Der Beitrag der globalen Zivilgesellschaft zur Stärkung der Vereinten Nationen und Reform der Weltgesellschaft

Statements

Der Beitrag der globalen Zivilgesellschaft zur Stärkung der Vereinten Nationen und Reform der Weltgesellschaft

New York—8 September 2000

Ansprache gehalten auf dem Nachmittagsplenum - Freitag, 8. September 2000 - von Techeste Ahderom, Mit-Vorsitzender des Millennium-Gipfels vom 6.-8. September 2000 in New York und Sprecher des NGO-Forums, (ganzer Redetext)

Meine Damen und Herren im Vorstand, geehrte Staats- und Regierungschefs, Herr Generalsekretär, Exzellenzen,

Im vergangenen Mai versammelten sich Repräsentanten der Zivilgesellschaft und  Nichtregierungsorganisationen aus der ganzen Welt in diesem Saal, um über die gemeinsame Zukunft der Menschheit und insbesondere über die Rolle der Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert zu beraten.

Die Zusammenkunft nannte sich ”Das Millenium-Forum”, und nach der großen inhaltlichen und geografischen Bandbreite ihrer Teilnehmer zu beurteilen war es eine der vielfältigsten und bedeutungsvollsten Versammlungen von Organisationen der Zivilgesellschaft, die je abgehalten wurde.

Das Forum war von Bedeutung wegen seiner Bemühungen, den Prozess der Bildung von Netzwerken und Koalitionen unter den NGOs zu verschiedenen Problembereichen zu beschleunigen. Dieser Prozess hat sich als eine starke Kraft für den Wandel und für soziales Handeln in der heutigen Welt erwiesen. Unter anderem dachten wir darüber nach, wie man einen gerechten und dauerhaften Frieden errichtet, wie man die Armut ausrottet, wie man die Menschheit auf den Weg einer nachhaltigen Entwicklung bringt und dabei unsere gemeinsame Umwelt schützt, wie wir dahin kommen, dass die Menschenrechte immer und überall von allen Nationen eingehalten werden und wie wir den drängenden Herausforderungen der Globalisierung begegnen können.

Schließlich einigten wir uns trotz unserer großen Verschiedenheit auf eine machtvoll formulierte ”Agenda des Handelns”. Sie bietet eine zuversichtliche Vision für die Zukunft der Menschheit und skizziert eine Reihe von konkreten Schritten, welche die Vereinten Nationen, die Regierungen und die Mitglieder der Zivilgesellschaft selbst unternehmen können, um die Probleme anzugehen, mit denen die Menschheit heute weltweit konfrontiert wird.

Nachdem ich die Reden hier während der vergangenen drei Tage gehört habe, muss ich sagen, dass unsere Vision und unser Handlungsplan mit vielem von dem übereinstimmen, was hier gesagt wurde.

Ich persönlich fühle mich dadurch ermutigt und denke, dass dieser historische Gipfel sehr wohl dafür in Erinnerung bleiben könnte, dass er die Tür aufgestoßen hat zu einer lang erwarteten Ära des Friedens, der Gerechtigkeit und des Wohlstands für die ganze Menschheit. Diese neue Ära wird selbstverständlich konkrete Taten erfordern und nicht nur Worte.

Wir in der Zivilgesellschaft stehen bereit, um mit Ihnen und Ihren Regierungen Seite an Seite zusammen zu arbeiten, um in einer starken Partnerschaft diese neue Welt zu erschaffen. Gleichzeitig steht die Zivilgesellschaft auch dafür bereit, Sie an Ihre Verpflichtung zu erinnern, wenn Sie sich nicht an Ihr Wort halten.

Während der gesamten Geschichte – von der Abschaffung der Sklaverei bis zur Anerkennung der Gleichwertigkeit von Mann und Frau – haben die meisten großen sozialen Bewegungen nicht bei den Regierungen, sondern bei den einfachen Menschen begonnen.

Selbst die Idee, eine internationale Organisation zur Beendigung von Krieg und der Errichtung eines dauerhaften Friedens zu schaffen, hatte ihren Ursprung in der Zivilgesellschaft. Vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs setzten sich die Führer einer Reihe von internationalen NGOs ein für die Errichtung eines ”Gemeinwesens der Völker”, eines ”Völkerbunds”, in dem alle Staaten in kollektiver Sicherheit miteinander verbunden wären. Dieselben Organisationen unterstützten aktiv die Arbeit des Völkerbunds in den späten zwanziger Jahren.

1945 spielte die Zivilgesell­schaft wieder eine wichtige Rolle bei der Ausformung vieler Artikel von zentraler Bedeutung, die man in der Charta der Vereinten Nationen findet, besonders im Bereich der Menschenrechte.

In jüngerer Zeit haben NGOs eine führende Rolle bei der Gestaltung und Unterstützung eines internationalen Strafgerichtshofes gespielt sowie in der Bewegung für einen Schuldenerlass und in der internationalen Bewegung für das Verbot von Landminen. Ebenso waren NGOs führend bei der Schaffung von Partnerschaften zwischen den UN und den Regierungen wie z.B. im NGO-Vorbereitungsausschuss für die Kommission für nachhaltige Entwicklung.

Mehrmals hat Generalsekretär Kofi Annan betont, dass die Beteiligung der Zivilgesellschaft an den Vereinten Nationen und die Zusammenarbeit mit ihr keine Frage der Wahl ist, sondern eine Notwendigkeit.

Wir begrüßen seine Bemühungen, eine wirkungsvolle Partnerschaft der Zivilgesellschaft mit den Vereinten Nationen zu ermöglichen. Wir danken ihm insbesondere dafür, die UN zu öffnen für das Millennium-Forum im vergangenen Mai. Wie viele wissen, stammte die Idee für jenes Forum im Wesentlichen von Kofi Annan, als er vor etwa drei Jahren zu einer ”begleitenden Versammlung der Bürger” zu diesem Gipfel aufrief. Und wir danken Kofi Annan dafür, dass er die Erklärung des Millenium-Forums diesem UN-Gipfel als UN-Dokument zur Verfügung gestellt hat.

Das Millenium-Forum selbst entstand aus seit langem etablierten NGO-Ausschüssen und Netzwerken heraus. Die Pläne begannen mit der Konferenz über Nichtregierungsorganisationen (CONGO) und bezogen das UN-DPI/NGO-Exekutivkommitee mit ein. Wir wollten auf eine beeindruckende Reihe von weltweiten NGO-Versammlungen aufbauen, wie dem Haager Friedensappell, der internationalen Konferenz der NGOs in Seoul, der Konferenz der globalen Zivilgesellschaft und der Millenniumskonferenz der Jungend wie auch allen großen weltweiten NGO-Foren, die parallel zu den großen wichtigen UN-Konferenzen des letzten Jahrzehnts abgehalten wurden, wie u.a. dem Erdgipfel und der Frauenkonfe­renz in Beijing.

Wir bitten Sie, die Erklärung des Millennium-Forums sorgfältig zu studieren.

Ich glaube, Sie werden sehen, dass wir die Regierungen hauptsächlich dazu aufrufen, die eingegangenen Verpflichtungen und die Prinzipien, auf die sie sich auf den großen weltweiten Konferenzen der 90er Jahre geeinigt haben, einzuhalten. Außerdem ersuchen wir um vermehrten Zugang der NGOs zur Vollversammlung der Vereinten Nationen und ihren wichtigsten Ausschüssen.

Erlauben Sie mir, Ihnen einige wenige Höhepunkte vorzutragen, wozu das Forum in seiner Erklärung aufgerufen hat.

Die Teilnehmer des Forums sind der Ansicht, dass es eine grobe Verletzung der Menschenrechte darstellt, wenn eine Milliarde Menschen hungrig zu Bett geht. Die Erklärung verlangt einen sofortigen Schuldenerlass. Sie verlangt auch nach einem ”Fonds zur weltweiten Ausrottung der Armut”, der darauf abzielt, den Armen Zugang zu Krediten zu verschaffen.

Zum Thema ”Globalisierung” nahm das Forum den Standpunkt ein, dass sie einerseits ”bedeutende Möglichkeiten für Menschen bietet, Verbindung miteinander aufzunehmen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen”. Andererseits vermehrt sie in ihrer derzeit ungeregelten Form ”die Ungerechtigkeit zwischen Staaten und innerhalb von Staaten, untergräbt lokale Traditionen und Kulturen, verschärft den Unterschied zwischen arm und reich und marginalisiert dadurch eine große Anzahl von Menschen in städtischen und ländlichen Gebieten.

Die Erklärung drängt die Regierungen dazu, ernsthaft ”die Verpflichtung einzugehen, die globalen Finanzstrukturen neu zu strukturieren, und zwar auf den Prinzipien von Gerechtigkeit, Transparenz, Verantwortlichkeit und Demokratie.” Sie bringt klar zum Ausdruck, dass die Vereinten Nationen die vorrangige internationale Organisation sein sollte, die die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds und die Welthandelsorganisation beaufsichtigt.

Die Erklärung fordert auch, dass die Vereinten Nationen gestärkt und demokratisiert werden, denn als wichtigste globale Institution in der heutigen Welt ist sie die einzige, die derzeit in der Lage ist, den internationalen Rahmen und die Koordination bereit zu stellen, die benötigt werden, um die vor uns liegenden großen Herausforderungen anzugehen.

Insbesondere fordert das Forum ein gestärktes System zur Friedenssicherung, verbunden mit der Einrichtung einer ständigen Polizei- und Friedenssicherungstruppe. Es verlangt auch nach einem reformierten Sicherheitsrat, der gestärkt ist durch eine größere Anzahl von Mitgliedern, demokratischere Vorgehensweisen und schließlich die Abschaffung des Vetorechts. Es verlangt auch die Formulierung eines vorläufigen Vorschlags zur globalen Abrüstung, der in einer Sondersitzung der Vollversammlung diskutiert werden sollte.

In diesen Tagen weltweiter gegenseitiger Abhängigkeit sind die so weit wie möglich gestärkten Vereinten Nationen unser bester Schutz vor globalem Unheil, sei es wirtschaftlicher oder ökologischer Natur, sei es der Ausbruch einer neuen Epidemie oder ein neuer großer Konflikt.

Abschließend wäre noch zu sagen: Die Erklärung des Millennium-Forums versucht die Hoffnungen und Erwartungen der Völker der Welt zum Ausdruck zu bringen. In den einleitenden Absätzen steht folgendes:

”Unsere Vision ist die einer Welt, die auf den Menschen ausgerichtet und wahrhaft demokratisch ist, an der alle Menschen voll teilhaben und in der sie ihr Schicksal selbst bestimmen. In unserer Vision sind wir alle eine menschliche Familie, in all unserer Mannigfaltigkeit. Wir leben in einer gemeinsamen Heimat und teilen eine gerechte, dauerhafte und friedvolle Welt, die geleitet wird von den universalen Prinzipien der Demokratie, Gleichheit, Partizipation, Freiwilligkeit, Nichtdiskriminierung und Beteiligung aller.”