Das Denken des Menschen entwickelte sich seit je her in zwei grundlegenden Wissensbereichen: Wissenschaft und Religion. Mit Hilfe dieser beiden Bereiche ordnete der Mensch seine Erfahrungen, interpretierte seine Umwelt, erforschte seine verborgenen Fähigkeiten und steuerte sein sittliches und intellektuelles Leben. Sie waren die eigentlichen Wegbereiter der Kultur. Im Nachhinein zeigt sich, daß dieses doppelte Gefüge immer dann am stärksten wirkte, wenn Religion und Wissenschaft sich gegenseitig ergänzten und miteinander harmonierten.

Angesichts der fast universellen Achtung, die man heute der Wissenschaft entgegenbringt, muß auf ihre Bedeutung nicht weiter eingegangen werden. Hinsichtlich einer Strategie für soziale und wirtschaftliche Entwicklung lautet die Frage, wie die Arbeit in den Bereichen Wissenschaft und Technik organisiert werden soll. Wird sie in erster Linie als Domäne etablierter Eliten einiger weniger Länder angesehen, so wird sich die dadurch entstandene Kluft zwischen Arm und Reich weiter vergrößern – mit den bereits erwähnten verheerenden Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Wird weiterhin ein Großteil der Menschheit als Konsument anderswo hergestellter Produkte der Wissenschaft und Technik angesehen, dann verdienen Programme, die angeblich zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse entworfen wurden, nicht den Namen „Entwicklung".

Eine zentrale Herausforderung ist die Notwendigkeit, viel mehr Menschen Zugang zu Wissenschaft und Technik zu verschaffen. Diese Werkzeuge des sozialen und wirtschaftlichen Wandels dürfen nicht länger das Vorrecht privilegierter Gesellschaftsschichten bleiben; alle Menschen müssen je nach ihren Fähigkeiten daran teilhaben können. Für die hierzu notwendige Ausbildung müssen Programme entwickelt werden. Überall müssen Lernzentren entstehen. Denn der Zugang zum Wissen ist ein Grundrecht jedes Menschen. Die üblichen Argumente für den Erhalt des status quo klingen täglich weniger überzeugend, da die sich beschleunigende Revolution in den Kommunikationstechnologien Information und Ausbildung vielen Menschen verfügbar macht, unabhängig davon, wo sie leben und aus welcher Kultur sie stammen.

Auch im religiösen Bereich steht die Menschheit vor einer großen Herausforderung. Für die meisten Menschen ist der Gedanke, daß der Mensch eine geistige Dimension hat, ja daß sein Wesen geistiger Natur ist, eine Wahrheit, die keiner weiteren Darlegung bedarf. Diese Wahrnehmung der Wirklichkeit findet sich seit den frühesten Kulturzeugnissen und bestand jahrtausendelang in allen großen religiösen Traditionen. Ihre bedeutenden Errungenschaften auf den Gebieten des Rechts, der Künste und der Entwicklung menschlicher Umgangsformen verleihen der Geschichte Gehalt und Bedeutung. Auf die ein oder andere Art übt die Religion täglich Einfluß auf das Leben der meisten Menschen aus. Wie die Ereignisse in der ganzen Welt heute klar beweisen, weckt sie starke, unauslöschliche Sehnsüchte.

Es leuchtet daher ein, daß jedwedes Bemühen um Fortschritt diese universellen, schöpferischen Fähigkeiten verfügbar machen muß. Warum stehen die geistigen Fragen nicht im Mittelpunkt der Entwicklungsdebatte? Warum wurden die meisten Prämissen und Prioritäten bei der internationalen Entwicklungsplanung bisher von einer materialistischen Weltsicht bestimmt, der nur eine kleine Minderheit der Weltbevölkerung anhängt? Was ist von dem Bekenntnis zum Prinzip universeller Beteiligung zu halten, wenn sie die für die Betroffenen maßgebliche kulturelle Erfahrung leugnet?

Nun läßt sich argumentieren, diese Themen lägen außerhalb der Entwicklungsbelange der internationalen Gemeinschaft, da geistige und moralische Fragen historisch mit sich widerstreitenden theologischen Lehren verbunden sind, die sich einer objektiven Prüfung entziehen. Würde man ihnen eine wichtige Rolle einräumen, so würde das gerade jenen dogmatischen Einflüssen Tür und Tor öffnen, die soziale Konflikte genährt und den Fortschritt der Menschheit aufgehalten haben. In diesem Argument steckt sicher ein wahrer Kern. Die Vertreter der verschiedenen theologischen Systeme tragen Verantwortung nicht nur für den Ansehensverlust, den der Glaube an sich bei vielen fortschrittlichen Denkern erlitten hat, sondern auch für die Hemmnisse und Verzerrungen im ständigen Dialog der Menschheit über geistige Inhalte. Daraus jedoch zu schließen, man müsse die Erforschung der geistigen Realität behindern und die tiefsten Wurzeln menschlicher Motivation leugnen, ist ein offenkundiger Irrtum. Wo sich in der jüngsten Geschichte ein solches Denkverbot durchsetzte, wurde nur die Gestaltung der Zukunft in die Hände einer neuen Orthodoxie gelegt, die behauptete, Wahrheit habe nichts mit Moral zu tun und Tatsachen seien wertfrei.

Viele bedeutende Errungenschaften der Religion für unser irdisches Dasein waren sittlicher Natur. Durch ihre Lehren und durch das Beispiel von Gläubigen, deren Leben durch diese Lehren erleuchtet wurden, entwickelten unzählig viele Menschen aller Zeiten und Regionen ihre Liebesfähigkeit. Sie lernten, die tierische Seite ihres Wesens zu beherrschen, große Opfer für die Allgemeinheit zu erbringen, Vergebung, Großmut und Vertrauen zu üben und Wohlstand für den Fortschritt der Kultur einzusetzen. Gesellschaftssysteme wurden entworfen, um den moralischen Fortschritt auf breiter Basis in Normen des Gesellschaftslebens umzusetzen. Auch wenn sie durch nachträglich hinzugefügte Dogmen verdunkelt und durch sektiererischen Streit entstellt wurden, bewirkten die geistigen Impulse, die von solch herausragenden Gestalten wie Krischna, Moses, Buddha, Zarathustra, Jesus und Muhammad ausgingen, den größten Einfluß auf die Erziehung des Menschen.

Um die Fähigkeiten der Menschen durch den Zugang zum Wissen zu erweitern, bedarf es einer Strategie. Dazu gehört der ständige und sich intensivierende Dialog zwischen Wissenschaft und Religion. In allen Lebensbereichen benötigen die durch wissenschaftliche Errungenschaften gewonnenen Einsichten und Fertigkeiten eine geistige Verpflichtung und moralische Prinzipien, um ihre angemessene Anwendung zu gewährleisten. Dies ist ein Gemeinplatz oder sollte es inzwischen sein. So sollte man lernen, Tatsachen von Vermutungen zu trennen, das heißt zwischen subjektiven Ansichten und objektiver Wirklichkeit zu unterscheiden. In welchem Maße aber einzelne oder Institutionen mit dieser Fähigkeit tatsächlich zum Fortschritt beitragen, hängt von ihrer Wahrheitsliebe ab und davon, ob sie sich unabhängig machen von eigensüchtigen Interessen und Begierden. Die Wissenschaft muß bei allen Menschen die Fähigkeit fördern, in Prozessen zu denken, auch in historischen Prozessen. Der intellektuelle Fortschritt trägt aber nur dann zur Entwicklung bei, wenn der Blick nicht durch rassische, kulturelle oder geschlechtsbezogene Vorurteile oder durch sektiererische Ansichten verdunkelt wird. Die Ausbildung, die Voraussetzung für die Schaffung von Wohlstand ist, nützt der Entwicklung aber nur, wenn der Mensch von der geistigen Einsicht beseelt wird, daß der Dienst an der Menschheit der eigentliche Sinn des Lebens ist.

V

Auch wirtschaftliche Fragen gehören in den Kontext der Ausbildung von Fähigkeiten. Hierzu ist Wissenserwerb in allen Bereichen unerläßlich. Wie die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gezeigt haben, dürfen materielle Vorteile und Ziele nicht als Selbstzweck betrachtet werden. Sie dienen nicht nur dazu, die Grundbedürfnisse der Menschen wie Wohnung, Nahrung, medizinische Versorgung und ähnliches zu befriedigen, ihr Wert liegt auch in der Ausweitung der Fähigkeiten des Menschen. Die wichtigste Aufgabe der Wirtschaft ist daher, die Menschen und Institutionen mit dem auszustatten, wodurch sie ihr Ziel erreichen können: sie müssen die Grundlagen für eine neue Gesellschaftsordnung legen und dadurch die im Geist des Menschen schlummernden unbegrenzten Fähigkeiten fördern.

Wirtschaftliches Denken muß diese Zielsetzung und zugleich die eigene Rolle bei der Bereitstellung der hierfür erforderlichen Mittel klar anerkennen. Nur so können sich die Wirtschaftswissenschaften und mit ihr verwandte Wissenschaftszweige vom Sog materialistischer Denkweisen befreien, der sie jetzt noch daran hindert, ihr Potential für das eigentliche Wohl der Menschen einzusetzen. Nirgends sonst ist die Notwendigkeit eines intensiven Dialogs zwischen Wissenschaft und Religion so offensichtlich.

Ein typisches Beispiel dafür ist die Armut. Die bisherigen Verbesserungsvorschläge beruhen auf der Überzeugung, daß materielle Mittel existieren oder durch wissenschaftliche und technische Anstrengungen geschaffen werden können, um diesen uralten Zustand zu mildern und schließlich ganz zu beseitigen. Daß dies nicht gelingt, liegt vor allem daran, daß der wissenschaftlich-technische Fortschritt Prioritäten folgt, die die wahren Interessen der meisten Menschen kaum berücksichtigen. Eine völlige Umstellung dieser Prioritäten ist zur endgültigen Beseitigung der Armut erforderlich. Eine solche Leistung erfordert die beharrliche Suche nach ethischen Werten. Diese Suche stellt sowohl die Religionen als auch die Wissenschaft auf eine harte Probe. Die Religion kann kaum einen Beitrag zu diesem gemeinsamen Unterfangen leisten, solange sie in sektiererischen Lehren gefangen bleibt, die nicht zwischen Zufriedenheit und bloßer Passivität unterscheiden können und lehren, Armut sei ein unabdingbares Merkmal des Lebens, dem man nur im Jenseits entfliehen könne. Im Kampf um Wohlfahrt für alle Menschen muß die Religion aus den Quellen ihrer Inspiration neue geistige Konzepte und Prinzipien für ein Zeitalter entdecken, das nach Einheit und Gerechtigkeit strebt.

Die Arbeitslosigkeit wirft ähnliche Fragen auf. Im heutigen Denken wird Arbeit überwiegend auf eine gewinnbringende Beschäftigung zum Kauf von Konsumgütern reduziert. Daraus ergibt sich ein Zirkelschluß: Gelderwerb und Konsum führen zu Erhalt und Ausdehnung der Produktion und sind damit wiederum Grundlage bezahlter Arbeit. Für sich genommen sind all diese Tätigkeiten wichtig für das Wohl der Gesellschaft. Die Unzulänglichkeit dieses Konzepts ist jedoch ablesbar an der Apathie, die bei zahlreichen Beschäftigten festzustellen ist, und an der Demoralisierung der wachsenden Heere von Arbeitslosen.

Die Erkenntnis wächst, daß die Welt dringend eines neuen Arbeitsethos bedarf. Das erstaunt nicht. Auch hier können nur die Einsichten aus der schöpferischen Wechselwirkung zwischen Wissenschaft und Religion eine grundlegende Neuorientierung des Bewußtseins und der Gewohnheiten bewirken. Anders als das Tier, das seinen Lebensunterhalt dem entnimmt, was ihm die Umwelt bereitstellt, ist der Mensch gezwungen, seine Fähigkeiten durch produktive Arbeit zu entfalten, um seine Bedürfnisse und die der anderen zu befriedigen. Dadurch wirkt er, wenn auch noch so bescheiden, an der Entwicklung der Kultur mit. Er verfolgt also ein Ziel, das ihn mit anderen verbindet. Arbeit, bewußt im Geiste des Dienstes an der Menschheit verrichtet, ist nach den Worten Bahá’u’lláhs eine Form des Gebets, ein Weg zur Verehrung Gottes. Jeder ist hierzu in der Lage; auf diese unveräußerliche Fähigkeit muß die Entwicklungsstrategie abzielen, unabhängig von Planzielen und dem versprochenen Lohn. Eine engere Sicht der Dinge wird die Menschen niemals zu den Anstrengungen und dem Engagement bewegen, die die vor uns liegenden wirtschaftlichen Aufgaben erfordern.

Eine ähnlich große Herausforderung an die Wirtschaft ist die Umweltkrise. Der Glaube, die Natur verfüge über unbegrenzte Möglichkeiten, um alle Ansprüche der Menschen zu befriedigen, wurde inzwischen schonungslos als Illusion entlarvt. Eine Kultur, die dem Wachstum, materiellem Besitz und der Befriedigung menschlicher Ansprüche absoluten Wert zubilligt, muß nun gezwungenermaßen anerkennen, daß solche Ziele allein keine realistische Richtschnur für die Politik sein können. Als ungenügend haben sich bei wirtschaftlichen Fragestellungen auch solche Lösungsansätze erwiesen, bei denen die Entscheidungsinstanzen nicht berücksichtigen, daß die dringendsten Probleme heute globales Ausmaß erreicht haben.

Die Hoffnung, man könne dieser moralischen Krise durch eine Art Vergötterung der Natur begegnen, verdeutlicht nur die Verzweiflung, auf der sie beruht. Die Erkenntnis allein, daß die Schöpfung ein Organismus und die Menschheit dafür verantwortlich ist – so positiv dies auch zu bewerten ist –, genügt nicht, ein neues Wertesystem hervorzubringen. Erst ein Durchbruch in der geistigen Erkenntnis wird die Menschheit in die Lage versetzen, die von der Geschichte geforderte Verantwortung tatsächlich zu übernehmen.

Zufriedenheit, Bereitwilligkeit zu moralischer Disziplin und Pflichtbewußtsein beispielsweise müssen früher oder später wieder Allgemeingut werden – Eigenschaften, die noch bis vor Kurzem als wesentliche Aspekte des Menschseins angesehen wurden. In der Vergangenheit erweckten die Lehren der großen Religionsstifter bei den meisten Gläubigen diese Charaktereigenschaften. Heute sind sie noch lebenswichtiger, bedürfen aber der Anpassung an die an die Erfordernisse des Reifealters der Menschheit. Auch hier muß sich die Religion von den Zwängen der Vergangenheit befreien: Zufriedenheit bedeutet nicht Fatalismus, Moral hat nichts mit dem lebensverneinenden Puritanismus gemein, der sich so oft anmaßte, in ihrem Namen zu sprechen, und echtes Pflichtbewußtsein erzeugt nicht Selbstgerechtigkeit, sondern ein gesundes Selbstbewußtsein.

Daß den Frauen immer noch die volle Gleichstellung mit den Männern versagt wird, verstärkt noch die Herausforderung an Wissenschaft und Religion für den Bereich der Wirtschaft. Für jeden objektiven Beobachter ist bei realistischer Betrachtung die Gleichberechtigung der Geschlechter von grundlegender Bedeutung für das zukünftige Wohlergehen der Erde und ihrer Bewohner. Sie sagt etwas aus über das Wesen des Menschen, was in der langen Kindheitsphase der Menschheit weitgehend unerkannt blieb. „Im Angesicht Gottes", versichert Bahá’u’lláh nachdrücklich, „waren Männer und Frauen von jeher gleich und werden es immer sein." Die vernunftbegabte Seele hat kein Geschlecht. Soziale Ungleichheiten, die in der Vergangenheit durch Notwendigkeiten zum Überleben bestimmt gewesen sein mögen, sind nicht mehr zu einer Zeit gerechtfertigt, da die Menschheit an der Schwelle der Reife steht. Eine Verpflichtung zur vollen Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen Lebensbereichen und allen Gesellschaftsschichten wird entscheidend für eine erfolgreiche Strategie zur globalen Entwicklung sein.

Der Fortschritt in diesem Bereich ist sogar ein entscheidendes Kriterium für den Erfolg jedes Entwicklungsprogramms. Angesichts der lebenswichtigen Rolle der Wirtschaft für den Fortschritt der Zivilisation ist die Frage, in welchem Ausmaß die Frauen Zugang zu allen Wirtschaftsbereichen haben, ein sichtbarer Beweis für das Tempo der Entwicklung. Es geht dabei um mehr als nur um Chancengleichheit, so wichtig diese auch sein mag. Es bedarf einer grundlegenden Überprüfung der wirtschaftlichen Fragestellungen, wobei ein breites Spektrum von Erfahrungen und Einsichten zu berücksichtigen ist, das bisher ausgeklammert wurde. Die klassischen Wirtschaftsmodelle unpersönlicher Märkte, in denen der Mensch selbstherrlich seine eigennützige Wahl trifft, werden nicht mehr den Bedürfnissen einer Welt gerecht, die nach Einheit und Gerechtigkeit strebt. Es müssen neue Wirtschaftsmodelle entwickelt werden. Diese müssen geprägt sein von gegenseitigem Verständnis durch Erfahrungsaustausch, von der Betrachtung des Menschen in seinem gesellschaftlichen Umfeld und von der Erkenntnis, daß die Familie die Keimzelle der Gesellschaft ist. Ein derartiger altruistischer intellektueller Durchbruch wird die geistige und wissenschaftliche Sensibilität der Menschheit stark herausfordern. Die Frauen sind durch jahrtausendelange Erfahrungen darauf vorbereitet, für diese gemeinsame Aufgabe einen entscheidenden Beitrag zu leisten.

VI

Im Hinblick auf eine solch weitreichende Neugestaltung der Gesellschaft ist zu fragen, wie dies verwirklicht werden kann und – damit unauflösbar verbunden –, welche Autorität die dazu erforderliche Macht ausüben soll. Wie bei allen anderen Folgen der sich beschleunigenden Vereinigung der Menschheit, bedürfen diese beiden vertrauten Begriffe dringend einer Neudefinition.

Macht wurde im Lauf der Geschichte – wenn auch aus theologischen oder ideologischen Gründen oft das Gegenteil behauptet wurde – zumeist als Privileg einzelner Personen oder Gruppen aufgefaßt. Oft verstand man unter Macht einfach die gegen andere zu Gebote stehenden Mittel. Dieses Machtverständnis wurde ein charakteristisches Merkmal der Konflikt- und Streitkultur, die die Menschheit in den letzten Jahrtausenden geprägt hat. Dies galt unabhängig von der jeweils herrschenden sozialen, religiösen oder politischen Richtung. Generell war Macht auf Einzelne beschränkt – auf Fraktionen, Völker, Klassen oder Nationen. Sie war ein Merkmal, das besonders auf Männer und nicht auf Frauen zutraf. Die wichtigste Folge der Macht war, daß sie ihren Nutznießern die Möglichkeit gab, zu erwerben, zu übertreffen, zu beherrschen, zu widerstehen und zu gewinnen.

Diese Art von Machtausübung führte zu vernichtenden Rückschlägen, aber auch zu ungewöhnlichen Fortschritten in der Kultur. Sowohl die Vorteile als auch die Rückschläge mitsamt den eingeschränkten Verhaltensmustern, die sie hervorbrachten, müssen gewürdigt werden. Gewohnheiten und Einstellungen bei der Machtausübung, die sich in der langen Kindheitsphase der Menschheit entwickelten, haben heute ihre äußerste Grenze erreicht. Heute, in einem Zeitalter, dessen drängende Probleme vorwiegend globaler Natur sind, ist ein Beharren auf der Vorstellung, Macht bedeute für bestimmte Teile der Menschheitsfamilie Vorteile, schon in der Theorie ein großer Irrtum und für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Welt ohne praktischen Nutzen. Wer daher an ihr noch festhält oder bisher noch davon überzeugt war, stellt nun fest, daß sich seine Pläne in unerklärlichen Frustrationen und Behinderungen verstricken. In ihrer traditionellen, auf Konkurrenzdenken beruhenden Form ist Macht für die Bedürfnisse der Menschheit ebenso unbrauchbar, wie die Technologie der Eisenbahn für die Aufgabe, einen Weltraumsatelliten in eine Erdumlaufbahn zu schießen.

Diese Analogie paßt in mehrerer Hinsicht. Ihr Reifeprozeß drängt die Menschheit dazu, sich von diesem veralteten Machtkonzept zu befreien. Daß die Menschheit dazu in der Lage ist, zeigt die Tatsache, daß sie – ungeachtet der Dominanz dieses traditionellen Machtkonzepts – immer in der Lage war, andere Formen der Macht zu ersinnen, auf die sie ihre Hoffnungen richtete. Die Geschichte liefert uns zahlreiche Beweise dafür, daß die Menschen überall und zu allen Zeiten, wenn auch noch so vorübergehend und ungeschickt, eine breite Skala kreativer Möglichkeiten nutzten. Das vielleicht einleuchtendste Beispiel hierfür ist die Macht der Wahrheit. In ihr steckt eine Kraft zum Wandel. Durch sie wurden einige der bedeutendsten Fortschritte in der Philosophie, der Religion, der Kunst und der Wissenschaft bewirkt. Charakterstärke ist ein weiteres Merkmal, das starken Einfluß auf den Menschen ausübt. Hierzu gehört auch die Wirkung von Vorbildern auf den Einzelnen oder auf die Gesellschaft. Fast völlig unbeachtet blieb die große Kraft, die durch Einheit freigesetzt werden wird; ihr Einfluß ist nach den Worten Bahá’u’lláhs „so machtvoll..., daß sie die ganze Erde erleuchten kann."

Die gesellschaftlichen Institutionen werden die Fähigkeiten der Völker freisetzen, wenn Macht so ausgeübt wird, daß sie den Interessen der erwachsen werdenden Menschheit gerecht wird. Hierzu gehört auch die Pflicht der Machtträger, das Vertrauen, die Achtung und Unterstützung derer zu gewinnen, deren Handeln sie lenken. Sie müssen mit allen Betroffenen offen und umfassend beraten. Die Bedürfnisse und Ziele der Gesellschaft, der sie dienen, müssen sie objektiv beurteilen und schließlich aus dem wissenschaftlichen und sittlichen Fortschritt Nutzen zu ziehen. So werden die Ressourcen der Gesellschaft angemessen eingesetzt. Kein Grundsatz zum Machterhalt ist so wichtig, daß er Vorrang hätte vor der Einheit unter den Mitgliedern der Gesellschaft und ihrer Institutionen. Die eng damit verknüpfte Pflicht zur Gerechtigkeit wurde bereits erörtert.

Selbstverständlich können solche Prinzipien nur in einer Kultur wirken, die in ihrem Geist und ihren Methoden entschieden demokratisch ist. Damit soll nicht etwa die Ideologie der Parteiendemokratie gutgeheißen werden, die dreist vorgibt, demokratisch zu sein. Trotz beeindruckender Beiträge zum Fortschritt in der Vergangenheit steckt sie heute in einem Sumpf von Zynismus, Apathie und Korruption, zu dem sie selbst beigetragen hat. Bei der Wahl der Entscheidungsträger ist die Gesellschaft nicht auf das politische Theater von Nominierungen, Kandidaturen, Wahlkampagnen und -werbung angewiesen und damit auch nicht gut beraten. Wenn die Menschen in den Genuß einer besseren Erziehung und Bildung gelangen und davon überzeugt werden, daß ihren Interessen durch die vorgeschlagenen Programme gedient wird, werden sie auch bessere Wahlverfahren entwickeln.

Da die Vereinigung der Menschheit sich jetzt beschleunigt, müssen die gewählten Vertreter ihre Bemühungen immer mehr unter globaler Perspektive betrachten. Nicht nur auf der nationalen, sondern auch auf der örtlichen Ebene müssen sich die gewählten Volksvertreter nach den Worten Bahá’u’lláhs dem Wohl der ganzen Menschheit verpflichtet fühlen.

VII

Die Aufgabe einer globalen Entwicklungsstrategie, die die Reifung der Menschheit beschleunigt, erfordert die grundlegende Neugestaltung aller gesellschaftlichen Institutionen. Sie richtet sich an alle Bewohner der Erde: an die ganze Menschheit, an die Mitglieder staatlicher Institutionen auf allen Ebenen, an Beschäftigte in Einrichtungen zur internationalen Koordination, an Natur- und Sozialwissenschaftler, an Künstler, an Personen mit Zugang zu den Massenmedien und an Leiter nichtstaatlicher Organisationen. Die Antwort auf diese Herausforderung muß die Einheit der Menschheit unbedingt anerkennen und sich zur Gerechtigkeit als Gestaltungsprinzip der Gesellschaft verpflichten. Die Möglichkeiten eines systematischen Dialogs zwischen Wissenschaft und Religion sind zur Entfaltung menschlicher Fähigkeiten ohne Vorbehalte zu nutzen. Ein derartiges Unterfangen verlangt ein radikales Überdenken der Prämissen, die heute das Gesellschafts- und Wirtschaftsleben bestimmen. Es muß getragen sein von der Überzeugung, daß die Dinge tatsächlich so geregelt werden können, daß sie den Bedürfnissen der Menschheit dienen – wie lange dieser Prozeß auch dauern und wie viele Rückschläge es dabei auch geben mag.

Nur wenn die Kindheit der Menschheit endgültig abgeschlossen ist und ihr Reifealter anbricht, sind solche Perspektiven mehr als bloß eine weitere Utopie. Daß diese Anstrengung von verzweifelten und sich gegenseitig bekriegenden Völkern bewältigt werden könne, widerspricht aller bisherigen Erfahrung. Erst wenn die gesellschaftliche Evolution an dem entscheidenden Wendepunkt angelangt ist, an dem alle Dinge eine neue Entwicklungsstufe erreicht haben, kann man sich diese Möglichkeit vorstellen. Bahá’u’lláh versichert uns, daß dies heute der Fall ist. Die tiefe Überzeugung, daß der Prozeß dieser bedeutenden Neugestaltung sich im Bewußtsein der Menschen bereits vollzieht, hat zu dieser Schrift angeregt. Allen, die darin die vertraute Stimme ihres Herzens wiedererkennen, vermitteln die Worte Bahá’u’lláhs die Gewißheit, daß Gott an diesem unvergleichlichen Tag die Menschheit mit den geistigen Fähigkeiten ausgestattet hat, um dieser Verantwortung in vollem Umfang gewachsen zu sein:

„O ihr, die ihr die Himmel und die Erde bewohnt! Erschienen ist, was nie zuvor erschien."

„Dies ist der Tag, da Gottes erhabenste Segnungen den Menschen zugeströmt sind, der Tag, da alles Erschaffene mit Seiner mächtigsten Gnade erfüllt wurde."

Der Aufruhr, der heute alle Lebensbereiche erschüttert, ist beispiellos, und hat zerstörerische Auswirkungen. Die Menschheit ist von bisher unvorstellbaren Gefahren umgeben. Der größte Fehler, den die Staatsoberhäupter in diesem kritischen Augenblick begehen könnten, wäre, Zweifel am Ausgang dieses Prozesses aufkommen zu lassen. Eine Welt vergeht, und eine neue ist im Entstehen. Die Gewohnheiten, Einstellungen und Institutionen, die über Jahrhunderte entstanden sind, werden jetzt einer notwendigen und unausweichlichen Überprüfung unterzogen. Die Völker brauchen das richtige Maß an Glauben und Entschlossenheit, um die Energie zu entfalten, mit der der Schöpfer aller Dinge diese geistige Frühlingszeit des Menschengeschlechtes ausgestattet hat.

„Seid einig in der Beratung," lautet Bahá’u’lláhs Aufruf, „seid eins im Denken. Laßt jeden Morgen besser sein als den Abend davor und jeden neuen Tag reicher werden als den gestrigen. Des Menschen Vorzug liegt im Dienst und in der Tugend, nicht im Prunk des Wohllebens und des Reichtums. Habt acht, daß eure Worte rein sind von eitlem Wahn und weltlichen Lüsten und eure Taten von List und Argwohn. Vergeudet nicht den Reichtum eures kostbaren Lebens im Verfolg böser, verderbter Neigung, noch laßt eure Mühe völlig in der Förderung eurer eigenen Interessen aufgehen. Seid großzügig in Tagen der Fülle und geduldig in der Stunde des Verlustes. Auf Not kommt Erfolg, und Jubel folgt dem Wehe. Nehmt euch in acht vor Faulheit und Müßiggang, haltet euch an das, was der Menschheit, ob jung oder alt, hoch oder niedrig, Nutzen bringt. Hütet euch, das Unkraut des Zwistes unter die Menschen zu säen oder die Dornen des Zweifels in reine, strahlende Herzen zu pflanzen."

Die Rolle der Religion bei der Sozialentwicklung

Die Rolle der Religion bei der Sozialentwicklung

Dem Zweiten Vorbereitungsausschuß des Weltgipfels für Sozialentwicklung vom 22. August bis 2. September 1994 in New York vorgelegt.

New York—24 August 1994
Anmerkungen zu den Entwürfen der Erklärung und des Aktionsprogramms für Sozialentwicklung

I. Erziehung

Erziehung in all ihren Formen ist unstreitig der wirksamste Weg, um Werte, Einstellungen, Verhalten und Fähigkeiten zu formen und zu bilden, die es dann ermöglichen, in einer integrierten Weltgesellschaft wirkungsvoll zu handeln. Die Rolle der Erziehung bei der Förderung der Sozialentwicklung – insbesondere der sozialen Integration – sollte deshalb in entscheidender Weise in der Erklärung und vor allem im Aktionsprogramm angesprochen werden.

Die Einzelheiten eines Erziehungsprogramms und anderer Maßnahmen zur Förderung der sozialen Integration werden sich auf örtlicher, nationaler und internationaler Ebene stark unterscheiden. In unserer zunehmend gegenseitig abhängigen Welt müssen jedoch alle Programme und Initiativen gewisse Aspekte gemeinsam haben. Unter anderem sollten sie

  • Einheit in der Vielfalt als ein Grundprinzip für soziale Integration sowohl unter Nationen wie auch innerhalb der Weltgemeinschaft lehren;
  • Toleranz, Liebe, Brüderlichkeit, Gleichheit, Mitgefühl, Verständnis, Opferbereitschaft, Demut und tätigen Einsatz für Gerechtigkeit pflegen;
  • eine Würdigung des Reichtums und der Wichtigkeit der verschiedenen kulturellen, religiösen und sozialen Formen in der Welt vermitteln, insofern sie zu sozialer Integration, Gerechtigkeit und Einheit beitragen;
  • auf den positiven Bemühungen des Landes aufbauen und seine greifbaren Erfolge auf den Gebieten der sozialen Integration herausstellen, einschließlich Modellen der rassischen, religiösen, nationalen und völkischen Einheit;
  • sich ganz für die moralische Entwicklung des einzelnen einsetzen, wobei Tugend als die Handlungsgrundlage betont wird, die zu individuellem und gemeinsamem geistigen und materiellem Wohlergehen führt;
  •  ein Verständnis für die Rechte und die entsprechende Verantwortung aller Menschen vermitteln;
  • sich frei von Klischeevorstellungen halten, die sich auf Religion, Kultur, Geschlecht, Rasse, Klasse, Nationalität oder Volkszugehörigkeit gründen;
  • an der Basis echte Unterstützung für die Arbeit der Vereinten Nationen wecken, indem die Bedeutung der Vereinten Nationen für weltweite Zusammenarbeit und Verständigung hervorgehoben, ihre universellen Ziele, Absichten und Programme erklärt, ihre unmittelbare Bedeutung für die Völker und Nationen der Welt aufgezeigt und die von ihnen in unserer schrumpfenden Welt in immer stärkerem Maße zu übernehmenden Rolle klargestellt wird;
  • eine Ethik des Dienstes an der ganzen Menschheit, zu der die eigene Familie, die Nachbarn und die Gemeinschaft gehören, fördern sowie praktische Möglichkeiten für den Ausdruck dieser Ethik des Dienstes vorsehen durch die Einbindung von auf Dienst ausgerichteten Programmen in den Erziehungsprozeß.

Die durch die verschiedenen Erziehungsprogramme gelehrten Werte, Einstellungen und Fähigkeiten müssen auch in die Tat umgesetzt werden. Als ein konkretes Beispiel hierzu empfiehlt die Internationale Bahá’í-Gemeinde nachdrücklich, daß vom Weltgipfel für Sozialentwicklung eine Form des Freiwilligen Jugenddienstes eingeführt wird. Wenn dieser Dienst richtig organisiert und begonnen wird und weltweit zugänglich ist, könnte er zu einem sehr wichtigen Mittel werden, das Ideal des Dienstes an der Menschheit in die Praxis umzusetzen und die Jugend auf ein Leben voll aktiver Fürsorge für andere vorzubereiten. Dieser Jugenddienst würde es jungen Menschen auch ermöglichen, die Welt aus erster Hand kennenzulernen. Eine solche Erfahrung würde ihnen auch helfen, jenseits der trennenden Unterschiede – seien sie nun kulturell, religiös, sozial, ethnisch oder national – die Gemeinsamkeiten zu erkennen, die die verschiedenen Völker der Welt verbinden.

Anschauliche Erfahrungen aus dem Jugenddienst könnten in Lehrplänen aufgenommen und auf entsprechende Rollenmodelle müßte im Unterricht hingewiesen werden – Jugendliche, die sich mit Demut um das Lernen und Dienen bemühen. Das würde nicht nur zukünftigen Teilnehmern Kenntnisse vom Jugenddienst vermitteln, sondern es ergeben sich daraus auch begeisternde Geschichten von Jugendlichen, die ihre gemeinsame Menschlichkeit entdecken, Verständnisbarrieren niederreißen und eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit aufbauen.

Es sollte ein besonderer Ausschuß oder eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden, die Richtlinien, die sich auf das Prinzip der Einheit in der Vielfalt stützen, für die Förderung der sozialen Integration entwickelt, und Vorschläge für die Einbindung dieses Prinzips in die bestehenden formalen und informellen Lehrprogramme unterbreiten. Diese(r) Ausschuß/Arbeitsgruppe könnte damit anfangen, die Vorschläge zu analysieren, die sich in folgenden Dokumenten finden: UNESCO, Erziehung zu internationaler Verständigung, Die Beziehung von Zusammenarbeit, Frieden und Erziehung zu Menschenrechten und Grundfreiheiten (1974). UNESCO, Ein Weltaktionsplan zur Erziehung zu Menschenrechten und Demokratie (1993). Internationale Bahá’í-Gemeinde: Weltbürgertum: Eine globale Ethik zur nachhaltigen Entwicklung.

II. Öffentliches Bewußtsein: Die Rolle der Medien und der Kunst

Die Erklärung und das Aktionsprogramm sollten Kampagnen zur Weckung des Bewußtseins der Öffentlichkeit fordern, um die Aufmerksamkeit auf die Herausforderung der sozialen Integration zu lenken und das Prinzip der Einheit in der Vielfalt zu fördern. Diese Kampagnen sollten die Kunst und die ganze Vielfalt der Medien einsetzen: Fernsehen, Videos, Filme, Radio, elektronische Netzwerke, Bücher, Plakate, Zeitschriften, Flugblätter, Theater und Musik. Sie sollten sich die Unterstützung der Werbe- und Unterhaltungsindustrie sichern/nutzen, der traditionellen und nicht-traditionellen Medien, des ganzen Systems der Vereinten Nationen, aller ihrer Mitgliedstaaten, der NGOs und bekannter Persönlichkeiten. Erreicht werden sollten die Familien in den Wohnungen, die Menschen am Arbeitsplätze, öffentliche Bereiche und Schulen. Die oben für die Erziehungsprogramme empfohlenen Richtlinien sollten auch für diese Kampagnen für soziale Integration gelten.

Die Medien haben einerseits einen starken Einfluß auf die Einstellung und die Wahrnehmung der Menschen und andererseits die schwere Verantwortung, zur sozialen Integration beizutragen. Gegenwärtig richten die Medien einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf die scheinbar unüberwindlichen Unterschiede, die Völker und Nationen trennen, wogegen die Beweise, daß diese Schwierigkeiten überwunden werden können, nur wenig Aufmerksamkeit erhalten. Ein ernsthaftes und weltweites Gespräch muß eingeleitet werden, um die Verwendungsmöglichkeiten der bestehenden und der sich schnell entwickelnden neuen Medientechnologien zu untersuchen, um Hoffnungen zu wecken und soziale Integration und Entwicklung zu fördern. Es liegt in der Verantwortung auch der Medien, den Menschen verständlich zu machen, daß Unterschiede, die zwar oft eine Ursache von Konflikten sind, auch ein wirkungsvolles Hilfsmittel zur Sozialentwicklung sein können. Es wäre schon ein wichtiger Anfang, wenn man Klischees, die sich auf Religion, Kultur, Rasse, Klasse, Nationalität, Volkszugehörigkeit und Geschlecht gründen, aus den Medienprogrammen ausschließen könnte. Indem die Medien sich dann auf konstruktive, verbindende und kooperative Maßnahmen konzentrieren, könnten sie die Fähigkeit der Menschen zu Zusammenarbeit aufzeigen, wenn es um die Überwindung der vor uns liegenden ungeheueren Schwierigkeiten geht.

Die Medien sollten die Wichtigkeit und die Ehre des Dienstes an der Menschheit herausstellen. Durch Dienst manifestieren sich in der Gesellschaft die Grundprinzipien der sozialen Integration – Mitgefühl, Toleranz, Liebe, Verständnis, Opferbereitschaft, Demut und der Einsatz für Gerechtigkeit. Aus Dienst ergibt sich nicht nur ein unmittelbarer Nutzen für die Gemeinschaft, sondern er knüpft auch ein Band der Solidarität und der gemeinsamen Zielsetzung für alle Beteiligten. Gemäß den Bahá’í-Schriften werden Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit in der Welt nur dann fest begründet werden, wenn alle Menschen “geeint und zielstrebig im Dienst an der ganzen Menschheit wirken.”

Einheit in der Vielfalt, das Grundprinzip der sozialen Integration, könnte auch international, national und örtlich durch Wettbewerbe und Preisverleihungen durch die öffentlichen Medien, durch Schulen, Organisationen und Regierungen gefördert werden. Die Dienste der Werbeindustrie sollten auch zur Förderung der Grundwerte der Sozialentwicklung in Anspruch genommen werden.

III. Zusammenfassung/Schlußfolgerung

Jedes Land sollte einen gewissen Finanzbetrag für die Förderung der sozialen Integration mittels des Grundprinzips der Einheit in der Vielfalt vorsehen. Es sollte auch überlegt werden, die Förderung dieses Prinzips zu den Anzeichen für den Erfolg bei der sozialen Integration anzusehen. Man könnte die Länder zum Beispiel dazu ermutigen, über Erfolge bei der Förderung von Toleranz, von Verständnis für und Würdigung von fremden Kulturen, Verbesserungen bei der Gleichstellung der Geschlechter, vom Konzept der “Menschheit als einer Familie” und von Diensten an der Gemeinde, der Nation und der Welt zu berichten.

BIC Doc #94-0824g

Die Rolle der Erziehung, der Medien und der Kunst in der Sozialentwicklung

Die Rolle der Erziehung, der Medien und der Kunst in der Sozialentwicklung

Dem Zweiten Vorbereitungsausschuß des Weltgipfels für Sozialentwicklung vom 22. August bis 2. September 1994 in New York vorgelegt. Anmerkungen zu den Entwürfen der Erklärung und des Aktionsprogramms für Sozialentwicklung

New York—23 August 1994

I. Erziehung

Erziehung in all ihren Formen ist unstreitig der wirksamste Weg, um Werte, Einstellungen, Verhalten und Fähigkeiten zu formen und zu bilden, die es dann ermöglichen, in einer integrierten Weltgesellschaft wirkungsvoll zu handeln. Die Rolle der Erziehung bei der Förderung der Sozialentwicklung – insbesondere der sozialen Integration – sollte deshalb in entscheidender Weise in der Erklärung und vor allem im Aktionsprogramm angesprochen werden.

Die Einzelheiten eines Erziehungsprogramms und anderer Maßnahmen zur Förderung der sozialen Integration werden sich auf örtlicher, nationaler und internationaler Ebene stark unterscheiden. In unserer zunehmend gegenseitig abhängigen Welt müssen jedoch alle Programme und Initiativen gewisse Aspekte gemeinsam haben. Unter anderem sollten sie

  • Einheit in der Vielfalt als ein Grundprinzip für soziale Integration sowohl unter Nationen wie auch innerhalb der Weltgemeinschaft lehren;
  • Toleranz, Liebe, Brüderlichkeit, Gleichheit, Mitgefühl, Verständnis, Opferbereitschaft, Demut und tätigen Einsatz für Gerechtigkeit pflegen;
  • eine Würdigung des Reichtums und der Wichtigkeit der verschiedenen kulturellen, religiösen und sozialen Formen in der Welt vermitteln, insofern sie zu sozialer Integration, Gerechtigkeit und Einheit beitragen;
  • auf den positiven Bemühungen des Landes aufbauen und seine greifbaren Erfolge auf den Gebieten der sozialen Integration herausstellen und dazu gehören auch Modelle der rassischen, religiösen, nationalen und völkischen Einheit;
  • sich ganz für die moralische Entwicklung des einzelnen einsetzen, wobei Tugend als die Handlungsgrundlage betont wird, die zu individuellem und gemeinsamem geistigen und materiellem Wohlergehen führt;
  • ein Verständnis für die Rechte und die entsprechende Verantwortung aller Menschen vermitteln;
  • sich frei von Klischeevorstellungen halten, die sich auf Religion, Kultur, Geschlecht, Rasse, Klasse, Nationalität oder Volkszugehörigkeit gründen;
  • an der Basis echte Unterstützung für die Arbeit der Vereinten Nationen wecken, indem die Bedeutung der Vereinten Nationen für weltweite Zusammenarbeit und Verständigung hervorgehoben, ihre universellen Ziele, Absichten und Programme erklärt, ihre unmittelbare Bedeutung für die Völker und Nationen der Welt aufgezeigt und die von ihnen in unserer schrumpfenden Welt in immer stärkerem Maße zu übernehmenden Rolle klargestellt wird;
  • eine Ethik des Dienstes an der ganzen Menschheit, zu der die eigene Familie, die Nachbarn und die Gemeinschaft gehören, fördern; und praktische Möglichkeiten für den Ausdruck dieser Ethik des Dienstes vorsehen durch die Einbindung von auf Dienst ausgerichtete Programme in den Erziehungsprozeß.

Die durch die verschiedenen Erziehungsprogramme gelehrten Werte, Einstellungen und Fähigkeiten müssen auch in die Tat umgesetzt werden. Als ein konkretes Beispiel hierzu empfiehlt die Internationale Bahá’í-Gemeinde nachdrücklich, daß vom Weltgipfel für Sozialentwicklung eine Form des Freiwilligen Jugenddienstes eingeführt wird. Wenn dieser Dienst richtig organisiert und begonnen wird und weltweit zugänglich ist, könnte er zu einem sehr wichtigen Mittel werden, das Ideal des Dienstes an der Menschheit in die Praxis umzusetzen und die Jugend auf ein Leben voll aktiver Fürsorge für andere vorzubereiten. Dieser Jugenddienst würde es jungen Menschen auch ermöglichen, die Welt aus erster Hand kennenzulernen. Eine solche Erfahrung würde ihnen auch helfen, jenseits der trennenden Unterschiede – seien sie nun kulturell, religiös, sozial, ethnisch oder national – die Gemeinsamkeiten zu erkennen, die die verschiedenen Völker der Welt verbinden.

Anschauliche Erfahrungen aus dem Jugenddienst könnten in Lehrplänen aufgenommen und auf entsprechende Rollenmodelle müßte im Unterricht hingewiesen werden – Jugendliche, die sich mit Demut um das Lernen und Dienen bemühen. Das würde nicht nur zukünftigen Teilnehmern Kenntnisse vom Jugenddienst vermitteln, sondern es ergeben sich daraus auch begeisternde Geschichten von Jugendlichen, die ihre gemeinsame Menschlichkeit entdecken, Verständnisbarrieren niederreißen und eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit aufbauen.

Es sollte ein besonderer Ausschuß oder eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden, die Richtlinien, die sich auf das Prinzip der Einheit in der Vielfalt stützen, für die Förderung der sozialen Integration entwickelt, und Vorschläge für die Einbindung dieses Prinzips in die bestehenden formalen und informellen Lehrprogramme unterbreiten. Diese(r) Ausschuß/Arbeitsgruppe könnte damit anfangen, die Vorschläge zu analysieren, die sich in folgenden Dokumenten finden: UNESCO, Erziehung zu internationaler Verständigung, Die Beziehung von Zusammenarbeit, Frieden und Erziehung zu Menschenrechten und Grundfreiheiten (1974). UNESCO, Ein Weltaktionsplan zur Erziehung zu Menschenrechten und Demokratie (1993). Internationale Bahá’í-Gemeinde: Weltbürgertum: Eine globale Ethik zur nachhaltigen Entwicklung.

II. Öffentliches Bewußtsein: Die Rolle der Medien und der Kunst

Die Erklärung und das Aktionsprogramm sollten Kampagnen zur Weckung des Bewußtseins der Öffentlichkeit fordern, um die Aufmerksamkeit auf die Herausforderung der sozialen Integration zu lenken und das Prinzip der Einheit in der Vielfalt zu fördern. Diese Kampagnen sollten die Kunst und die ganze Vielfalt der Medien einsetzen: Fernsehen, Videos, Filme, Radio, elektronische Netzwerke, Bücher, Plakate, Zeitschriften, Flugblätter, Theater und Musik. Sie sollten sich die Unterstützung der Werbe- und Unterhaltungsindustrie sichern/nutzen, der traditionellen und nicht-traditionellen Medien, des ganzen Systems der Vereinten Nationen, aller ihrer Mitgliedstaaten, der NGOs und bekannter Persönlichkeiten. Erreicht werden sollten die Familien in den Wohnungen, die Menschen am Arbeitsplätze, öffentliche Bereiche und Schulen. Die oben für die Erziehungsprogramme empfohlenen Richtlinien sollten auch für diese Kampagnen für soziale Integration gelten.

Die Medien habe einerseits einen starken Einfluß auf die Einstellung und die Wahrnehmung der Menschen und andererseits die schwere Verantwortung, zur sozialen Integration beizutragen. Vorläufig richten die Medien einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf die scheinbar unüberwindlichen Unterschiede, die Völker und Nationen trennen, wogegen die Beweise, daß diese Schwierigkeiten überwunden werden können, nur wenig Aufmerksamkeit erhalten. Ein ernsthaftes und weltweites Gespräch muß eingeleitet werden, um die Verwendungsmöglichkeiten der bestehenden und der sich schnell entwickelnden neuen Medientechnologien zu untersuchen, um Hoffnungen zu wecken und soziale Integration und Entwicklung zu fördern. Es liegt in der Verantwortung auch der Medien, den Menschen verständlich zu machen, daß Unterschiede, die zwar oft eine Ursache von Konflikten sind, auch ein wirkungsvolles Hilfsmittel zur Sozialentwicklung sein können. Es wäre schon ein wichtiger Anfang, wenn man Klischees, die sich auf Religion, Kultur, Rasse, Klasse, Nationalität, Volkszugehörigkeit und Geschlecht gründen, aus den Medienprogrammen ausschließen könnte. Indem die Medien sich dann auf konstruktive, verbindende und kooperative Maßnahmen konzentrieren, könnten sie die Fähigkeit der Menschen zu Zusammenarbeit aufzeigen, wenn es um die Überwindung der vor uns liegenden ungeheueren Schwierigkeiten geht.

Die Medien sollten die Wichtigkeit und die Ehre des Dienstes an der Menschheit herausstellen. Durch Dienst manifestieren sich in der Gesellschaft die Grundprinzipien der sozialen Integration – Mitgefühl, Toleranz, Liebe, Verständnis, Opferbereitschaft, Demut und der Einsatz für Gerechtigkeit. Aus Dienst ergibt sich nicht nur ein unmittelbarer Nutzen für die Gemeinschaft, sondern er knüpft auch ein Band der Solidarität und der gemeinsamen Zielsetzung für alle Beteiligten. Gemäß den Bahá’í-Schriften werden Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit in der Welt nur dann fest begründet werden, wenn alle Menschen “geeint und zielstrebig im Dienst an der ganzen Menschheit wirken.”

Einheit in der Vielfalt, das Grundprinzip der sozialen Integration, könnte auch international, national und örtlich durch Wettbewerbe und Preisverleihungen durch die öffentlichen Medien, durch Schulen, Organisationen und Regierungen gefördert werden. Die Dienste der Werbeindustrie sollten auch zur Förderung der Grundwerte der Sozialentwicklung in Anspruch genommen werden.

III. Zusammenfassung/Schlußfolgerung

Jedes Land sollte einen gewissen Finanzbetrag für die Förderung der sozialen Integration mittels des Grundprinzip der Einheit in der Vielfalt vorsehen. Es sollte auch überlegt werden, die Förderung dieses Prinzips zu den Anzeichen für den Erfolg bei der sozialen Integration anzusehen. Man könnte die Länder zum Beispiel dazu ermutigen, über Erfolge bei der Förderung von Toleranz, von Verständnis für und Würdigung von fremden Kulturen, Verbesserungen bei der Gleichstellung der Geschlechter, vom Konzept der “Menschheit als einer Familie” und von Diensten an der Gemeinde, der Nation und der Welt zu berichten.

Beitrag zu einem Entwicklungsparadigma für das 21. Jahrhundert Internationale Baha'i-Gemeinde

Beitrag zu einem Entwicklungsparadigma für das 21. Jahrhundert Internationale Baha'i-Gemeinde

Anmerkungen zu den Entwürfen der Erklärung und des Aktionsprogramms für Sozialentwicklung vorgelegt dem Zweiten Vorbereitungsausschuß des Weltgipfels für Sozialentwicklung vom 22. August bis 2. September 1994 in New York

New York—22 August 1994

Der Weltgipfel für Sozialentwicklung ist Zeugnis für das Versagen unseres gegenwärtigen Entwicklungsparadigmas bei der Errichtung von Sicherheit und Wohlergehen für alle Völker und Nationen sowohl im Norden wie im Süden. Das Versagen dieses Modells liegt im Kern an einer völlig materialistischen Sicht des Zweckes und der eigentlichen Natur des einzelnen und der Gesellschaft.

Die Befriedigung materieller Bedürfnisse, Erziehung für alle, Errichtung von demokratischen Institutionen und gesetzlichen Grundlagen auf allen Ebenen unserer Weltgesellschaft, um wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit herzustellen – das sind zwar wichtige Elemente eines weltweiten Entwicklungsparadigmas für das 21. Jahrhundert, aber sie reichen nicht aus.

Ehe nicht sowohl die materiellen wie auch die geistigen Bedürfnisse und Bestrebungen der Menschen anerkannt werden, wird jedes Bemühen um Entwicklung weiterhin in großem Maße fehlschlagen. Das Glück, die Sicherheit und das Wohlergehen der Menschen, sozialer Zusammenhalt und wirtschaftliche Gerechtigkeit sind nicht nur reine Nebenprodukte materiellen Erfolges. Sie ergeben sich vielmehr aus einem komplexen und dynamischen Wechselspiel zwischen materiellen und sozialen Bedürfnissen und geistiger Erfüllung des einzelnen.

Indem man materiellen Fortschritt mit grundlegenden geistigen Bestrebungen verbindet, indem man jene universellen Werte anspricht, die den einzelnen zur Überwindung primitiver Eigeninteressen befähigen, können die Völker der Welt in die Lage versetzt werden, hohe Ideale und Prinzipien in konstruktives, nachhaltiges Handeln zu ihrem eigenen Wohlergehen und zur Verbesserung ihrer Gemeinschaften umzusetzen.

Daher muß ein Entwicklungsparadigma, das einen weltweiten Wohlstand fördern will, sowohl die geistige wie auch die materielle Natur des einzelnen und der Gesellschaft berücksichtigen und gleichzeitig der wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit der Völker und Nationen der Erde Rechnung tragen. In den Bahá’í Schriften wird ein neues Entwicklungsparadigma vorausgesehen, sobald alle Regionen der Welt “sich vereinen und einander geben, was jeweils fehlt. Diese Einheit”, so wird uns versichert, “wird eine wahre Kultur hervorbringen, in der das Geistige im Materiellen ausgedrückt und verwirklicht wird.”

Die Internationale Bahá’í-Gemeinde glaubt, daß die Erklärung und das Aktionsprogramm entscheidend zu einer effektiven Sozialentwicklung für das 21. Jahrhundert beitragen können, wenn sie sowohl die materiellen wie auch die geistigen Bedürfnisse und Bestrebungen der Menschen in aller Welt ansprechen.

Die Familie in der Weltgemeinschaft

Die Familie in der Weltgemeinschaft

Erklärung der Internationalen Bahá’í-Gemeinde zum Internationalen Jahr der Familie der Vereinten Nationen 1994

Malta—25 November 1993

Die Familie befindet sich heute, wie die gesamte Welt, in einer Übergangsphase. In allen Kulturkreisen zerfallen oder zerbrechen Familien unter dem Druck von wirtschaftlichem und politischem Umbruch. Sie werden angesichts der sittlichen und religiösen Verwirrung immer schwächer.

“Die Bedingungen, unter denen die Familie lebt, gelten auch für die Nationen – was in der Familie geschieht, spielt sich auch in der Nation ab.” (Foundation of World Unity, S. 100)

Die Bahá’í halten diese Unordnung für ein Zeichen, dass die Menschheit sich bei ihrer kollektiven Entwicklung auf ein neues Zeitalter zubewegt, das Zeitalter der Reife. Da die Familie die Kerneinheit der Gesellschaft bildet, muß sie bei diesem Prozess ebenfalls umgeformt und neu belebt werden, und zwar nach denselben Prinzipien, die die gesamte Zivilisation neu gestalten.

Das Schlüsselprinzip für dieses neue Zeitalter ist die Einheit der Menschheit. “Das Wohlergehen der Menschheit, ihr Friede und ihre Sicherheit,” versicherte Bahá’u’lláh, der Stifter des Bahá’í-Glaubens, schon vor mehr als einem Jahrhundert, “sind unerreichbar, wenn und bevor nicht ihre Einheit fest begründet ist.” (Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 296) Das Anerkennen der gegenseitigen Verflechtung und Abhängigkeit aller Völker bedeutet, dass auf diesem Planeten jeder Teil der Gesellschaft einschließlich der Familie neu gestaltet werden muss.

Einheit in der Familie

“Wenn in einer Familie Liebe und Einklang herrschen, wird diese Familie vorankommen und geistig erleuchtet werden.” (Einheit der Familie, S. 22)

Die Bahá’í-Einstellung gegenüber der Einheit der Familie verbindet Elemente traditioneller Weisheit mit fortschrittlichen Grundsätzen und praktischen Mitteln. Wenn wir uns fest an diese Lehren halten, bilden sie ein Bollwerk gegen die Kräfte des Zerfalls und schaffen Rahmenbedingungen für die Gründung starker, gesunder, einiger Familien.

Grundlage und Voraussetzung für eine Bahá’í-Familie ist die liebevolle Beziehung zwischen Mann und Frau. Die Ehe ist als göttliche Einrichtung dazu bestimmt, ein Paar “körperlich und geistig” so zu verbinden, “…daß sie einander ständig in ihrem geistigen Leben vervollkommnen”. (Einheit der Familie, S. 12).

Ein Mann und eine Frau, die sich aus freien Stücken füreinander entschieden und die Zustimmung ihrer Eltern zu Heirat bekommen haben, heiraten dem Bahá’í-Gesetz entsprechend in Anwesenheit von Zeugen, die das gewählte Verwaltungsgremium der Gemeinde, der örtliche Geistige Rat, benannt hat. Braut und Bräutigam sprechen: “Wahrlich, wir wollen alle an Gottes Willen festhalten” (Liebe und Ehe, S. 37), und mit diesen Worten verpflichten sich beide Gott und dadurch auch einander gegenüber.

Ein Zweck der Ehe ist, eine neue Generation von Menschen ins Leben zu rufen, die Gott lieben und der Menschheit dienen. Daher hat die Familie zur Aufgabe, eine liebevolle, von Achtung geprägte und harmonische Beziehung zwischen Eltern und Kindern zu schaffen.

Harmonie und Zusammenarbeit werden in der Familie wie in der Welt durch ein ausgewogenes Maß an Rechten und Pflichten bewahrt. Alle Familienmitglieder “haben gegeneinander und gegenüber der Familie als Ganzes Pflichten und Verantwortlichkeiten,” die “wegen der natürlichen Beziehungen der Familienangehörigen zueinander” verschieden sind (Einheit der Familie, S. 48).

Kinder haben z.B. die Pflicht, ihren Eltern zu gehorchen. Sie haben aber dementsprechend auch ein Anrecht auf Fürsorge, Erziehung und Schutz. Die Mütter, die sie zur Welt bringen und als erste erziehen, sind in erster Linie, aber nicht ausschließlich, für ihre geistige Erziehung und ein liebevoll umhegendes Zuhause verantwortlich. Die Väter tragen hauptsächlich, aber wiederum nicht ausschließlich, die Verantwortung für das materielle Wohl der Familie und die formelle Ausbildung der Kinder.

Die in den Bahá’í-Lehren befürworteten sittlichen Maßstäbe für den einzelnen verurteilen viele jener Faktoren, die zum Zerbrechen von Familien beitragen. Alkohol sowie Drogen, die das Bewusstsein verändern, sind den Bahá’í verboten. Keine Art der Gewalt oder des Missbrauchs wird in der Familie jemals geduldet. So steht in den Heiligen Schriften der Bahá’í zu lesen:

“Die Unversehrtheit der Familienbande muß beständig beachtet werden, und die Rechte der einzelnen Mitglieder dürfen nicht verletzt werden.” (Liebe und Ehe, S. 44)

Obwohl Bahá’u’lláh die Scheidung nachdrücklich missbilligt, wird sie auf Grund von unüberwindbarer Abneigung zwischen den Ehepartnern erlaubt. Sie kann aber erst nach Ablauf eines Wartejahres, in dem das Paar getrennt leben und sich intensiv bemühen muss, seine Schwierigkeiten beizulegen, bewilligt werden. Auf diese Weise wird es vor übereilten Entscheidungen und unbesonnenen Emotionen beschützt. Dadurch gelingt vielen Paaren, ihre Ehe im Laufe dieses Jahres des Nachdenkens wieder in Ordnung zu bringen. Sollte sich dennoch zeigen, dass eine Aussöhnung unmöglich ist, kann sich das Paar dann scheiden lassen.

Die Gleichwertigkeit der Geschlechter

Der Grundsatz der Gleichwertigkeit verändert in der Bahá’í-Ehe die Beziehung zwischen Mann und Frau. Da ihr gleichlautendes Ehegelöbnis ihren Status als gleichberechtigte Partner beinhaltet, sollte weder der Mann noch die Frau dominieren. Entscheidungen sollten gemeinsam getroffen werden.

Stets sollte in der Familie wie in der gesamten Gesellschaft “…nicht despotische Machtausübung, sondern der Geist freier, liebevoller Beratung” (Einheit der Familie, S. 47) die Atmosphäre bestimmen.

Die Prinzipien der Bahá’í-Beratung helfen, jedes in der Familie vorkommende Problem offen, ehrlich und taktvoll zu besprechen. Dabei soll ermöglicht werden, dass “die Wahrheit offenbar wird” (Beratung, S. 11) und zwar in einer Weise, dass das Problem zum Wohle aller gelöst wird. Wenn ein Ehepaar oder eine Familie die Beratung richtig handhaben, ist sie ein wirksamer Weg zum Bewahren der Einheit.

Ein Ehepaar, das die Gleichwertigkeit akzeptiert und von der Beratung Gebrauch macht, wird eine Flexibilität erlangen, die ihm ermöglicht, die Anforderungen einer sich rasch verändernden Welt zu bewältigen. Obwohl Mann und Frau in bestimmten Bereichen sich gegenseitig ergänzende Fähigkeiten und Aufgaben haben, sind die Rollen nicht starr definiert, sondern können, wenn nötig, angepasst werden, um den Bedürfnissen jedes Familienmitglieds wie auch der ganzen Familie zu entsprechen. Obwohl die Frauen ermutigt werden, ihre berufliche Laufbahn zu verfolgen, sollte dies in einer Weise geschehen, die mit ihrer Mutterrolle nicht in Konflikt gerät. Gleichzeitig werden die Väter von Pflichten im Haushalt und dem Großziehen der Kinder nicht freigestellt.

Wenn die Beziehungen innerhalb der Familie von der ihnen gebührenden Gerechtigkeit bestimmt sind, wird dies die Errichtung des Friedens in der Welt entscheidend fördern. Solange den Frauen die Gleichberechtigung und die Achtung in der Familie verweigert wird, entwickeln Männer und Söhne schädliche Einstellungen und Gewohnheiten, die sie an den Arbeitsplatz, in die Politik und schließlich in die internationalen Beziehungen hineintragen. Sobald immer mehr Kinder in Familien aufwachsen, in denen die Rechte aller Mitglieder respektiert und Probleme mit Hilfe von Beratung gelöst werden, steigt die Aussicht auf Frieden in der Welt erheblich.

Erziehung und Familie

Das Kind erhält seine Bildung zwar in der Schule, aber sein Charakter und seine sittliche und geistige Einstellung wachsen zuhause heran und werden hier geformt. Deshalb muss die Familie in allen Tugenden geschult werden. Geduld, Treue, Vertrauenswürdigkeit, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und ähnliche Tugenden sind die Bausteine des Charakters. Die Tugenden, die in jedem heiligen Glauben als allgemein gültige Elemente der Geistigkeit bezeichnet werden, sind die Widerspiegelung des Göttlichen in jedem Menschen.

Bei jedem Familienmitglied sollen also die edelsten Eigenschaften und Werte gehegt und gepflegt werden. Die Eltern müssen aber auch für die ineinander greifende Entwicklung aller in ihren Kindern schlummernden Fähigkeiten im geistigen, sittlichen, intellektuellen, gefühlsbedingten und körperlichen Bereich sorgen. Mädchen und Jungen sollten also eine Schulbildung auf der Basis eines in den Grundzügen identischen Lehrplans erhalten. Sollten begrenzte finanzielle Mittel eine Entscheidung erfordern, so ist den Mädchen als den künftigen Erzieherinnen der nächsten Generation vor den Jungen ein “Einschulungsvorrecht“ einzuräumen.

Die Familie und die Gemeinde

Im Bahá’í-Glauben arbeiten über 17.000 Ortsgemeinden in über 200 unabhängigen Ländern und Territorien. In gewissem Sinne funktionieren diese Gemeinden wie erweiterte Familien.

Bahá’í gibt es in allen Nationen, ethnischen Gruppen, Kulturen, Berufen und Gesellschaftsschichten. Obwohl die Art und Weise, wie Bahá’í-Hochzeiten gefeiert werden, in den einzelnen Kulturkreisen recht unterschiedlich ist, sind die Gesetze und die Trauformel weltweit gleich und gelten, ob beide Partner Bahá’í sind oder nicht. Die Bahá’í haben überall auf der Welt die Erfahrung gemacht, dass die Bahá’í-Prinzipien und -Gesetze, die das Bahá’í-Familienleben kennzeichnen, Liebe und Einheit fördern.

Fazit

So wie die hier genannten Grundsätze in der ganzen Welt in stets zunehmendem Maße in die Praxis umgesetzt werden, entstehen Familien, die imstande sind, beim Aufbau einer geeinten Weltgesellschaft eine wichtige Rolle zu spielen, denn letztendlich muss zwischen Familie, Nation und Weltkultur unweigerlich eine Verknüpfung geschaffen werden:

“Vergleiche die Nationen der Welt mit den Mitgliedern einer Familie. Eine Familie ist eine Nation im Kleinen. Erweitere einfach den Kreis des Haushalts, und du erhältst die Nation. Vergrößere den Kreis der Nationen, und du hast die gesamte Menschheit.” (Foundations of World Unity, S. 100)

Weltbürger-Ethos

Weltbürger-Ethos

Die Internationale Bahá‘í-Gemeinde unterbreitet folgenden Vorschlag im Geiste der Agenda 21, die ein „dynamisches Programm" sein soll, dazu bestimmt, „sich im Laufe der Zeit gemäß sich wandelnder Bedürfnisse und Umstände zu entwickeln," (1): Um die Völker der Welt dazu anzuregen, für eine nachhaltige Entwicklung einzutreten, sollten die in der Agenda 21 geforderten Erziehungsprogramme und Bewußtmachungskampagnen das Konzept des Weltbürger-Ethos fördern und pflegen.

14 June 1993

Die Vision Des Weltbürger-Ethos

Die größte Herausforderung, vor der sich die Weltgemeinschaft bei der Ausführung der Agenda 21 befindet, besteht in der Freisetzung der enormen finanziellen und technischen Ressourcen sowie des menschliches und moralischen Potenzials, die für eine nachhaltige Entwicklung erforderlich sind. Diese Ressourcen werden nur in dem Maße freigesetzt werden können, in dem die Völker der Welt ein tiefes Verantwortungsgefühl für das Schicksal des Planeten und für das Wohlergehen der ganzen menschlichen Familie entwickeln.

Dieses Verantwortungsgefühl kann nur aus der Anerkennung der Einheit der Menschheit erwachsen und wird einzig durch die vereinigende Vision einer friedlichen und florierenden Weltgesellschaft aufrecht gehalten werden. Ohne eine solche globale Ethik werden die Menschen außerstande sein, sich aktiv und konstruktiv an dem weltweiten Prozeß der nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen. (2)

Obgleich Agenda 21 einen unverzichtbaren Rahmen wissenschaftlicher Kenntnis und technisches Know-Hows für die Durchsetzung der nachhaltigen Entwicklung liefert, regt sie doch kaum zur persönlichen Hinwendung zu einer globalen Ethik an. Das bedeutet nicht, daß Fragen der Ethik und Werte während der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (United Nations Conference on Environment and Development - UNCED) vernachlässigt würden. Der Ruf nach einheitlichen Wertvorstellungen wurde während des ganzen Prozesses von Staatsoberhäuptern, UN-Beamten, Vertretern von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) und einzelnen Bürgern erhoben. Insbesondere wurden die Vorstellungen der „Einheit in der Vielfalt", „Weltbürger-Ethos" und „unsere gemeinsame Menschheit" immer wieder angesprochen, um als eine ethische Grundlage für die Agenda 21 und die Rio Deklaration zu dienen. (3)

Die Weltgemeinschaft ist sich also schon im Grunde einig, daß wir eine globale Ethik brauchen, um Agenda 21 mit Leben zu erfüllen. Wir schlagen vor, daß der Begriff Weltbürger-Ethos angenommen wird, um die Gesamtheit der Prinzipien, Werte, Einstellungen und Verhaltensmuster zu umfassen, die die Völker der Welt sich aneignen müssen, wenn eine nachhaltige Entwicklung erreicht werden soll.

Weltbürger-Ethos beginnt mit der Einsicht in die Einheit der menschlichen Familie und in die gegenseitige Verbundenheit der Völker „der Erde, unserer Heimat." (4) Sie ermutigt zu einem gesunden Patriotismus, besteht aber gleichzeitig auf einer weiteren Loyalität, der Liebe zur Menschheit. Das bedeutet jedoch nicht, daß berechtigte Loyalitäten aufgegeben, kulturelle Vielfalt unterdrückt, nationale Autonomie abgeschafft oder Einheitlichkeit aufgezwungen werden. Ihr Kennzeichen ist „Einheit in der Vielfalt". Zum Weltbürger-Ethos gehören die Prinzipien sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit sowohl innerhalb der Nationen wie auch zwischen ihnen; konfliktfreie Entscheidungsfindung auf allen Ebenen der Gesellschaft; Gleichwertigkeit der Geschlechter; rassische, ethnische, nationale und religiöse Harmonie; Bereitwilligkeit, zum Wohl des Ganzen Opfer zu bringen. Andere Aspekte des Weltbürger-Ethos -- einschließlich der Förderung von Menschenwürde, Verständigung, Einvernehmen, Zusammenarbeit, Vertrauenswürdigkeit, Mitgefühl und das Bedürfnis, dienstbar zu sein - können hiervon abgeleitet werden. Einige dieser Prinzipien (5) sind in der Agenda 21 genannt, die meisten aber ersichtlich nicht. Darüber hinaus bietet sie keinen Begriffsrahmen für die Abstimmung und Bekanntmachung dieser Prinzipien.

Die Förderung des Weltbürger-Ethos ist eine praktische Strategie, um eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben. Solange Uneinigkeit, Feindseligkeit und Provinzialismus das soziale, politische und wirtschaftliche Verhältnis innerhalb und zwischen den Nationen bestimmen, kann eine globale und nachhaltige Form der Entwicklung nicht errichtet werden. (6) Vor mehr als einem Jahrhundert warnte Bahá'u'lláh, "das Wohlergehen der Menschheit, ihr Friede und ihre Sicherheit sind unerreichbar, wenn nicht und ehe nicht ihre Einheit fest begründet ist." Nur auf der Grundlage einer echten Einheit, Harmonie und Verständigung zwischen den verschiedenen Völkern und Nationen der Welt kann eine Weltgesellschaft dauerhaft errichtet werden.

Wir empfehlen daher, daß in allen Schulen Weltbürger-Ethos gelehrt und daß der Einheit der Menschheit – das dem Weltbürger-Ethos zugrunde liegende Prinzip – in allen Nationen Geltung verschafft wird.

Das Konzept des Weltbürgertums ist der Weltgemeinschaft nicht neu. Es findet sich implizit und explizit in einer ganzen Reihe von UN-Dokumenten, Chartas und Vereinbarungen, einschließlich den einleitenden Worten der UN-Charta selbst: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen..." Es wird heute schon in der ganzen Welt und in allen Kulturen durch NGOs, Akademien, Bürgergruppen, Entertainer, Erziehungsprogramme, Künstler und Medien vertreten. Diese Bemühungen sind bereits beachtlich, aber sie müssen noch viel mehr verstärkt werden. Eine sorgfältig geplante und inszenierte Langzeitkampagne zur Förderung des Wetbürger-Ethos, an der alle Ebenen der Gesellschaft auf kommunaler, nationaler und internationaler Ebene beteiligt werden, muß dringend in Gang gesetzt werden. Sie muß mit aller Kraft vorangetrieben werden, und zwar mit allem, was die Vereinten Nationen, ihre Mitgliedsstaaten und sämtliche bereitwillige Partner an moralischem Mut und fester Überzeugung nur aufbieten können.

Die Förderung des Weltbürger-Ethos

Der folgende Vorschlag für eine Kampagne zur Förderung des Weltbürger-Ethos (7) paßt nahtlos in den Rahmen für eine Neuorientierung der Erziehung, des öffentlichen Bewußtseins und der Ausbildung für nachhaltige Entwicklung, wie er im Kapitel 36 der Agenda 21 vorgelegt wird.

Erziehung

Erziehung – in ihren verschiedenartigen Formen – ist zweifellos unbestreitbar der wirksamste Weg, um die Werte, Einstellungen, Verhaltensweise und Fähigkeiten herauszubilden, die die Völker der Welt dazu befähigen werden, im langfristigen Interesse des Planeten und der Gesamtheit der Menschheit zu handeln. (8) Die Vereinten Nationen, Regierungen und Erziehungsbehörden sollten sich bemühen, das Prinzip des Weltbürger-Ethos zu einem Teil der Grundausbildung jedes Kindes zu machen.

Die Einzelheiten der Erziehungsprogramme bezüglich der Verwirklichung dieses Prinzips werden in den einzelnen Ländern erheblich voneinander abweichen. Wenn Weltbürger-Ethos allerdings als ein universales Prinzip verstanden werden soll, müssen bestimmte Aspekte allen Programmen gemeinsam sein. Auf der Grundlage der Einheit der Menschheit sollten sie zu Toleranz und Brüderlichkeit erziehen, die Anerkennung der Reichhaltigkeit und der Bedeutung der verschiedenen kulturellen, religiösen und sozialen Systeme der Welt pflegen, und jene Traditionen stärken,die zu einer fortschreitenden Weltkultur beitragen. Sie sollten das Prinzip der „Einheit in der Vielfalt" als den Schlüsselbegriff für das Wohlergehen der Nationen und der Weltgemeinschaft allgemein lehren. Sie sollten die Ethik des Dienstes am Gemeinwohl pflegen und ein Verständnis für die Rechte und Pflichten, die sich aus dem Weltbürger-Ethos ergeben, vermitteln. Diese Programme sollten auf den positiven Bemühungen jeden Landes aufbauen und seine handfesten Erfolge herausstellen, zu denen Modelle der rassischen, religiösen, nationalen und ethnischen Einheit gehören. Sie sollten auf die Wichtigkeit der Vereinten Nationen bei der Förderung der globalen Zusammenarbeit und Verständigung hinweisen, auf ihre universalen Ziele und Programme; auf ihre unmittelbare Bedeutung für die Völker und Nationen der Welt; und auf die von ihnen in unserer enger zusammenwachsenden Welt in immer stärkerem Maße wahrzunehmenden Aufgaben.

Ehe eine Kampagne zur Förderung des Weltbürger-Ethos eingeleitet werden kann, muß eine allgemeine Verständigung und Einigung über das Konzept entwickelt werden. Die Kommission für nachhaltige Entwicklung könnte z.B. einen Sonderausschuß oder eine Arbeitsgruppe einsetzen, die die Richtlinien für das Weltbürger-Ethos und Vorschläge für die Eingliederung dieses Prinzips in bestehende formale und informelle Erziehungsprogramme entwickeln sollten. Alternativ könnte die Kommission die Unterstützung des Hauptausschusses für nachhaltige Entwicklung (High Level Advisory Board on Sustainable Development) oder des Verbindungsausschusses der Organisationen für nachhaltige Entwicklung (Inter-Agency Committee on Sustainable Development) erbitten. Das Sekretariat der Vereinten Nationen könnte sogar beschließen, eine Weltbürgertums-Einheit einzusetzen, ähnlich der seinerzeitigen Friedenstudien-Einheit, um diese Richtlinien zu entwickeln und die Bemühungen des ganzen Systems um Weltbürger-Ethos-Erziehung zu koordinieren. Welcher Weg auch eingeschlagen wird, dieser Aufgabe kommt die höchste Priorität zu.

Weltbürger-Ethos könnte leicht in alle Maßnahmen eingegliedert werden, die im Kapitel 36.5 der Agenda 21 zur Neuorientierung der Erziehung in Richtung auf eine nachhaltige Entwicklung vorgeschlagen werden. Hierzu einige Beispiele:

– Nationale Beratungsgremien / Runde Tische (36.5.c) sollen die Eingliederung des Weltbürger-Ethos in die Erziehungsprogramme des Landes erleichtern.

– In Ausbildungs- und Fortbildungsprogrammen für alle Lehrer, Schulbeamten, Pädagogen und informelle Erzieher (36.5.d) soll das Prinzip des Weltbürger-Ethos einbezogen werden.

– Pädagogisches Material über nachhaltige Entwicklung, das von den Zweigorganisationen der Vereinten Nationen hergestellt wird, sollte zu Weltbürger-Ethos ebenso ermutigen wie das Unterrichtsmaterial über die Vereinten Nationen.

– Die Agenda 21 verlangt die "Entwicklung eines Internationalen Netzes", um die weltweiten Bemühungen um nachhaltige Entwicklung zu unterstützen (36.5k). Dieses Netz könnte sowohl Zweigorganisationen der Vereinten Nationen als auch NGOs dazu ermutigen, auf den Richtlinien für Weltbürger-Ethos gegründetes Material herauszugeben und für deren Verteilung zu sorgen.

Regierungen und Erziehungsbehörden sind bereits aufgerufen worden, "geschlechtsspezifische Klischees aus den Curricula zu entfernen" als einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung (36.5 m). Wir würden empfehlen, daß im Geiste des Weltbürger-Ethos Klischees über Religion, Kultur, Rasse, Klasse, Nationalität und Volkszugehörigkeit ebenfalls entfernt werden.

Öffentliches Bewußtsein

Die Menschen müssen sich selbst als Weltbürger verstehen und sich ihrer persönlichen Verantwortung zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung bewußt werden. (9) Kampagnen, die die Herausforderungen des Weltbürger-Ethos in das öffentliche Bewußtsein heben wollen, müssen die gesamte Bandbreite der Medien und der Kunst nutzen, dazu gehören Fernsehen, Videos, Filme, Radio, elektronische Netze, Bücher, Zeitschriften, Poster, Flugblätter, Theater und Musik. An diesen Kampagnen sollten sich die Werbung, die Unterhaltungsindustrie, die Medien - die traditionellen wie auch die nicht-traditionellen - das ganze System der Vereinten Nationen, alle Mitgliedsstaaten, Nicht-Regierungs - Organisationen und öffentliche Persönlichkeiten beteiligen. Sie sollten auf das Zuhause, den Arbeitsplatz, öffentliche Orte und die Schulen ausgerichtet sein. Die oben für das Weltbürger-Ethos geforderten Richtlinien sollten sich für Kampagnen, die sich an das öffentliche Bewußtsein wenden, eignen und als grundlegendes Referenzmaterial für alle Medienprogramme dienen.

Das Weltbürger-Ethos könnte auch bei den Maßnahmen aufgenommen werden, die im Kapitel 36.10 der Agenda 21 zur Verstärkung und Sensibilisierung des öffentlichen Bewußtseins in Bezug auf nachhaltige Entwicklung genannt werden. Hierzu einige Beispiele:

– Nationale und internationale Beratungsgremien (36.10.a) könnten die verschiedenen Medien ermutigen, sich die Richtlinien für das Weltbürger-Ethos zueigen zu machen. Die Medien haben schon viel geleistet, indem sie die weltweite gegenseitige Abhängigkeit und die vor der Gemeinschaft der Welt stehenden ungeheueren Herausforderungen der Öffentlichkeit zum Bewußtsein brachten. Sie haben auch die scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten, die uns trennen, hervorgehoben.

– Die Medien haben die Verantwortung, den Menschen verständlich zu machen, daß Vielfalt nicht zu Konflikten führen muß. Vielfalt kann und muß vielmehr als ein Mittel für nachhaltige Entwicklung dienen. Die Medien können das erreichen, indem sie auf die konstruktiven, einigenden und kooperativen Unternehmungen hinweisen, die beweisen, daß die Menschheit die Fähigkeit zur Zusammenarbeit besitzt, um die vor uns liegenden ungeheueren Herausforderungen zu bestehen.

– Indem die Vereinten Nationen eine „gute Zusammenarbeit mit den Medien" (36.10.e) anstreben, sollten sie das eigene Selbstverständnis und ihre verheißungsvolle Rolle für die Weltgemeinschaft mutig darstellen. Die Vereinten Nationen wurden auf der Grundlage hoher Ideale errichtet und mit der Vision einer friedvollen, fortschrittlichen Welt ausgestattet. Indem sie einen Rahmen für Kommunikation und Zusammenarbeit verfügbar machten und zahllose konstruktive Projekte initiierten, haben sie in bedeutendem Maße zur Verständigung, Hoffnung und zum Wohlwollen in der Welt beigetragen. Ihre hervorragenden Leistungen sind jedoch der Allgemeinheit kaum bekannt.

– Indem die Vereinten Nationen die Idee des Weltbürger-Ethos als umfassendes Thema nutzen, sollten sie ihre Ideale, Tätigkeiten und Ziele veröffentlichen, damit die Menschen einsehen, welche einzigartige und lebenswichtige Rolle die Vereinten Nationen in der Welt - und damit auch in ihrem eigenen Leben - spielen. In ähnlicher Weise sollten die Vereinten Nationen das Weltbürger-Ethos in ihrer Öffentlichkeitsarbeit, bei den Feiern zu ihrem 50. Jahrestag und bei den Führungen durch ihre Zentrale herausstellen. Auch sollte jedes Dokument der Vereinten Nationen, welches die nachhaltige Entwicklung zum Thema hat, dieses Prinzip erwähnen – angefangen mit der Präambel zur geplanten ErdCharta. Weltbürger-Ethos muß zum allerwichtigsten ethischen Bezugsbegriff bei allen Maßnahmen der Vereinten Nationen werden.

– Die Dienste von Werbeagenturen (36.10.e) sollten in Anspruch genommen werden, um den Begriff des Weltbürger-Ethos zu verbreiten und zu fördern. Kampagnen könnten zu folgenden Themen veranstaltet werden:

Wir, die Völker der Vereinten Nationen, feiern die Einheit in der Vielfalt.

Ein Planet, eine Nation.

Bei aller Vielfalt sind wir doch eine menschliche Familie.

Unsere gemeinsame Zukunft: Einheit in der Vielfalt.

– Für die Förderung des Weltbürger-Ethos sollten Wettbewerbe ausgeschrieben und Preise verliehen werden (36.10.e).

– Während die Medien das öffentliche Bewußtsein „in Bezug auf die Auswirkungen von Gewalt auf die Gesellschaft" (36.10.l) schärfen, können sie ein Engagement für Weltbürger-Ethos erzeugen, indem sie Beispiele für konstruktive, die Einheit fördernde Unternehmungen herausstellen, die deutlich machen, welche Kraft in der Einheit und in einer gemeinsamen Vision liegt.

Alle Länder sollten dazu ermutigt werden, für die Förderung des Weltbürger-Ethos Finanzmittel einzuplanen. Es sollte auch überlegt werden, ob die Förderung des Weltbürger-Ethos als eines „der Anzeichen für nachhaltige Entwicklung" angesehen werden könnte. So könnten z.B. Länder dazu ermutigt werden, über Bemühungen zu berichten, daß Toleranz und Wertschätzung anderer Kulturen anerkannt, die Gleichberechtigung der Geschlechter durchgesetzt und das Konzept von der einen menschlichen Familie in Lehrplänen, Unterhaltungssendungen und in den Medien eingeführt wurde.

Die Herausforderung Des Weltbürger-Ethos

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß das Konzept des Weltbürger-Ethos von gleicher Herausforderung und Dynamik ist wie die sich der Weltgemeinschaft bietenden günstigen Möglichkeiten. Wir, die Völker und Nationen der Welt, täten gut daran, die ihm zugrunde liegenden Prinzipien mutig aufzunehmen und uns von ihnen in allen Bereichen unseres Lebens leiten zu lassen - von unseren persönlichen und lokalen Beziehungen bis zu unseren nationalen und internationalen Angelegenheiten; von unseren Schulen, Arbeitsplätzen und Medien bis zu den juristischen, sozialen und politischen Institutionen. Wir bitten die Kommission daher dringend, das ganze System der Vereinten Nationen zu ermutigen, das Prinzip des Weltbürger-Ethos in die gesamte Bandbreite seiner Programme und Aktivitäten einzubeziehen.

Die Internationale Bahá‘í-Gemeinde, die Weltbürger-Ethos schon seit mehr als einem Jahrhundert pflegt, würde gern der Kommission, den Regierungen, den NGOs und anderen dabei behilflich sein, die in diesem Dokument enthaltenen Konzepte fortzuentwickeln, praktische Modelle der rassischen, religiösen, nationalen und ethnischen Einheit für eine nachhaltige Entwicklung zu liefern, und an Beratungen über dieses so wichtige Problem teilzunehmen. Als eine Weltgemeinschaft, in der die Vielfalt der ganzen Menschheit vertreten ist und die über eine große gemeinsame Vision verfügt, wird die Internationale Bahá‘í-Gemeinde auch weiterhin die nachhaltige Entwicklung unterstützen, indem sie die Menschen dazu ermutigt, sich als Bürger einer Welt und die Gestalter einer gerechten und blühenden Weltzivilisation zu betrachten.

 

1) Agenda 21, Kapitel 1.6

2) Eine der meistzitierten Thesen der Agenda 21 ist die Bedeutung der "breiten öffentlichen Mitwirkung an der Entscheidungsfindung","die eigene Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte","wirkliche geseltschaftliche Partnerschaft" und „neue Ebenen der Zusammenarbeit zwischen den Staaten und Schlüsselbereichen der Gesellschaften und Völker".

3) In der Arbeit des UNCED, insbesondere beim Weltgipfel und Globalen Forum, wurde in zahlreichen Veröffentlichungen und Tagungen auf die Notwendigkeit einer globalen Ethik hingewiesen. [Weitere Fundstellen im englischen Original dieses Statements.]

4) Rio Deklaration über Umwelt und Entwicklung, Präambel

5) Siehe. z.B. Rio Deklaration über Umwelt und Entwicklung, Prinzipien 5, 8, 20, 25 sowie Agenda 21, Kapitel 1, 2, 3, 23, 24 und 36.

6) Siehe Rio Deklaration über Umwelt und Entwicklung, Prinzip 25

7) Im Zusammenhang mit dem Prinzip des Weltbürger-Ethos sollte dieses Programm „durch die darin Handelnden gemäß den unterschiedlichen Situationen, Fähigkeiten und Prioritäten der Länder und Regionen durchgeführt werden." (Agenda 21, Kapitel 1.6.)

8) Vgl. Agenda 21, Kapitel 36.3

9) Vgl. Agenda 21, Kapitel 36.9

Internationale Gesetzgebung für Umwelt und Entwicklung

Internationale Gesetzgebung für Umwelt und Entwicklung

Eine Erklärung der Internationalen Bahá’í-Gemeinde übergeben an die Arbeitsgruppe III der 3. Tagung des Vorbereitungsausschusses für die Konferenz über Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCED)

Genf—13 August 1991

Vor etwas mehr als hundert Jahren sprach Bahá’u’lláh in einer Reihe von Briefen an die damaligen Herrscher der Welt davon, daß für die Menschheit ein zeitgeschichtlicher Abschnitt beginnt, der für das Leben auf diesem Planeten eine radikale Neugliederung mit sich bringen wird. Herausforderungen, die zuvor niemandem in den Sinn kamen, werden, so sagte Er, bald die Ressourcen selbst der fortgeschrittensten Nationen verschlingen. Ihnen könne nur mit einem Weltbundsystem begegnet werden, dessen Zentralorgan ein repräsentatives Weltparlament wäre, das die Macht hat, ein weltweit vereinbartes und durchsetzbares Recht zu schaffen. “Die Erde ist nur ein Land”, versicherte Bahá’u’lláh, “und alle Menschen sind seine Bürger”.[i]

Da Ausmaß, Kompliziertheit und Dringlichkeit der Umweltprobleme sich Schritt für Schritt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erzwangen, wird die Logik dieser Leitlinie täglich deutlicher. Die verfügbaren internationalen gesetzgebenden Einrichtungen und deren Verfahren erweisen sich als unzulänglich, vor allem auf Grund der Tatsache, daß sie auf Gesetzen beruhen, die für Nationalstaaten maßgebend sind. Ehe nicht bessere, kreative Maßnahmen zur Neugliederung der internationalen Ordnung ergriffen werden können, davon ist die Internationale Bahá’í-Gemeinde überzeugt, wird allein die Verschlechterung der Umwelt und deren Langzeitfolgen für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung unerbittlich zu einer Katastrophe entsetzlichen Ausmaßes führen.

Die derzeitige Methode, mit der eine internationale Gesetzgebung geschaffen werden soll, wobei man sich jedoch jeweils nur mit einem Problem befaßt, ist bruchstückhaft und unsystematisch. Zu so verschiedenen Fragen wie dem Schutz der Ozonschicht und der Kontrolle über internationalen Handel mit gefährlichen Abfällen wurden Übereinkommen, Verträge und Protokolle angenommen. Über weitere Konventionen zum Klimawandel und zur biologischen Vielfalt wird verhandelt, und mehrere wurden noch zu Fragen wie den auf dem Festland angesiedelten Ursachen der Meeresverschmutzung vorgeschlagen. Es gibt weder ein zentrales Organ, das internationales Umweltrecht abfaßt, noch konnten sich die Nationen der Welt auf eine Reihe von Prinzipien einigen, die eine Basis für eine Umweltgesetzgebung bilden könnten. Zudem unterzeichnen selten dieselben Länder die verschiedenen gesetzgebenden Dokumente. Deshalb ist es nahezu unmöglich, Vereinbarungen aufeinander abzustimmen oder zu kombinieren.

Der internationale Gesetzgebungprozess ist dafür bekannt, langsam, schwerfällig und kostspielig abzulaufen. Wenn ein Problem einmal identifiziert ist, werden Expertentagungen einberufen, um einen Entwurf für ein Abkommen vorzubereiten. Die daran interessierten Regierungen verhandeln über das Abkommen, und bei einer Tagung der Regierungsbevollmächtigten wird es unterzeichnet. Treten dann nach einem oft sehr langen Zeitraum für Ratifikation und Beitritt die gegebenen Gesetze inkraft, geschieht dies nur in den Unterzeichnerstaaten. Im allgemeinen wird ein Büro eingerichtet, das die Durchführung der Konvention fördert und überwacht. Wenn das erlassene Gesetz geändert werden muß, wie das beim Montrealer Protokoll der Fall war, als durch die angestiegene Zerstörung der Ozonschicht die Bestimmungen des Protokolls überholt waren, kann die Aktualisierung ebenso langsam vorsichgehen, wie die Annahme der Konvention. Viele Länder, die nur über eine begrenzte Anzahl Diplomaten und Experten verfügen, sind solchen zeitraubenden und teuren Verfahren nicht gewachsen, besonders weil die Anzahl der Verhandlungen als Antwort auf die dringlichen globalen Umweltprobleme ständig steigt.

Das derzeitige ad hoc Verfahren für Umweltgesetzgebung wird nur noch schwerer zu handhaben sein. Für die Bereitstellung weltweiter Mechanismen, die ein nachhaltiges Entwicklungsmodell schaffen und stützen sollen, wurden zahlreiche Vorschläge gemacht. Einige Experten raten, das bestehende UN-System zu stärken, indem die Vollmachten von ausführenden Organen wie dem UN-Umweltprogramm (UNEP) höher eingestuft werden, der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) eine Umbildung erfährt oder der Treuhandrat zur Verwaltung bestimmter globaler Ressourcen eingesetzt wird. Andere schlagen neue Organe vor wie z.B. einen Umweltsicherheitsrat, einen Weltgerichtshof für Umweltrecht oder ein internationales Verhandlungsgremium für Umweltfragen, das die internationale Gesetzgebung zu Problemen, die globale Aktionen erfordern, vorbereitet, annimmt und revidiert.

Wie wohlgemeint und hilfreich solche Vorschläge auch sein mögen, für die Internationale Bahá’í-Gemeinde liegt auf der Hand, daß der Aufbau eines nachhaltigen Entwicklungsmodells eine komplizierte Aufgabe mit weitreichenden Auswirkungen darstellt. Sie erfordert offenkundig eine neue Ebene des Engagements bei der Lösung größerer Probleme, die nicht ausschließlich mit der Umwelt zu tun haben. Zu diesen Problemen gehört die Militarisierung, der übermäßige Besitztumsunterschied innerhalb und unter den Nationen, der Rassismus und die fehlende Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Einer bröckchenweisen Methode aufgrund der Bedürfnisse von Nationalstaaten ist die Annahme eines Rahmenabkommens, das bestimmte internationale Gesetzesregelsn verkündet, deutlich vorzuziehen.

Langzeitlösungen werden eine neue und umfassende Sichtweise einer globalen Gesellschaft erfordern, unterstützt durch neue Werte. Aus der Sicht der Internationalen Bahá’í-Gemeinde ist die Anerkennung der Einheit der Menschheit die erste, grundlegende Voraussetzung für diese Reorganisation und Verwaltung der Welt als ein Land, die Heimat der Menschheit. Die Anerkennung dieses Prinzips bedeutet nicht das Ablegen legitimer Loyalität, die Unterdrückung kultureller Vielfalt oder die Abschaffung nationaler Autonomie. Sie verlangt eine umfassendere Loyalität, ein viel höheres Streben als bisher menschliche Bemühungen angespornt hat. Sie verlangt deutlich die Unterordnung nationaler Impulse und Interessen unter die gebieterischen Ansprüche einer vereinten Welt. Sie stimmt weder mit irgend einem Versuch überein, Uniformität aufzuerlegen, noch mit irgend einer Tendenz zu übermäßiger Zentralisierung. Ihr Ziel wird durch das Konzept der “Einheit in Mannigfaltigkeit” richtig erfaßt.

In den Bahá’í-Schriften wird ein weltweites föderatives System ins Auge gefaßt, in welchem dem Vorschlag Bahá’u’lláhs entsprechend “…alle Nationen der Erde willig den Anspruch, Krieg zu führen, gewisse Rechte der Erhebung von Steuern und alle Rechte auf Kriegsrüstung außer zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in ihren Gebieten abtreten…”[ii] Zu diesem Weltgemeinwesen wird eine “Weltlegislative” gehören, “deren Mitglieder als Treuhänder der ganzen Menschheit die gesamten Hilfsquellen aller Mitgliedstaaten überwachen. Sie muß die erforderlichen Gesetze geben, um das Leben aller Rassen und Völker zu steuern, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ihre wechselseitigen Beziehungen anzupassen. Eine Weltexekutive, gestützt auf eine internationale Streitmacht, wird die Beschlüsse jener Weltlegislative ausführen, deren Gesetze anwenden und die organische Einheit des ganzen Gemeinwesens sichern. Ein Weltgerichtshof wird seine bindende, endgültige Entscheidung in sämtlichen Streitfragen, die zwischen den vielen Gliedern dieses allumfassenden Systems auftreten können, fällen und zustellen…”[iii] Im Rahmen eines solchen geordneten Ganzen wird ein “…einheitliches System internationalen Rechts als Ergebnis der wohlüberlegten Entscheidung der weltweit vereinigten Volksvertreter durch das sofortige, zwingende Eingreifen der vereinten Streitkräfte der Verbündeten sanktioniert…”[iv]. Gleichzeitig wird “…die Autonomie seiner nationalstaatlichen Glieder sowie die persönliche Freiheit und Selbständigkeit der einzelnen Menschen, aus denen es gebildet ist, ausdrücklich und völlig gesichert…”[v] sein.

Daher bittet die Internationale Bahá’í-Gemeinde den Vorbereitungsausschuß dringend, kühne und kreative Ansätze zur Schaffung internationaler gesetzgebender Einrichtungen und Verfahrensweisen in Erwägung zu ziehen. Ohne ein Bild von der Zukunft ist keine wirkliche Veränderung möglich. Die vorgelegte Erdcharta kann wesentlich dazu beitragen, eine vereinende Vorstellung von der Zukunft zum Ausdruck zu bringen und kühn die Werte  zu bekräftigen, auf die sie begründet sein muß. In seiner Arbeit am Text wird der Vorbereitungsausschuß unter Umständen den Wunsch haben, die Verheißung des Weltfriedens, eine Erklärung an die Völker der Welt, die das Universale Haus der Gerechtigkeit zur Unterstützung des Internationalen Jahres des Friedens der Vereinten Nationen veröffentlicht hat, heranzuziehen.

Die Bahá’í in aller Welt betrachten die Entwicklung des UNCED-Programms als bedeutende Bestätigung des Optimismus, den sie für die Zukunft der Menschheit empfinden. Wir glauben, daß – ermächtigt durch die weltweite Erkenntnis der Gefahren, die derzeit den Planeten bedrohen – die Regierungen der Welt dazu gebracht werden können, mutig im Namen der gesamten Menschheit zu handeln. Das Ergebnis wird möglicherweise nicht nur eine wirkungsvolle Reaktion auf die jetzigen Umwelt- und Entwicklungsprobleme sein, sondern ein weiterer riesiger Schritt in Richtung auf den Aufbau eines föderativen Systems, das in der Lage ist, sich der gesamten Bandbreite an Herausforderungen anzunehmen, der sich die rasch zusammenwachsende Menschheit gegenübersieht.

[i] Botschaften aus ‘Akká, 11:13

[ii] Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 66

[iii] Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 297

[iv] Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 67

[v] Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, S. 296, 297

Erdcharta

Erdcharta

Vorschläge für die Erdcharta - formuliert von der Internationalen Bahá'í-Gemeinde Die folgende Stellungnahme enthält Vorschläge für die geplante "Erdcharta". Sie wurde von der Internationalen Bahá'í-Gemeinde dem Vorbereitungsausschuss der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) vorgelegt. Wie derzeit vom UNCED-Büro vorgeschlagen, soll eine solche Erdcharta eines der sechs Hauptthemen sein, das die bei der UNCED-Konferenz in Brasilien im Juni 1992 versammelten Regierungsvertreter aus aller Welt ansprechen werden.

Geneva—5 April 1991

[NB: entspricht englischsprachiges Statement EARTH CHARTER vom 5. April 1991]

Die Internationale Bahá'í-Gemeinde begrüßt den Vorschlag des Generalsekretärs der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED), eine "Erdcharta" zu den sechs von der UNCED in Rio de Janeiro (Brasilien) im Juni 1992 behandelten Hauptkomponentenmit einzuschließen. Tatsächlich wird ein Abkommen über "Prinzipien, die die Beziehungen der Völker und Nationen zueinander und zur Erde bestimmen" grundlegend sein, "um unsere gemeinsame Zukunft sowohl in Umwelt-, als auch in Entwicklungsfragen zu sichern". Daher begrüßen wir die Gelegenheit, uns zu den Faktoren zu äußern, die unseres Erachtens in die vorgeschlagene Charta miteinbezogen werden sollten.

Wir sind davon überzeugt, dass jeder Aufruf zu globalem Handeln für Umwelt und Entwicklung in allgemein anerkannten Werten und Prinzipien wurzeln muss. Gleichermaßen muss die Suche nach Lösungen für die ernsten Umwelt- und Entwicklungsprobleme der Welt über pragmatisch-technologische Vorschläge hinausgehen und die zugrundeliegenden Ursachen der Krise ansprechen. Wirkliche Lösungen erfordern, so der Bahá'í-Standpunkt, eine weltweit akzeptierte Zukunftsvorstellung, die auf Einheit und freiwilliger Kooperation der Nationen, Rassen, Glaubensrichtungen und Klassen der Menschheitsfamilie beruht. Es wird unerlässlich sein, sich einem höheren Grad an Moral, der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Entwicklung der Fähigkeit zur Beratung zu verpflichten, damit Gruppen auf allen gesellschaftlichen Ebenen effektiv funktionieren.

Es gibt viele Umwelterklärungen, auf die die UNCED-Erdcharta sich beziehen und aus denen sie schöpfen könnte, darunter die Stockholmer Erklärung über die Umwelt der Menschen (1972), die Erklärung von Nairobi (1982), die Weltcharta für die Natur (1982) und jüngere Dokumente wie der Allgemeine Kodex für umweltgerechtes Verhalten (Bangkok, Oktober 1990).

Sicherlich würde eine UNCED-Erklärung oder "Erdcharta" von möglichst breit gefächerter Beratung mit Regierungen und nichtstaatlichen Organisationen profitieren. Die Internationale Bahá'í-Gemeinschaft ergreift daher gerne die Gelegenheit, die folgenden Punkte zur Einbeziehung in eine solche Erklärung von Prinzipien anzubieten.

Um eine Orientierung des Einzelnen und der Gesellschaft auf eine nachhaltige Zukunft hin zu erreichen, müssen wir folgende Punkte  berücksichtigen:

Einheit ist unerlässlich, wenn verschiedene Völker für eine gemeinsame Zukunft arbeiten sollen. Die "Erdcharta" kann durchaus die Aspekte der Einheit aufzeigen, die Voraussetzungen sind für eine aufrechtzuerhaltende Entwicklung. Die Bahá'í sind der Meinung: "Das Wohlergehen der Menschheit, ihr Friede und ihre Sicherheit sind unerreichbar, wenn und ehe nicht ihre Einheit fest begründet ist."

Die ungehinderte Ausbeutung natürlicher Rohstoffe ist nur ein Symptom für eine umfassende Krankheit des menschlichen Geistes. Alle Lösungen für die Umwelt- und Entwicklungskrise müssen daher in einem Ansatz wurzeln, der geistige Ausgeglichenheit und Harmonie im einzelnen, zwischen Individuen und mit der Umwelt als ganzes fördert. Materielle Entwicklung muss nicht nur dem Körper, sondern auch dem Geist und der Seele dienen.

Die Neuorientierung der Welt hin zu einer vertretbaren Zukunftsvision erfordert Veränderungen, die ein in der bisherigen Menschheitsgeschichte selten erreichtes Ausmaß des Opfers, der gesellschaftlichen Integration, des selbstlosen Handelns und gemeinsamer Ziele mit sich bringen. Diese Eigenschaften haben ihre höchste Entwicklungsstufe durch die Kraft der Religion erreicht. Daher spielen die Religionsgemeinschaften der Welt eine große Rolle dabei, diese Eigenschaften bei ihren Mitgliedern anzuregen, schlummernde Kräfte des menschlichen Geistes freizusetzen und einzelne dazu zu bewegen, zum Wohl des ganzen Planeten, seiner Völker und künftiger Generationen zu handeln.

Nichts geringeres als ein globales föderatives System, geleitet von allgemein durchführbaren Gesetzen, wird es den Nationalstaaten ermöglichen, in Zusammenarbeit eine immer enger zusammenhängende und sich schnell verändernde Welt zu verwalten und dadurch den Frieden sowie soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle Völker der Welt zu sichern.

Entwicklung muss dezentralisiert werden, um Gemeinschaften bei der Formulierung und Durchführung von Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, einzubeziehen. Eine solche Dezentralisierung, die einem weltweiten System und einer globalen Strategie nicht widersprechen muss, würde dafür sorgen, dass sich Entwicklungsprozesse der reichhaltigen kulturellen, geographischen und ökologischen Vielfalt des Planeten anpassen.

Beratung muss Konfrontation und Beherrschung ersetzen, um innerhalb der Familie der Nationen Kooperation bei der Planung und Anwendung von Maßnahmen zu erreichen, die das ökologische Gleichgewicht der Welt erhalten werden.

Erst wenn die Frauen in allen Bereichen menschlichen Bemühens, darunter auch Umwelt und Entwicklung, als gleichwertige Partner aufgenommen werden, wird das moralische und psychologische Klima geschaffen, in dem eine friedliche, harmonische und aufrechtzuerhaltende Zivilisation entstehen und zur Blüte kommen kann.

Die Angelegenheit der allgemeinen Bildung verdient höchste Unterstützung, da keine Nation erfolgreich sein kann, wenn nicht allen Bürgern Bildung gewährt wird. Diese Bildung sollte das Bewusstsein sowohl der Einheit der Menschheit als auch der wesentlichen Verbindung zwischen der Menschheit und der Natur fördern. Indem Erziehung ein Gefühl für Weltbürgertum nährt, kann sie die Jugend der Welt auf die organischen Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur, die das Prinzip der Einheit zur Folge hat, vorbereiten.

Die Internationale Bahá'í-Gemeinde ist bereit, zu der weiteren Ausarbeitung und Verbreitung einer "Erdcharta" in Beratung mit anderen interessierten Institutionen beizutragen.

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