Die Familie – aus der Baha'i-Sicht

Statements

Die Familie – aus der Baha'i-Sicht

Eine Erklärung der Internationalen Baha'i-Gemeinde zur Beratung über »Die Familie als das erste Gemeinwesen«, die von der Arbeitsgruppe Familie der New Yorker Nichtstaatlichen Organisationen durchgeführt wurde.

New York—7 January 1987

Obwohl die meisten Gemeinwesen und Kulturen die Familie als eine notwendige und fundamentale Grundeinheit anerkennen, gibt es heute so viele Umgestaltungen, die das Wohl der Familie und das Glück ihrer Mitglieder bedrohen. Die Familie ist ein Mikrokosmos dieser Welt. Ihre Einheit muss vor dem Zerfall beschützt werden, wenn die Einheit und der Friede unseres Planeten verwirklicht werden sollen.

Die Bahá’í-Schriften legen großen Wert auf die Würde des Menschen. Sie betonen wie wichtig es ist, dass jeder Mensch sich die edelsten Fähigkeiten aneigne, um damit seinen besten Interessen sowie denen der Menschheit dienen zu können. Aus diesem Grunde haben die Bahá’í-Gemeinden der ganzen Welt neue Lehren und Prinzipien akzeptiert – und setzen diese in die Praxis um –, die sich auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau, auf den wahren und letztendlichen Zweck der Ehe und des Familienlebens, auf die Beziehung der Familienmitglieder zueinander und zur Gesellschaft als Ganzes und auf die Erziehung der Kinder beziehen.

Die nachfolgenden Auszüge aus den Bahá’í-Schriften veranschaulichen die von den Bahá’í angestrebten Ziele.

Die Einheit und das Wohlergehen der Familie

»Wenn in einer Familie Liebe und Einklang herrschen, wird diese Familie vorankommen und geistig erleuchtet werden, wenn aber Feindschaft und Haß in ihr sind, können Zerstörung und Auflösung nicht ausbleiben.« (1)

»Wie leicht lassen sich die Angelegenheiten einer Familie regeln, wenn Einheit herrscht, welche Fortschritte machen dann die Familienmitglieder, wie erfolgreich sind sie in der Welt. Ihre Beziehungen sind geordnet, sie erfreuen sich behaglicher Ruhe. Sie sind ohne Sorge, ihre Stellung ist gesichert, sie werden von allen beneidet. Mit jedem Tag festigt eine solche Familie ihre Stellung und mehrt ihre dauernde Ehre. (2)

»Eine der wesentlichen Lehren des (Bahá’í-)Glaubens ist, daß in der Familie die Einheit erhalten werden muß.« (3)

»Die Beziehung zwischen den Ehepartnern muß im Zusammenhang mit dem Bahá’í-Ideal des Familienlebens gesehen werden. Bahá’u’lláh, der Gründer des Bahá’í-Glaubens, kam, der Welt die Einheit zu bringen, und eine grundlegende Einheit ist die der Familie. Daher müssen wir daran glauben, daß der (Bahá’í-)Glaube die Familie stärken und nicht schwächen will, und ein Schlüssel zu dieser Stärkung der Einheit ist liebevolle Beratung. Die Atmosphäre in einer Bahá’í-Familie sollte ebenso wie in der gesamten Gemeinde …‘nicht diktatorische Gewalt, sondern demütige Freundschaft, nicht despotische Machtausübung, sondern den Geist freier, liebevoller Beratung’ ausdrücken.« (4)

»Trotz liebevoller Beratung verbleiben in jeder Gruppe gelegentlich Fragen, über die sich keine Übereinstimmung erzielen läßt… Jedoch kann es keine Stimmenmehrheit mehr geben, wenn nur zwei Partner betroffen sind, wie im Falle von Mann und Frau. Deshalb sollte manchmal eine Frau ihrem Mann und manchmal ein Mann seiner Frau nachgeben, aber keiner sollte jemals den anderen unbillig beherrschen.« (5)

»Dies alles sind Beziehungen innerhalb der Familie, aber es gibt einen weiteren Bereich von Beziehungen zwischen Mann und Frau außerhalb der Familie… Obwohl zum Beispiel die Mutter die erste Erzieherin des Kindes ist und den wichtigsten gestaltenden Einfluß auf seine Entwicklung hat, ist auch der Vater für die Erziehung der Kinder verantwortlich… Liegt auch die Hauptverantwortung, die Familie finanziell zu versorgen, beim Mann, so bedeutet auch dies keineswegs, daß die Aufgabe der Frau auf das Heim beschränkt sei.« (6)

»Die Familie… ist eine ganz besondere ‘Gemeinde’. …Alle Familienmitglieder haben gegeneinander und gegenüber der Familie als Ganzem Pflichten und Verantwortlichkeiten, und diese Pflichten und Verantwortlichkeiten sind verschieden wegen der natürlichen Beziehungen der Familienangehörigen zueinander. Die Eltern haben unausweichlich die Pflicht, ihre Kinder zu erziehen – aber nicht umgekehrt; die Kinder haben die Pflicht, den Eltern zu gehorchen – die Eltern gehorchen nicht den Kindern. Die Mutter – nicht der Vater – bringt die Kinder zur Welt, pflegt sie im Säuglingsalter und ist somit ihr erster Erzieher; deshalb haben die Töchter vor den Söhnen ein Recht auf Erziehung… Die Erziehung, die ein Kind zuerst von der Mutter erhält, legt die sicherste Grundlage seiner künftigen Entwicklung. Eine natürliche Folge dieser Verantwortung ist das Recht der Mutter, von ihrem Mann versorgt zu werden – ein Mann hat gegen seine Frau kein ausdrückliches Recht auf Versorgung.« (7)

»Nach den Lehren Bahá’u’lláhs soll die Familie als eine menschliche Einheit nach den Regeln der Heiligkeit erzogen werden. Alle Tugenden sind der Familie zu lehren. Die Familienbande sind unversehrt zu bewahren; die Rechte der Familienmitglieder dürfen nicht verletzt werden, weder die des Sohnes noch die des Vaters oder der Mutter. Niemand darf rücksichtslos sein. Wie der Sohn bestimmte Pflichten gegenüber dem Vater hat, so hat der Vater Pflichten gegenüber dem Sohn. Die Mutter, die Schwester und die anderen Haushaltsmitglieder haben ihre eigenen Vorrechte. Alle diese Rechte müssen gewahrt werden, doch die Einheit der Familie muß erhalten bleiben. Die Schädigung eines Familienmitgliedes soll als die Schädigung aller gelten, das Wohl eines als das Wohl aller, die Ehre eines als die Ehre aller.« (8)

(Quellen: 1 – 8 Einheit der Familie, S. 22, 14, 39, 47, 50, 50, 48, 22.)

 

Ehe und Familie: Das Paar – die Grundeinheit der Gesellschaft

»Die Ehe ist eine hochheilige Einrichtung. Bahá’u’lláh sagte, ihr Zweck sei, Einheit zu fördern.« (1)

»Hinsichtlich der Frage zur Ehe: Wisse, daß das Gebot der Ehe ewig ist. Es wird niemals geändert oder umgewandelt. Das ist Gottes Schöpfung, und es besteht nicht die geringste Möglichkeit, daß Wechsel oder Wandel diese göttliche Schöpfung beeinflussen.« (2)

»Bahá’í-Ehe bedeutet die Bindung zweier Partner aneinander und ihre gegenseitige Zuneigung im Denken und Fühlen. Sie müssen sich jedoch mit größter Sorgfalt bemühen, mit der Wesensart des anderen gründlich vertraut zu werden, so daß der feste Bund zwischen ihnen eine ewige Bindung werde. Ihr Bestreben muß sein, liebevolle Gefährten und für immer und ewig in Einklang miteinander zu sein… Mann und Frau sollten körperlich eins sein, so daß sie einander ständig in ihrem geistigen Leben vervollkommnen…« (3)

»… das Leben eines Ehepaares sollte … ein Leben der Einheit und Eintracht sein, eine geistige wie körperliche Freundschaft. Der Haushalt soll ordentlich und gut geplant sein… Immer sollten sie froh und glücklich gestimmt, immer ein Quell für die Herzen anderer sein. Sie sollten ihren Mitmenschen ein Beispiel setzen, einander wahre und aufrichtige Liebe erweisen und ihre Kinder so erziehen, daß damit Ruhm und Ehre ihrer Familie kundgemacht wird.« (4)

(Quellen: 1, 3 u. 4 in »Einheit der Familie«, S. 42, 12 u. 24; 2 in »Tablets of ’Abdu’l-Bahá«, S. 474)

Ranggleichheit der Geschlechter

»Die Menschheit gleicht einem Vogel mit seinen zwei Schwingen – die eine ist männlich, die andere weiblich. Wenn nicht beide Schwingen stark sind und durch eine gemeinsame Kraft vorwärtsbewegt werden, kann der Vogel nicht gen Himmel fliegen. Im Einklang mit dem Geist dieses Zeitalters müssen die Frauen Fortschritte machen, ihre Lebensaufgabe in allen Bereichen erfüllen und den Männern gleichkommen. Sie müssen den gleichen Rang einnehmen wie die Männer und sich gleicher Rechte erfreuen.« (1)

»Die Frauen sind mit den Männern auf Erden gleichberechtigt. Für die Religion und die Gemeinschaft stellen sie einen sehr wichtigen Bestandteil dar. Solange den Frauen die höchsten Möglichkeiten verschlossen bleiben, werden die Männer außerstande sein, die Größe zu erlangen, zu der sie fähig wären.« (2)

»Der geringe Fortschritt, die eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Frau sind auf fehlende Gleichberechtigung in der Erziehung und mangelnde Chancengleichheit zurückzuführen. Hätte man ihr diese Gleichstellung zugestanden, wäre sie zweifellos in Können und Vermögen dem Manne ebenbürtig. Das Glück der Menschheit wird Wirklichkeit, wenn Mann und Frau zusammenwirken und gemeinsam voranschreiten, denn jeder ist Ergänzer und Helfer des anderen.« (3)

(Quellen: 1 »The Promulgation of Universal Peace«, S. 375, 2 u. 3. in »Frauen«, Nr. 20, 18.)

Die Erziehung der Kinder

»Der Charakterfrage solltet ihr die größte Bedeutung zumessen. Es ist die Pflicht jeden Väters und jeder Mütter, ihre Kinder lange Zeit zu beraten und sie zu den Dingen zu führen, die zu ewiger Ehre gereichen.« (1)

»Die Mutter ist der erste Lehrer des Kindes. Denn Kinder sind am Anfang ihres Lebens frisch und zart wie ein junger Zweig und können auf jede gewünschte Weise gebildet werden. Wenn ihr ein Kind dazu erzieht, aufrecht zu sein, wird es aufrecht wachsen, in vollkommenem Gleichmaß. Es ist klar, daß die Mutter der erste Lehrer ist, und sie ist es, die den Charakter und das Verhalten des Kindes festlegt.« (2)

»Laßt die Mütter daran denken, daß alles, was Kindererziehung betrifft, von größter Wichtigkeit ist. Laßt sie in dieser Hinsicht jede Anstrengung unternehmen, denn wenn der Zweig grün und zart ist, wird er in jede vorgegebene Richtung wachsen. Darum ist es die Pflicht der Mütter, ihre Kleinen so heranzuziehen, wie ein Gärtner seine jungen Pflanzen pflegt.« (3)

»Daß der erste Lehrer des Kindes die Mutter ist, sollte nicht überraschen, denn zuerst richtet sich das Kind nach seiner Mutter. Diese Vorsehung der Natur setzt die Vaterrolle in der Bahá’í-Familie keineswegs herab. Auch hier bedeutet Gleichberechtigung nicht Gleichheit der Aufgabe.« (4)

»Erzieht diese Kinder durch göttliche Ermahnungen. … Lehrt sie, sich von menschlichen Unvollkommenheiten zu befreien und die im menschlichen Herzen verborgenen göttlichen Vollkommenheiten zu erlangen. Das Leben des Menschen ist nützlich, wenn er die menschlichen Vollkommenheiten erlangt. … Deshalb bemüht euch, daß diese Kinder richtig ausgebildet und erzogen werden und daß ein jedes von ihnen Vollkommenheit in der Menschenwelt erlangt.« (5)

»Das Kind darf nicht unterdrückt oder getadelt werden, weil es unterentwickelt ist, es muß mit Geduld erzogen werden.« (6)

(Quellen: 1  »Briefe und Botschaften« 108, 2, 3, 5, 6 in »Ziele der Kindererziehung«, S. 75, 76, 112, 114; 4 in »Frauen«, S. 52)

Die Familie als Mikrokosmos

»… die menschliche[n] … , die ihren Uranfang in der Geburt des Geburt des Familienlebens hat, deren weitere Entfaltung zur Stammeseinheit und Bildung des Stadtstaates führte, und die sich später zur Bildung unabhängiger, souveräner Nationen erweiterte.« (1)

»Vergleiche die Nationen der Welt mit den Mitgliedern einer Familie. Eine Familie ist eine Nation im Kleinen. Erweitere einfach die Reichweite des Haushalts, und du erhältst die Nation. Vergrößere den Kreis der Nationen, und du hast die gesamte Menschheit. Die Bedingungen, unter denen die Familie lebt, gelten auch für die Nation. Die Ereignisse in der Familie sind auch Ereignisse im Leben des Staates.

»Würde es zur weiteren Entwicklung und zum Wachstum einer Familie beitragen, wenn Zwietracht unter ihren Mitgliedern entstünde und sie einander eifersüchtig und rachsüchtig bekämpften und vernichteten um ihres selbstsüchtigen Vorteils willen? Nein, Entfaltung und Wachstum würden davon ausgetilgt. So ist es auch in der großen Familie der Nationen, denn die Nationen bestehen nur aus einem Kollektiv von Familien.« (2)

»Betrachte die schädliche Wirkung von Zwietracht und Meinungsstreit in einer Familie; alsdann denke über die Gnadengaben nach, die auf diese Familie herabkommen, wenn Einheit zwischen ihren Gliedern besteht. Welch unermeßliche Wohltaten und Segnungen würden auf die große menschliche Familie herabkommen, wenn Einheit und Brüderlichkeit herrschten.« (3)

(Quellen: 1 »Die Weltordnung Bahá’u’lláhs« S. 70; 2 in »Foundations of World Unity« S. 100; 3 in »Einheit der Familie«, S. 23)