Freiheit im Glauben

Statements

Freiheit im Glauben

Erklärung der Internationalen Bahá’í-Gemeinde zur Religions- und Glaubensfreiheit

New York—1 October 2005

Einleitung

Vor mehr als 50 Jahren proklamierte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte kühn die angeborene Würde und die gleichen Rechte aller Mitglieder der Menschheitsfamilie. Geleitet von der Vision der allgemeinen Gleichberechtigung, beinhaltet die Erklärung auch das Grundrecht jedes Menschen auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Obgleich die internationale Gemeinschaft die Erklärung einstimmig [i] annahm und sie nachfolgend in einem Instrumentarium internationaler Gesetze kodifizierte, [ii] ist die Welt Zeuge anhaltender auf Religion und Glauben bezogener Intoleranz und Diskriminierung, einer sich ausbreitenden Gewalt im Namen der Religion, der Manipulation von Religion im Interesse politischer Ideologie und zunehmender Spannungen zwischen Religion und staatlicher Politik. [iii] Die ansteigende Flut religiösen Extremismus’ hat diese Entwicklung angeheizt und bedroht die Sicherheit, die menschliche Entwicklung und die Bemühungen um Frieden. Weitverbreitete Verletzungen dieser Rechte, worunter meistenteils Frauen und Minderheiten leiden, dauern an. Angesichts der Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Menschenrechten gefährden solche Verletzungen auch die Rechte auf Bildung, Arbeit, friedliche Versammlungen, Staatsbürgerschaft, politische Teilnahme und Gesundheit sowie gelegentlich auch das Leben selbst. Tatsächlich bleibt die allen zugesicherte Religions- und Glaubensfreiheit weiterhin eines der am meisten umstrittenen und dringendsten Menschenrechte unserer Zeit.

Für die menschliche Entwicklung ist die Freiheit, seine eigene Überzeugung zu wählen und sie zu ändern von entscheidender Bedeutung, denn sie ermöglicht dem Einzelnen die Suche nach Sinn, einem wesentlichen Antrieb des menschlichen Gewissens. Aus diesem Grunde begrüßt die Internationale Bahá’í-Gemeinde die jüngsten Bemühungen der Vereinten Nationen, die kulturelle und religiöse Freiheit in ihren konzeptionellen Rahmen und in die Evaluation der menschlichen Entwicklung mit einzubeziehen. [iv] Von gleicher Bedeutung ist auch die Bekräftigung durch die Vereinten Nationen, dass eine enge Wechselbeziehung zwischen Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten und den grundlegenden Freiheiten besteht. [v] Damit wurden die Voraussetzungen für eine sorgfältige Überprüfung der Rolle geschaffen, welche die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit bei dem Bemühen um eine friedliche, blühende und gerechte Gesellschaft spielen.

Als eine weltweit verbreitete religiöse Gemeinschaft, die das menschliche Gewissen als heilig betrachtet und jedem das Recht auf unabhängige Suche nach Wahrheit zugesteht, fordern wir die Vereinten Nationen dringend auf, vier wichtigen, noch immer vernachlässigten Problemkreisen in Bezug auf Religions- und Glaubensfreiheit Beachtung zu schenken: 1. dem Recht, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, 2. dem Recht, seine Glaubenseinstellung anderen mitzuteilen, 3. der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft und nationaler Regierungen gegenüber ausgegrenzten und friedlich organisierten religiösen Gemeinschaften, und 4. die Verpflichtung religiöser Führer, sich für die Förderung und den Schutz des Rechts auf Religions- und Glaubensfreiheit einzusetzen. Wir werden diese Fragenkomplexe im Einzelnen behandeln und daraus Schlüsse für Empfehlungen für die Arbeit der Vereinten Nationen auf diesem Gebiet ziehen.

Das Recht, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln<

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte stellt in Artikel 18 eindeutig fest:

„Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden.“ [vi]

Das Recht, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln, hat den Status eines unveräußerlichen Rechtes – es ist uneingeschränkt geschützt und unterliegt zu keiner Zeit Regierungsverordnungen. [vii] Das besondere Ausmaß des diesem Recht zugestandenen Schutzes kennzeichnet seine Bedeutung, wenn es um die Sicherung der Menschenwürde geht. Die Suche des Einzelnen nach Wahrheit und Sinn ist eng mit dem Gewissen verknüpft und dem Wunsch, die Welt mit eigenen Augen zu sehen und sie mit eigenem Wahrnehmungs- und Auffassungsvermögen zu verstehen. Demnach ist sie untrennbar mit allen Facetten menschlicher Entwicklung verknüpft.

Auf Druck von Staaten mit abweichender Meinung indes haben spätere Verträge der Vereinten Nationen dieses Recht in schwächerer Form definiert und dabei versagt, die eindeutige Aussage der Erklärung aufrecht zu erhalten. [viii] Sogar die von der Generalversammlung verabschiedete Erklärung zur Abschaffung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung auf Grund von Religion und Weltanschauung von 1981 bestätigt nicht ausdrücklich das Recht, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln. [ix] Die wahrscheinlich bis heute umfassendste Aussage über dieses Recht stammt vom Menschenrechtsausschuss, der die Freiheit des Religions- und Weltanschauungswechsels, die Freiheit seiner Überzeugung Ausdruck zu verleihen, die Freiheit von Zwang in religiösen Angelegenheiten und die Freiheit von Diskriminierung aus religiösen Gründen als die Hauptbestandteile dieses Rechtes – wie in der Erklärung vorgesehen –, bezeichnet. [x] Neben dem Rechtssystem der Vereinten Nationen haben globale Konferenzen und Versammlungen in den letzten 15 Jahren nahezu universelle Bekenntnisse abgegeben, um die Religions- und Glaubensfreiheit zu fördern und zu schützen. [xi] Als Unterzeichner der Allgemeinen Erklärung und der späteren Verträge und globalen Verpflichtungen tragen Regierungen in erster Linie die Verantwortung dafür, die notwendigen Bedingungen zu schaffen, zu schützen und zu fördern, damit alle ihre Bürger sich der Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit erfreuen können.

Das Recht, die eigene Religion oder Weltanschauung zu lehren

Eng verbunden mit der Freiheit, an seiner Religion oder Weltanschauung festzuhalten oder sie zu wechseln, ist die Freiheit,  diese anderen mitzuteilen. Im Rahmen der vielfältigen Aktivitäten, die unter Umständen von der Freiheit, seine Religion oder Überzeugung zu bekunden, abgedeckt sind, ist das Recht, seine eigene Religion oder Weltanschauung zu lehren, besonders umstritten. [xii] Während die Erklärung einen bedingungslosen Schutz des ‚internen’ Rechts auf Religionsfreiheit verlangt, unterliegt das ‚externe’ Recht, seine Überzeugung zu bekunden, Einschränkungen: Regierungen dürfen dieses Recht einschränken, „um den berechtigten Forderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung oder dem allgemeinen Wohl einer demokratischen Gesellschaft zu entsprechen.“ [xiii] Dieser den Staaten gewährte Ermessensspielraum ist jedoch oft dazu missbraucht worden, Minderheiten zu unterdrücken und hat die Frage aufgeworfen, welches Eingreifen von Regierungen gerechtfertigt ist, wenn es sich um Bekundungen von Religion oder Weltanschauung handelt.

Manche Staaten vertreten die Ansicht, dass Einschränkungen des Lehrens von Religionen und des Weitergebens von Glaubensüberzeugungen notwendig sind, um bestimmte Traditionen zu erhalten und die Rechte der betroffenen Bevölkerung zu wahren. Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit bedingt aber notwendigerweise die Offenlegung neuer Ideen und die Fähigkeit, Informationen weiterzugeben bzw. zu erhalten. [xiv] Einschränkungen mit der Begründung der „Aufrecherhaltung öffentlicher Ordnung“ und „Moral“ sind ebenfalls mit erheblichem Ermessensspielraum angewandt worden und in einer Art, die mit dem Prinzip der Nichtdiskriminierung unvereinbar ist. [xv] Insbesondere nichtdemokratische und theokratische Staaten haben wiederholt ohne Begründung solche Einschränkungen erlassen, was nicht nur deren Interpretation dieses Rechts in Frage stellt, sondern auch ihren Schutz in Bezug auf verwandte Rechte und Freiheiten wie das Recht auf Arbeit und Bildung, die Redefreiheit und das Recht auf friedliche Versammlung, um nur einige zu nennen. [xvi] Obgleich Einschränkungen der Religions- und Glaubensfreiheit sinnvoll angewendet werden können, hat der Missbrauch dieser Einschränkungen durch Staaten die Ausgrenzung unterdrückter Minderheiten nur verschlimmert.

Zum Schutz der Religions- und Glaubensfreiheit gehört auch die Wachsamkeit, die Bürger vor den Kräften extremer Orthodoxie zu bewahren. Anstiftung zu Gewalt, Extremismus und Feindschaft im Namen der Religion müssen entschieden mit Strafe belegt und rückhaltlos verurteilt werden. [xvii] In gleicher Weise müssen Staaten konsequent die Gleichberechtigung von Frau und Mann als moralisches Prinzip und als internationales Recht vertreten und jede Handlung verurteilen, die Frauen die Würde und Gewissensfreiheit im Namen der Religion verweigert. Letztendlich muss eine präventive Langzeitstrategie in Bemühungen verankert werden, Kinder wie auch Erwachsene auszubilden, indem ihnen Lesen und Schreiben beigebracht und somit die Gelegenheit geboten wird, andere Glaubenssysteme kennen zu lernen. Im Rahmen einer Bildungskultur werden Menschen, die die Schriften ihrer eigenen und die anderer Religionen lesen können, die die Freiheit haben, Fragen zu stellen und zu diskutieren und die sich an der Generierung und der Anwendung von Wissen beteiligen können, besser darauf vorbereitet sein, den Kräften der Unwissenheit und des Fanatismus zu widerstehen. [xviii]

Ausgegrenzte religiöse Minderheiten

Heute stehen viele Staaten vor der weiteren Herausforderung, angesichts eines zunehmenden kulturellen und religiösen Pluralismus den sozialen Zusammenhalt und die nationale Einheit zu bewahren. Oftmals sind drohende soziale Instabilität und gewaltsame Proteste die Hauptgründe staatlicher Entscheidungen, Forderungen von Minderheiten zu entsprechen. Tatsächlich können ausgegrenzte Gruppen bei ihrem Verlangen nach Wiedergutmachung gewalttätig werden und Staaten dazu zwingen, ihre Forderungen anzugehen, um sozialen Unruhen und möglichen Bedrohungen der nationalen Sicherheit vorzubeugen. Dieses Reaktionsmuster kann sich jedoch als gefährlich erweisen, denn es leistet der Gewalt Vorschub, besonders dort wo friedlich organisierte Gruppen mit ihren Anliegen wiederholt keine Beachtung finden. Es führt gerade dann zu einer verstärkten Diskriminierung, wenn Gruppen auf Grund ihrer Religion ausgeschlossen und ihr gewaltfreies Bemühen um Wiedergutmachung ignoriert werden.

Staaten müssen daher mehr tun, als nur rein materielle und praktische Überlegungen anzustellen. Sie müssen von der Kraft moralischer Prinzipien und der Rechtsstaatlichkeit geleitet sein. Unter diesen Prinzipien steht die Einheit an höchster Stelle – auf örtlicher, nationaler und globaler Ebene –, gegründet auf einem friedlichen Ausgleich kultureller Vielfalt. Staaten müssen die überholten Vorstellungen von kultureller Homogenität und ideologischer Einförmigkeit als Garanten des Friedens und der Sicherheit ablegen und stattdessen die Vielfalt der Identitäten und Überzeugungen, die sich unter dem Schutz gerechter Gesetze und allgemeiner Menschenrechte begegnen, als die Grundlage für den Zusammenhalt und das Wohlergehen der Gesellschaft akzeptieren.

Religiöse Repräsentanten

Nun liegt es nicht allein in der Verantwortung von Staaten, die allgemeinen Prinzipien der Religions- und Glaubensfreiheit zu vertreten, sondern auch bei den religiösen Repräsentanten. In einer Welt, die ständig von Gewalt und Konflikten im Namen der Religion gequält wird, liegt eine schwerwiegende Verantwortung bei den Repräsentanten religiöser Gemeinschaften, ihre Anhänger zu friedlicher Koexistenz und gegenseitigem Verständnis mit jenen zu führen, die anders denken und glauben. Nur zu oft haben jene, die im Namen der Religion agieren, die Flammen des Hasses und Fanatismus geschürt und dadurch selbst das größte Hindernis auf dem Weg zum Frieden gebildet. Trotz dieser schmerzlichen Wahrheit bezeugen wir, dass die Religionen und Glaubensvorstellungen der Welt, mit denen sich die Mehrheit der Erdenbewohner identifiziert, ein reiches geistiges, moralisches und kulturelles Erbe übermittelt haben, das auch noch in diesen unruhigen Zeiten Beistand und Führung bietet. In der Tat haben Religionen den Menschen von Grund auf die Motivation dafür geliefert, über die rein materielle Auffassung der Wirklichkeit hinauszublicken und edlere Vorstellungen von Gerechtigkeit, Versöhnung, Liebe und Selbstlosigkeit im Dienst am Gemeinwohl zu entwickeln.

Wenn man die Bedeutung von Kultur und Religion für Motivation und Verhalten berücksichtigt, wird deutlich, dass gesetzgebende Maßnahmen allein nie das Engagement und gegenseitige Verständnis bewirken werden, welche für eine dauerhafte Kultur der friedlichen Koexistenz erforderlich sind. Die Rolle der religiösen Repräsentanten als Partner – in Wort und Tat – bei der Schaffung einer Kultur der Achtung vor der Menschenwürde, vor der Freiheit des Gewissens, der Religion und der Überzeugung kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Die Mächte der Geschichte fordern jeden gläubigen Menschen dazu auf, seinen eigenen Heiligen Schriften und Traditionen jene geistigen Prinzipien zu entnehmen, die Antwort auf die schwierigen Fragen geben, die von einem Zeitalter gestellt werden, das sich nach Einheit und Gerechtigkeit sehnt. Bei diesem gemeinsamen Vorhaben, das sich auf einem Verständnis für angeborene Würde, Verstand und Gewissen jedes Menschen gründet, müssen religiöse Repräsentanten für die Heiligkeit des menschlichen Gewissens eintreten und uneingeschränkt einem jeden die Freiheit der Suche nach Wahrheit zugestehen.

Empfehlungen

Wir fordern die Vereinten Nationen auf, eindeutig zu erklären, dass gemäß internationalem Recht jeder das Recht hat, seine Religion zu wechseln. Die Generalversammlung möge den Internationalen Gerichtshof bitten, gemäß Artikel 96 der Charta der Vereinten Nationen ein Rechtsgutachten zur Frage der Religions- und Glaubensfreiheit abzugeben. Der Gerichtshof könnte insbesondere gefragt werden, ob das Prinzip der Religions- und Glaubensfreiheit den Status des jus cogens, des anerkannten internationalen Rechts, erlangt hat, oder ob die Interpretation jedem Staat überlassen bleibt. Eine solche Klarstellung würde dabei helfen, abwegige Interpretationen dieses Rechts auszuschalten, und sie würde bei Verletzung des Prinzips der Nichtdiskriminierung in Bezug auf Religion und Weltanschauung der Verurteilung von Politiken und Praktiken moralisches Gewicht verleihen.

Dieser Klarstellung müssen konkrete Handlungen folgen – investigative, rechtliche und durchführende. Zunächst sind Recherchen und Analysen erforderlich, um die Mindesterfordernisse für die Einhaltung internationaler Gesetze zu klären und Indikatoren zu entwickeln, an denen die Einhaltung oder Nichteinhaltung der Religions- und Glaubensfreiheit gemessen werden können. Ein jährlich von den Vereinten Nationen erstellter Weltbericht, der den Stand dieser Freiheit in der ganzen Welt bewertet, würde weiteres Material liefern und einen Vergleich über längere Zeitspannen und über geographische Regionen hinweg ermöglichen. [xix]

Die Vereinten Nationen müssen umfassend und entschieden gegen religiösen Extremismus als eines der hauptsächlichen Hindernisse im Friedensprozess vorgehen. [xx] Während die Vereinten Nationen religiöse Intoleranz und Verfolgungen verurteilt haben, sind sie bis jetzt zurückhaltend gewesen, religiösen Extremismus als Motivation für gewalttätige und terroristische Handlungen anzusehen und energisch zu verurteilen. [xxi] Da oft Frauen unter religiösem Extremismus und der sich daraus ergebenden Verletzung der Freiheiten am meisten leiden müssen, sollte der Ausschuss für die Beseitigung aller Arten von Diskriminierung von Frauen die Herausgabe einer Erklärung erwägen, die insbesondere Fragen der Religions- und Glaubensfreiheit von Frauen behandelt. [xxii]

Wir unterstützen die Bildung eines Menschenrechtsrates mit dem Ziel, den Vorrang der Menschenrechte, wie er in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt ist, wieder herzustellen. Außerdem sollte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte Schritte unternehmen, um die Rolle der Sonderberichterstatterin für Religionsfreiheit zu stärken, die Finanzierung für ihre Aufgaben zu verbessern und ihr damit die Möglichkeit zu geben, Tendenzen weltweit wie auch länderbezogen genauer zu überwachen. [xxiii] Da das Mandat der Sonderberichterstatterin eines der wesentlichen Instrumente darstellt, um die Vereinten Nationen über Fragen der Religionsfreiheit zu unterrichten, empfehlen wir, dass der Umsetzung von Empfehlungen der Sonderberichterstatterin größere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Hochkommissar möge an eine Erweiterung des Mandats für die Sonderberichterstatterin denken, wobei sie nicht nur über Rechtsverletzungen berichten sollte, sondern auch über staatliche Bemühungen zur Umsetzung ihrer Empfehlungen. Generell würden die Berichte der Berichterstatterin von substantielleren und interaktiveren Erörterungen zwischen der Berichterstatterin und den betreffenden Staaten entscheidend profitieren. Über die Zusammenarbeit mit den Menschenrechtseinrichtungen der Vereinten Nationen hinausgehend sollten Staaten ihrerseits jegliche von der Berichterstatterin gewünschten Besuche gestatten und bemüht sein, ihre Nachforschungen in vollem Umfang zu unterstützen.

Dadurch, dass die Vereinten Nationen den engen Zusammenhang zwischen Freiheit, Entwicklung und Sicherheit in der heutigen Welt anerkennen, haben sie den Weg dafür geebnet, dass eine zeitgemäße Überprüfung des allgemeinen Rechts auf Religions- und Glaubensfreiheit, ihrer Rolle in der menschlichen Entwicklung und der Mittel zu ihrem Schutz möglich wurde. In unserem Bemühen, eine sinnvolle Debatte und notwendige Handlungen anzustoßen, haben wir die Maßstäbe der Gleichberichtigung, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte dargelegt sind, in den Vordergrund gerückt und auf ihre Auswirkungen auf die Errichtung einer Kultur, die die Würde und das Gewissen jedes Menschen achtet, hingewiesen. Wir sind davon überzeugt, dass der Schutz des Rechts auf Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit keineswegs nur eine juristische Aufgabe oder pragmatische Notwendigkeit ist; er ist Teil eines viel umfassenderen und im wesentlichen geistigen Unternehmens, um Einstellungen und Praktiken zu gestalten, die erlauben, dass menschliche Fähigkeiten in Erscheinung treten und aufblühen. Der Menschengeist, mit Vernunft und Gewissen ausgestattet, muss die Freiheit haben, nach der Wahrheit zu suchen und zu glauben.

 

[i] Universal Declaration of Human Rights, U.N. Doc A/810 at 71 (1948). New York: United Nations [Dt.: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, Europa-Verlag, Zürich-Wien-Konstanz]. Die Erklärung wurde ohne Gegenstimmen angenommen. Acht Staaten enthielten sich: Polen, Weißrussland, Tschechoslowakei, Ukraine, Jugoslawien, Südafrika, Saudi-Arabien und die Sowjetunion.

[ii] Nicht weniger als 28 internationale Menschenrechtsdokumente enthalten Bestimmungen mit besonderem Bezug auf die Religions- und Glaubensfreiheit.

[iii] Civil and Political Rights, Including Religious Intolerance: Report submitted by Mr. Abdelfattah Amor, Special Rapporteur, in accordance with Commission on Human Rights resolution 1998/18. U.N. Doc. E/CN.4/1999/58 (1999)

[iv] Der Bericht über die menschliche Entwicklung 2004 des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen mit dem Titel Kulturelle Freiheit in unserer Welt der Vielfalt hat zum ersten Mal in der 15jährigen Geschichte des Berichts kulturelle Freiheit als einen „entscheidenden Bestandteil der menschlichen Entwicklung“ anerkannt und die „tiefgreifende Bedeutung der Religion für die Identität der Menschen“ bestätigt. Es ist bemerkenswert, dass die Analyse der menschlichen Entwicklung im Verlauf der Berichte über die menschliche Entwicklung von einem vorherrschend materialistischen Ansatz mit dem Gewicht auf Reichtum und Einkommen sich dahingehend entwickelt hat, auch die Vorstellung von Entwicklung als eine Ausweitung der menschlichen Freiheiten einzubeziehen. Ebenso wichtig ist die Veröffentlichung der jährlichen Arabischen Berichte über die menschliche Entwicklung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, was ein Pioniervorhaben arabischer Wissenschaftler auf diesem Gebiet darstellt. Der viel beachtete Bericht 2002 bezeichnet Freiheit sowohl als den „Garanten wie auch das Ziel“ der menschlichen Entwicklung und der Menschenrechte und stellt Freiheit als eine der wichtigsten Voraussetzungen für Entwicklung in der arabischen Region heraus. Der Bericht 2004, der die Defizite an Freiheit und guter Staatsführung erörtert, untersucht die religiösen, rechtlichen und politischen Strukturen, die menschliche Freiheiten bedrohen und fordert unverzügliches Handeln, sich vordringlich darum zu kümmern, „alle Formen der Diskriminierung von Minderheiten zu beenden.“

[v] 2005 World Summit Outcome, U.N. Doc. A/60/L.1

[vi] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 18, vgl. Fußnote 1

[vii] Ein unveräußerliches Recht unterliegt keinerlei staatlicher Verordnungen, selbst nicht in Zeiten nationalen Notstands.

[viii] Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, ist seit der Erklärung in keinem internationalen Dokument mit solcher Klarheit formuliert worden. Zum Beispiel: Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966) stellt die Freiheit des Einzelnen sicher, „eine Religion oder Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen“; der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966) garantiert, dass die im Pakt bezeichneten Rechte „ohne irgendeine Diskriminierung in Bezug auf Religion ausgeübt werden“; die Konvention über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen (1979) ruft die beteiligten Staaten auf, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um Frauen die Garantie zu geben, dass sie „die Menschenrechte und Grundfreiheiten in Gleichberechtigung mit den Männern genießen und ausüben können“; die Konvention über die Rechte des Kindes (1989) bekräftigt das „Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“; die Konvention über die Verhinderung und Bestrafung von Völkermord (1948) enthält in seiner Definition von Völkermord „Handlungen, die mit der Absicht verübt werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe zu vernichten.“ Bemerkenswerterweise sehen regionale Verträge wie die Amerikanische Konvention über Menschenrechte (1969) und die Europäische Menschenrechtskonvention (1950) ausdrücklich die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, vor.

[ix] Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung, U.N. Doc. A/36/684 (1981). Die Erklärung bestätigt die „Freiheit, eine Religion oder beliebige Weltanschauung eigener Wahl zu haben und die Freiheit, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat seine Religion oder Weltanschauung in Gottesdienst, Vollziehung von Riten, Ausübung und Lehre zu bekennen.“ Bedauerlicherweise hat diese Erklärung noch nicht den Status eines rechtskräftigen Vertrags erlangt.

[x] Menschenrechtsausschuss, Allgemeine Erklärung 22, Artikel 18, U.N. Doc. HRI\GEN\1\Rev.1 at 35 (1994). Die übrigen Kernelemente dieses Rechts beinhalten: die Rechte der Eltern, den Rechtsstatus, die Grenzen der den Regierungen erlaubten Einschränkungen sowie die Unveräußerlichkeit.

[xi] Folgende globale Konferenzen, Erklärungen und Aktionsprogramme haben das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit bestätigt: Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung (1981), Wiener Erklärung und Aktionsprogramm (1993), Kopenhagener Erklärung und Aktionsprogramm (1995), Millenniumserklärung der Vereinten Nationen (2000), Millennium Weltfriedensgipfel - Verpflichtung zu globalem Frieden (2000), Durban Erklärung und Aktionsprogramm (2001).

[xii] Die Allgemeine Erklärung (vgl. Fußnote 10) stellt fest, dass „die Ausübung und Lehre von Religion und Weltanschauung auch Handlungen umfasst, die wesentlich sind, damit religiöse Gruppen ihre grundlegenden Angelegenheiten regeln können, wie die Freiheit, ihre religiösen Führer, Priester und Lehrer zu bestimmen, die Freiheit, Seminare oder religiöse Schulen zu gründen und die Freiheit, religiöse Schriften und Veröffentlichungen herzustellen und zu verbreiten.“ Die Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung von 1981 gewährt ausdrücklich das Recht, die eigene Religion zu lehren.

[xiii] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 29 (vgl. Fußnote 1). Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte sieht in ähnlicher Weise Einschränkungen vor, „wie Gesetze sie vorschreiben und die notwendig sind, um die öffentliche Sicherheit, Ordnung, Gesundheit und Moral sowie die Grundrechte und Freiheiten anderer zu schützen.“ (Artikel 18)

[xiv] Eine Identitätsänderung aufgrund einer Konvertierung stellt keine Verletzung der Menschenrechte des Einzelnen dar. Vielmehr ist es der Wunsch eines Menschen, seine Identität zu wahren, der gesetzlichen Schutz erfordert. Gleichermaßen können Staaten den Grundsatz der Bewahrung bestimmter Traditionen, Religionen oder Ideologien nicht dazu benutzen, um Einschränkungen der Religions- und Glaubensfreiheit zu rechtfertigen.

[xv] Mit Bewahrung der „Moral“ begründete Einschränkungen sind die umstrittensten und führen leicht zu Missbrauch, da ein auf Religion gegründetes moralisches Prinzip dazu benutzt werden kann, sich über die religiöse Überzeugung eines anderen hinwegzusetzen. Die Allgemeine Erklärung 22 des Menschenrechtsausschusses bestätigt, dass „Einschränkungen des Schutzes der Religions- und Glaubensfreiheit nicht auf Grundsätzen beruhen dürfen, die sich auf eine einzelne Tradition gründen.“ (vgl. Fußnote 10)

[xvi] Staaten haben auch pauschale Vorbehalte gegenüber ganzen Konventionen geäußert, und zwar mit Bezug auf die Anwendung religiöser Gesetze durch diese Staaten. Dies ist unvereinbar mit Artikel 18 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR), der gesetzlich vorgeschriebene Einschränkungen vorsieht, die „notwendig sind, um die öffentliche Sicherheit, Ordnung, Gesundheit und Moral sowie die Grundrechte und Freiheiten anderer zu schützen.“ Weiterhin hat der Menschenrechtsausschuss in seiner Allgemeinen Erklärung zu Artikel 18 des ICCPR festgestellt, dass Einschränkungen der Freiheit der Bekundung von Religion oder Weltanschauung zum Schutze der Moral „auf Grundsätzen beruhen müssen, die sich nicht ausschließlich auf eine einzelne Tradition gründen.“

[xvii] Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte verbietet „jegliche Befürwortung von nationalem, rassischem oder religiösem Hass, der eine Anstiftung zu Diskriminierung, Feindschaft oder Gewalt darstellt.“ Entsprechend sollten Staaten, wie es die Konvention gegen die Diskriminierung bei der Bildung (1960) der UNESCO fordert, jene verurteilen und energisch bestrafen, die im Namen der Religion das Bildungssystem und die Medien dazu benutzen, die Gewissensfreiheit zu unterdrücken und Spaltung, Hass, Terrorismus, Gewalt und Blutvergießen zu fördern.

[xviii] Der ehemalige Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit, Abdelfattah Amor, hob Bildung und Erziehung – besonders in Bezug auf die Menschenrechte – als einen Hauptbestandteil bei der Schaffung einer Kultur der Toleranz und Nichtdiskriminierung hervor. 2001 berief Amor die Internationale Beratende Konferenz über Schulbildung mit Bezug auf Religions- und Glaubensfreiheit, Toleranz und Nichtdiskriminierung ein und forderte die Teilnehmer auf, eine weltweite Bildungsstrategie zu entwickeln, um auf Religion oder Weltanschauung gegründete Intoleranz und Diskriminierung zu bekämpfen. (U.N. Doc. E/CN.4/1999/58)

[xix] Civil and Political Rights,Including Religious Intolerance, vgl. Fußnote 3

[xx] Ibid., 125 (a)

[xxi] Die Vereinten Nationen waren zurückhaltend dabei, religiösen Fanatismus als Quelle des Terrorismus zu bezeichnen und nahmen darauf nur indirekt Bezug, z. B. „durch Intoleranz und Extremismus motivierter Terrorismus“ (S/RES/1373 (2001)). Sogar die verschiedenen vom Sicherheitsrat, der Generalversammlung und dem Menschenrechtsausschuss herausgegebenen Resolutionen in Reaktion auf die terroristischen Handlungen des 11. September 2001 versäumten es, religiösen Fanatismus als die Kraft zu benennen, die zu diesen Handlungen antrieb.

[xxii] Tahzib-Lie, Bahia G. (2004) „Dissenting Women, Religion or Belief, and the State: Contemporary Challenges that Require Attention.“ In Lindholm, T., Durham, W. Cole Jr., Tahzib-Lie, Bahia G. (Eds.) Facilitating Freedom of Religion or Belief: A Deskbook. Oslo, Norway: Martinus Nijhoff Publishers.

[xxiii] Nur ein kleiner Teil der Mitgliedsstaaten ist jemals hinsichtlich der Einhaltung der Artikel der Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung von 1981 überwacht worden.